Claus Föttinger im Interview – „Die Stimmung in der Türkei empfinde ich als sehr bedrückend“

Vor zwei Jahren, als Deutschland in Brasilien Weltmeister wurde, war Claus Föttinger hautnah dabei. Damals bestückte er das Quartier der deutschen Mannschaft, genannt Campo Bahia, mit seiner Kunst. Die kam gut an. Mancher Sieg wurde an der Föttinger-Bar gefeiert. Und Bundestrainer Jogi Löw war sogar so angetan, dass er zwei Arbeiten kurzerhand erwarb. Seitdem ist viel Wasser den Rhein runtergeflossen und der Meisterschüler von Alfonso Hüppi war in aller Welt unterwegs. Derzeit ist er zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder in seiner Wahlheimat Düsseldorf ausgestellt. Bei Van Horn in Flingern.

Sie sind als Künstler in der ganzen Welt unterwegs. Welche Rolle spielt Düsseldorf als Homebase für Ihre künstlerische Arbeit?

Ich mochte Düsseldorf schon seit meinem Studium hier in den Achtzigern. Die Mischung aus bildenden Künstlern aller Altersstufen, Musikern, Menschen, die mit Mode oder Werbung zu tun haben, und vielen Kunstinteressierten aus der Privatwirtschaft finde ich immer noch interessant. Ich liebe japanisches Essen. Und in fünf und zehn Minuten am Bahnhof oder Flughafen zu sein, empfinde ich als absoluten Luxus.

Wann hatten Sie Ihre letzte Ausstellung hier in der Stadt?

Im Februar 2011.

Derzeit läuft eine Einzelausstellung mit Arbeiten von Ihnen bei Van Horn. Für Sie eine Reise in die eigene Vergangenheit. Vor vielen Jahren haben Sie in den Räumen, in denen heute die Galerie ist, gewohnt. Wann genau war das und was haben Sie für Erinnerungen an die Zeit?

Das war ziemlich genau vor 20 Jahren. Ich hatte mich nach Erfahrungen im kuratorischen und gastronomischen Bereich in WP8, Friesenwall 116a und danach als künstlerischer Leiter in Schloß Ringenberg wieder ausschließlich auf meine eigene Arbeit konzentriert. Ich habe zu der Zeit viele kleine Ausstellungen zu meinen geschichtsvergleichenden – und Filmthemen gemacht.

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Foto: Claus Föttinger

Ihre sozialen Skulpturen wie Stühle, Tische, Lampen oder Bars sollen ausdrücklich berührt und benutzt werden. Wie schwierig ist das einer Besucherschaft, die ja in der bildenden Kunst gewohnt ist, auf Distanz gehalten zu werden, zu vermitteln?

‚Ausdrücklich berührt oder benutzt‘ würde ich nicht sagen, eher mit der Achtung, die man einem wertvollen Gebrauchsgegenstand entgegenbringt. Formen von Vandalismus habe ich in meinen Ausstellungen eigentlich nie erlebt, eher die Achtung vor dem jeweiligen Setting, auch manchmal in eher wenig kunstaffiner Umgebung.

Ihre zweite Heimat neben Düsseldorf ist die Türkei. Wo genau leben Sie, wenn Sie dort sind?

In Seddülbahir bei Canakkale gegenüber von Troja auf Gallipoli am Eingang der Dardanellen.

Und wie empfinden Sie die Stimmung im Land derzeit?

Im Moment sehr bedrückend, wenngleich ich es ausdrücklich begrüße, dass der Putsch nicht geglückt ist.

Inwiefern fließen Themen wie der Putschversuch oder auch die Flüchtlingskrise in Ihre aktuellen Arbeiten mit ein?

Beide Geschehnisse fanden ja in gewisser Weise vor meiner Haustüre statt und haben alleine schon deshalb einen Einfluss auf mein Leben und meine künstlerische Praxis. Außerdem verfolge ich die Situation an dem Ort, an dem ich wohne, der ja ein mehrfach historischer Ort ist und den Themenbereich deutsche Identität/Migration/Türkei seit Anfang 2000.

Föttinger hat ein Talent, sich an den Orten aufzuhalten, an denen Geschichte geschrieben wird“ heißt es im Pressetext Ihrer Galerie Van Horn. Welche waren das denn in der Vergangenheit?

Vielleicht ist die Zeitform falsch gewählt, denn ich habe mich bedingt durch meine Herkunft, ich stamme ja aus Nürnberg, erst einmal mit deutscher Vergangenheit künstlerisch auseinandergesetzt. Ab 2000 habe ich dann begonnen, mich auch mit deutscher Gegenwart zu beschäftigen. Zum Beispiel mit den Arbeiten „Hermanns‘s Döner Inn“ für die Ausstellung „Come in“ für das ifa Institut 2001 und „Moscheenwand mit Kreuzbar“ 2003 in der Kunsthalle Kiel. Meine Spiegelungen in Südostasien zur deutschen und europäischen Geschichte würde ich als Rückschauen bezeichnen, um die Gegenwart besser zu verstehen. Gegenwärtig wurde es erst mit meiner Aktion „The Gallipoli Project“ in Gallipoli, die als künstlerisches Statement zum Beginn der Beitrittsverhandlungen der Türkei zur EU zu verstehen ist. Campo Bahia war sowohl gegenwärtig als auch vergangenheitsbezogen, meine zwei Projekte mit Ulli Lommel fallen auch in diese Kategorie. Meine Arbeiten zum europäischen und deutschem Umgang mit den Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan und anderen Ländern und der Veränderung der Türkei in den letzten 12 Jahren durch die AKP waren jeweils fast zeitgleich zu den jeweiligen Geschehnissen.

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Foto: Claus Föttinger

Welche Rolle spielen die im Ausstellungstitel erwähnten Kokosnüsse?

Während meines Aufenthalts in Brasilien zur WM 2014 spielten Kokosnüsse eine wichtige Rolle für mich. Ich wollte sie irgendwie für meine Arbeit nutzbar machen. Ich habe sie von den Grundstücken meiner Freunde in St. André, in den Gärten oder am Strand mitgenommen und in insgesamt vier Koffern bei mehreren Reisen nach Düsseldorf transportiert. Da waren sie dann erst einmal bei mir in meinem Laden auf der Ackerstraße. Mein Freund Manuel Graf hatte mir kurz danach in der Bibliothek ein Buch über Weiterentwicklung des traditionellen japanischen Raku in Kalifornien in den sechziger Jahren gezeigt und ich war sofort davon überzeugt, dass das die passende Technik für mein Vorhaben mit den Kokosnüssen sein wird. Von Düsseldorf habe ich sie mit Flugzeug oder Auto in die Türkei gebracht, in meinem Atelier dort mit Ton abgeformt und danach in der Raku-Technik gebrannt. Das dauerte insgesamt fast zwei Jahre. Danach habe ich alle ins Auto gepackt und bin über die Flüchtlingsroute von Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn, Österreich wieder zurück nach Deutschland gefahren. Nun sind sie im Rahmen der Ausstellung bei Van Horn zu sehen, im vordersten der Galerieräume.

Claus Föttinger „Föttinger Ltd Unlimited Bars and Coconuts“, bis 22.10. Van Horn, Ackerstr. 99, Düsseldorf; Mi-Fr 13-18, Sa 12-16 Uhr

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