Thomas Stelzmann im Interview – „Die Bergleute haben Teambuilding einfach gelebt“

Über einen Zeitraum von vier Jahren sind die Düsseldorfer Fotografen Thomas Stelzmann und Wolf R. Ussler immer wieder ins Ruhrgebiet gefahren. Dort haben sie Bergleute an ihren ehemaligen Arbeitsplätzen fotografiert – oder dem, was davon noch übrig war. Herausgekommen ist die Serie „Keine Kohle mehr“. Nach Ausstellungen im Deutschen Bergbau Museum und im Landtag NRW sind die schwarz-weißen Aufnahmen nun als Bildband erschienen. theycallitkleinparis hat mit Thomas Stelzmann gesprochen.

Wie entstand die Idee zu dem Projekt?
Durch einen Bericht im Netz über das Ende des Steinkohlenbergbaus in Deutschland fiel unser Blick auf den Ruhrbergbau. Wir haben uns gefragt: Was ist eigentlich aus den Bergleuten geworden, die im Pütt waren? Kann man die an ihren einstigen Arbeitsplatz zurückholen? Zuerst wollten wir die Bergleute dort nur porträtieren. Dann kam die Idee auf, konkrete Fragen zu stellen. Was hat euch damals bewegt, und was bewegt euch heute? Mit der visuellen Umsetzung von Aspekten aus den Lebensgeschichten dieser Leute konnten wir die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft sowohl der Person als auch des Ortes jeweils in ein einziges Bild bringen. Diese Leute sind irgendwann nicht mehr da, das Ruhrgebiet verliert gerade diesen Menschenschlag. Wir haben also eine Art Gewebeprobe einer aussterbenden Spezies genommen und sie gut konserviert.

Wie seid ihr dann mit euren „Modellen“ in Kontakt gekommen bzw. wonach habt ihr sie ausgewählt?
Die erste Kontaktaufnahme erfolgte über den Ruhrkohlechor, weil die RAG uns aus Datenschutzgründen nicht helfen durfte. Wir haben an die sieben oder acht Chormitglieder fotografiert. Nach den ersten Interviews und Fototerminen hatten wir unter Beweis gestellt, dass wir vertrauenswürdig sind. Ab da sprach sich das Projekt herum. Die allermeisten haben wir aber gar nicht ausgewählt, viele Kontakte ergaben sich durch andere Bergleute. Mit zunehmender Zahl von Kontakten konnten wir auch schon mal gezielt nach Leuten suchen, die auf bestimmten Zechen waren. Wenn alles passte, haben wir das Interview gemacht. Meistens wussten wir nicht, was derjenige zu erzählen hatte und ob man aus den Geschichten etwas machen konnte.

Wie waren die Begegnungen?
Es gab sehr herzliche Begegnungen. Mit Diakon Robert Lendzian zum Beispiel. Ich weiß nicht, wie der das macht, aber der legt den Kopf schief, schaut einen an, grinst breit, und man hat das gute Gefühl, dass man ihn schon ewig kennt und schätzt. Ich mag den sehr. Wilhelm Tax, der Miterfinder der „Dahlbuschbombe“, beeindruckte mich dagegen durch seine Bescheidenheit. Er war maßgeblich an der Rettung von verschütteten Bergleuten beteiligt und sieht sich selbst immer nur als einer von vielen in dieser Aktion. Andere würden da vielleicht abheben, nicht aber Tax. Es gibt sehr viele Begegnungen, an die ich gerne zurückdenke, und ich bin dankbar, diese Leute zu kennen. Es gab natürlich auch Protagonisten, die einfach ihr Leben gelebt haben und zufrieden waren. Die haben wenig erzählt. Daraus ein Foto zu machen, war dann nicht ganz einfach.

Die Kumpel waren teilweise Jahrzehnte nicht mehr an ihren ehemaligen Arbeitsplätzen gewesen. Da kamen doch sicher Emotionen auf, oder?
Ja, manche waren fast gedankenverloren, wanderten umher. Andere widerum begannen, einfach von damals zu erzählen. Einige fingen auch an zu weinen. Diese Emotionen kamen bei einigen schon während unserer Interviews hoch, die bei den Bergleuten zuhause stattfanden. Da wurde uns direkt zum Anfang des Projektes klar, wie schwierig das werden würden. Wir haben mit diesem Projekt an Erinnerungen und Ereignissen gerührt, die zum Teil gar nicht verarbeitet worden sind, bis heute nicht. Krieg, Tod, Hunger, Not, Unglücke, diese Dinge. Ich hatte teilweise den Eindruck, dass wir die Ersten gewesen sind, denen sich die Bergleute so geöffnet haben. Vielleicht hat vorher niemand danach gefragt. Die Menschen haben uns vertraut, und wir haben sie nicht enttäuscht. Viele Dinge werden wir auch für uns behalten.

Wie erklärst du dir die ausgeprägte Identifikation der Bergleute mit ihrem Job? Das ist doch erstaunlich, vor allem vor dem Hintergrund, dass es ein körperlich so harter Beruf ist.
Der Beruf des Bergmannes setzt soziale Empathie voraus. Damit will ich nicht sagen, dass sich unter Tage alle lieb hatten, aber allen war bewusst, welchen Platz sie in dem Gefüge einnehmen. Sich in jeder Situation blind aufeinander verlassen zu können und zu müssen, weil sonst einer verunglückt oder stirbt, das gibt es sonst noch bei der Feuerwehr, Polizei, bei Sonderkommandos, beim Militär bestimmt auch… Im Gegensatz zu dem heute üblichen Geschwätz aus Teambuilding-Maßnahmen haben die Bergleute das einfach gelebt, und nicht nur unter Tage. Die haben ja eine soziale Haltung gehabt.

