So, Leute. Heute gehts nicht um Ihr Dorf, nämlich Düsseldorf, sondern um mein Dorf, das einen schöneren Namen hat als Ihr Dorf, und das inzwischen ziemlich berühmt ist. Früher, Sie erinnern sich, war Ihr Dorf auch ziemlich berühmt, ist aber inzwischen weniger berühmt als beispielsweise Paris oder Rio – oder Wuppertal, oder liege ich da falsch? Ich meine, wegen der Schwebebahn (wenn sie fährt), Pina Bausch (tot), Tony Cragg (alt), dem Wuppertaler Zoo (teuer) und was man sonst noch so vorweisen kann, zum Beispiel Peek & Cloppenburg (der Laden mit der Mittelschichtsgarderobe) oder den neuen Wuppertaler Ikealaden (da fällt einem Eamesstuhlbesitzer bekanntlich sowieso nix zu ein).
Ich kenne mich in Ihrem Dorf aus, weil ich einige Jahre in der Roßstraße gelebt habe, mich im Finanzamt Nord für ein paar Groschen durchgefuttert habe, und mich immer gewundert habe, wo die Düsseldorfer das viele Geld hernehmen, um über die Runden (in der Altstadt) zu kommen. Sie kommen – Kompliment.
In meinem Dorf, einem Kaff, gibt es nix. Keine Kö, kein „Licht im Raum“, kein Museum (kein Witz, so was gibts), kein Kino und schon gar kein Bordell oder Theater oder gar einen Applestore. Alles Orte oder Einrichtungen, in denen man Spaß und Freude haben kann. H&M gibts auch nicht, Dior kennt man höchstens gebraucht von eBay oder aus der Gala oder aus dem neuen „Zeitmagazin Mann“ (auch eine ziemlich komische Sache), dito Brioni. Und statt Rhein und Rheinpromenade gibts hinter einer Schlossattrappe nur einen Tümpel, der bestenfalls geeignet ist, einen weiten Bogen zu schlagen, damit man sich nicht übergeben muss. Statt Rumstehen vor dem Uerigen bis nachts um blau, stehen riesige Flachfernseher in den Wohnungen, in denen sich die Einwohner die Welt angucken.
Sie im Dorf haben die Japaner, die Ihr Dorf leerkaufen und die Touristen, die die Altstadt leertrinken. Wir haben die Pilger, die nix machen, nicht einmal trinken. Hört sich langweilig an, ist es auch. Sehr sogar. Der Witz ist: Immer mehr Düsseldorfer kommen zu uns ins Kaff und ziehen in merkwürdige Einfamilienhäuser, fahren den Nachwuchs mit riesigen Autos in den Kindergarten, pflanzen Tomaten, trinken bio, essen vegan, fahren täglich zur Arbeit nach Düsseldorf (SUV oder Porsche), und wenn sie spätabends und todmüde von ihrem Irgendwas-mit-Medien-Job heimkommen: Facebook, Twitter, Tagesthemen und ab ins Bett. Die Welt ist ein Dorf.
Norbert Molitor lebt und bloggt im Velberter Stadtteil Neviges. 2014 bekam er für seinen Blog 42553 Neviges den Grimme Online Award. Sein „Stadttagebuch ohne Firlefanz“ (Deutschlandradio Kultur) wird inzwischen rund 35.000 Mal im Monat angeklickt. Sein erstes Buch „Im Kaff der guten Hoffnung“ (Piper Verlag) ist ein Panoptikum des deutschen Kleinstadtlebens. Mit viel Liebe und scharfem Blick beleuchtet der Autor das Leben in Neviges, einem Kaff zwischen Wuppertal und Essen, in dem absolut nix passiert. Von diesem Nix weiß Molitor charmant-ironisch zu berichten.
26.10., 20 Uhr, Roter Teppich, Kirchstr. 15, Düsseldorf, Eintritt frei, Anmeldung unter maren.jungclaus@literaturbuero-nrw.de sowie 0211-8284590