Wie haben die Bergleute selber auf die Aufnahmen reagiert?
Durchweg sehr positiv. Die meisten haben vorher noch nie vor der Kamera gestanden und fühlten sich geehrt, dass ausgerechnet sie jetzt stellvertretend für eine bestimmte Zeche ausgewählt worden waren, einer von Hunderten oder gar Tausenden. Sie sahen sich als Teil der Erzählung über den Bergbau des Ruhrgebiets, was ja auch stimmt. Es gab keinerlei Kritik aus den Reihen der Bergleute, wohl aber von einigen Besuchern, die gefragt haben, warum wir denn nur deutsche Bergleute fotografiert hätten. Die Antwort ist einfach: Weil der Aufruf an türkische Bergleute, den wir in zechennahen, türkischen Cafés gestartet haben, ins Leere ging. Der Wille war offenbar nicht da. Schade.

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Foto: Thomas Stelzmann

Sämtliche schwarz-weißen Fotos, die für das Projekt entstanden sind, sind inszeniert. Bis auf eins, das von Joseph Penkalla. Wie kam es zu dieser Ausnahme?
Eigentlich wollten wir Penkalla mit seinem Hobby, einem restaurierten alten Deutz-Traktor fotografieren. Das Ding war dann aber doch nicht fahrbereit. Während der Ersatzszene an der Personenschleuse in der Zeche sprudelten dann die Erinnerungen aus Penkalla derart heraus, dass wir abbrechen mussten. Da ging Penkalla dann seine Kaue besuchen. Wir und unser Begleiter von der RAG blieben im Eingangsbereich stehen. Penkalla hatte uns völlig vergessen und setzte sich in dem Durcheinander auf diese Bank. Er fand ein paar Einmalhandschuhe und zog sie an, keine Ahnung, warum. Er spielte mit einem Schraubendreher herum, der dort lag und schloss die Augen. Das war das Bild. Ich habe nur zwei Fotos von dieser Szene geschossen, vom Eingang aus. Für mich persönlich zeigt dieser Moment den Kern des ganzen Projektes, diese völlige Hingabe und Erinnerung an etwas, was heute nicht mehr getan werden kann. Die Szene mit dem Traktor haben wir dann knapp zweieinhalb Jahre später trotzdem fotografiert, da war die Zeche aber schon weg. Diese Bilder sind gut geworden, dennoch haben wir beschlossen, dass das Bild aus der Kaue in die Ausstellung und ins Buch kommen sollte.

Ende April erscheint ein Bildband mit den Fotos im Klartext Verlag. In der Vergangenheit waren die Bilder bereits im Deutschen Bergbau Museum und im Landtag NRW. Sind weitere Ausstellungen geplant?
Im Moment gibt es keine konkreten Planungen. Wir haben zwar Anfragen für kleinere Ausstellungen, die wir aber abgelehnt haben. Erstens wollen wir keine Dauerpräsenz, wir sind ja nicht Helene Fischer. Und zweitens wollen wir keine kleinen Ausstellungen mehr machen. Kleine Ausstellungen machen fast genau so viel Arbeit wie große, werden aber von viel weniger Menschen besucht. Das macht keinen Sinn, zumal das alles viel Geld kostet. Je weiter es aber auf das Ende des deutschen Steinkohlenbergbaus 2018 zugeht, umso mehr gewinnt das Projekt an Wert und Aufmerksamkeit. Die Bilder werden also irgendwann mit großer Sicherheit nochmal zu sehen sein.

Wie viele der Zechengelände, auf denen ihr fotografiert habt, bestehen heute noch?
In den meisten Fällen ist noch irgendwas übrig, was als Hinterlassenschaft des Bergbaus zu erkennen ist. Manchmal muss man nur verdammt lange suchen, wenn das einzige, was auf ein Bergwerk hindeutet, vier Meter hohe Gasrohre mit roten Kappen drauf sind, die in irgendwelchen Parks stehen, die mal Zechengelände waren. Das Gegenteil davon sind dann Denkmalzechen wie Zollverein oder „frisch“ stillgelegte Standorte, an denen wirklich noch alles vorhanden ist, vom Pförtnerhäuschen bis zum Duschbad in der Kaue. Das ist aber die Ausnahme. Die stehen dann viele Jahre rum, im ständigen Kampf gegen Metalldiebe und das übliche Gesocks, was alles beschmieren, kaputtmachen und anzünden muss. Diese Orte haben wir nur in Begleitung betreten können. Einen Standort konnten wir komplett vergessen, obwohl wir einen Protagonisten hatten: Jemand musste unbedingt das Eingangsgebäude abfackeln…

Angenommen, Penkalla würde dich um eine Widmung bitten. Was würdest du ihm in den Bildband schreiben?
Was wichtig ist, wird immer bleiben.

Der Bildband „Keine Kohle mehr“ ist im Klartext Verlag erschienen und kostet 19,95 Euro.

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