Gerrit Starczewski im Interview – „Das Ruhrgebiet ist die ehrlichste Region Deutschlands“

Seit 25 Jahren hält Gerrit Starczewski sein Leben und seinen Alltag in Fotos fest. Fotograf möchte er sich trotzdem nicht nennen. Nun hat er seinen ersten Film gemacht: „PottOriginale“ zeigt fünf echte Typen, wie es sie wahrscheinlich nur zwischen Herne und Duisburg, Castrop-Rauxel und Marl gibt. Im Ruhrgebiet. Bevor sein Film am 3. November im Metropol Düsseldorf-Premiere feiert, hat theycallitkleinparis mit Gerrit Starczewski gesprochen.

Stammst du selber aus dem Ruhrgebiet?

Ich bin 1986 in Oberhausen geboren. Ein Teil meiner Familie lebt immer noch dort, der andere Teil in Bochum und Wattenscheid. Pott durch und durch.

Wo und wie lebst du heute?

Am Niederrhein in einem kleinen Dorf am Rhein, Spellen. Das ist in der Nähe von Wesel. Der Legende nach ist hier die Mutter von Joseph Beuys geboren. Es gibt gefühlt mehr Kühe und Schafe als Leute. Ich mag diese Ruhe, diese Stille und brauche immer diesen Kontrast. Land und Stadt.

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Foto: PottOriginale

Was magst du am Ruhrgebiet besonders?

Schon als kleines Kind war ich von den Leuten und ihren Emotionen fasziniert. Seitdem ich 5 bin, stehe ich in der Ostkurve des VfL Bochum und bin dort sozialisiert worden. Ich mag einfach das Temperament dort. Gradlinig, offen, ehrlich, geradeaus, nicht so hinterfotzig wie in anderen Regionen. Das Ruhrgebiet ist für mich die ehrlichste Region Deutschlands. Überall, an jeder Ecke lauern Geschichten. Man muss nur die Augen und Ohren offenhalten.

Von Haus aus bist du ja Fotograf. „PottOriginale“ ist dein erster Film. Wie entstand die Idee?

Seit über 25 Jahren halte ich mein Leben und meinen Alltag in Fotos fest. Ich mag es aber nicht, mich als Fotograf zu bezeichnen. Heute fühlt sich jeder, verzeih, Lutscher als Fotograf, weil er eine digitale SLR-Kamera hat und Photoshop besitzt. Ich habe damals noch mit einer kleinen analogen Kamera angefangen. Auf Film. 36 Bilder. Man hat viel bedachter fotografiert, und dieses Kribbeln und Warten, wenn man die Bilder abholte, war jedes mal ein Nervenkitzel und wie Weihnachten feiern. Heute kann ja alles nicht mehr schnell genug sein. Die Wertigkeit des Moments, des Fotos, ist heute eine ganz andere. Sagen wir einfach ich bin Dokumentarist meines Alltags. Über die Jahre bin ich so vielen besonderen Charakteren begegnet. Vom Hartz4-Asi in der Fankurve über den Drogenrockstar, die alte Frau, die Pfandflaschen sammelt, bis zum Multimillionär. Ich habe Freunde, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aber genau das finde ich spannend. Denn scheiß auf Status und Geld, letztlich zählt immer das Wesen, der Mensch dahinter. Wer meine Fotografien kennt, weiß, ich habe nie inszeniert, sondern meine Bilder durch die Situation und den Moment sprechen lassen. Lakonische Dokumentarfotografie. Jetzt war es aber einfach mal an der Zeit Menschen Gehör und Aufmerksamkeit zu schenken, denen man sonst nie Gehör schenken würde. Und das funktioniert in einem Film nun mal besser.

Du hast den Film zusammen mit Natascha Wiese gemacht. Wie ist ihr beruflicher Background?

Natascha ist von Haus aus Cutterin und Filmerin und hat als Moderatorin bei NRW.TV gearbeitet. Ich war zweimal bei ihr in der Sendung zu Gast, um meinen Bildband über den VfL Bochum vorzustellen und mit ihr über mein nakedFUSSBALL-Projekt zu sprechen, ein Projekt gegen die Kommerzialisierung im Fußball. Sie ist in Dorsten geboren und obwohl sie in Düsseldorf lebt, im Herzen ein Kind des Ruhrgebiets. NRW.TV hat ja bekanntlich dicht gemacht und so sind wir das Projekt einfach angegangen.

Wann ist der Film entstanden?

Der Film ist zwischen März und September diesen Jahres entstanden. Ein absoluter Independent-No-Budget-Film. Von Kamera und Schnitt bis hin zu der Organisation und PR haben wir alles alleine gemacht. Das war schon ein Kraftakt.

Wie habt ihr die Protagonisten gefunden?

Ich bin durch meine Fotografien dafür bekannt, besondere Menschen festzuhalten, die man sonst nicht unbedingt wahrnimmt. Über die Jahre sind so viele Bekanntschaften zu diesen Charakteren entstanden, sodass es kein Problem war, Protagonisten zu finden. Im Gegenteil: Ich hatte eher das Problem, wen ich jetzt in den ersten Film mit rein nehme, weil ich einen unerschöpflichen Fundus an geilen Originalen habe. Insgesamt sind es fünf Protagonisten geworden.

Gibt es im Pott mehr Originale als anderswo, zum Beispiel in Düsseldorf?

Die Leute in Düsseldorf sind natürlich anders als im Pott. Im Fußballumfeld gibt es aber auch in Düsseldorf Originale. Originale sind für uns Typen, die einfach so sind, wie sie sind. Authentisch. Nicht dem Zwang verfallen anderen gefallen zu müssen. Und da ist ein wesentlicher Unterschied zu Düsseldorf. Hier legen die Leute schon größeren Wert drauf, was die anderen und das Umfeld über sie denken.

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Foto: PottOriginale

Leute wie Vokuhila-Bodo oder VfL-Jesus sehen aus, als hättet ihr sie eigens auf Pott-Asi getrimmt.

Das sind Leute, die einfach so sind. Die sind so authentisch, dass man schon wieder glaubt, dass es so was gar nicht mehr geben kann. Doch, so Leute gibt es! Aber diese Originale sterben aus. Früher in den Achtzigern war es im Pott normal Vokuhila zu tragen. Heute ist man damit sonderbar. Als ich als Kind angefangen habe zu fotografieren, war ich damit auch sonderbar. Denn Ende der Neunziger hat doch niemand fotografiert. Heute sind die Kinder sonderbar, die eben nicht bei Instagram und Co aktiv sind.

Sicher, dass da nicht von Maskenbildnern und Stylisten Hand angelegt wurde?

Wer sich mit meiner Person befasst, wird schnell merken, dass sich meine Arbeit durch Authentizität auszeichnet. Seit 2010 mache ich auf Festivals mein Nacktprojekt „nakedHEART“. Dort haben schon über 1.300 Leute mitgemacht. Kurz gesagt, geht es darum, sich selbst so anzunehmen wie man ist. Und sich trotz des ganzen Fashion- und Modewahns darauf zu besinnen, dass es immer auf das Wesen ankommt. Das geht ja heute alles immer mehr verloren. Der Körper ist doch nur ein Körper und vergänglich. Das Wesen nicht. Daher gibt es durchaus Gemeinsamkeiten zwischen „nakedHEART“ und den Protagonisten aus „PottOriginale“. Einfach sein wie man ist. Sich gefallen, nicht den anderen.

Was entgegnest du jenen, die Sorge haben, dass die Leute vorgeführt werden?

Leute, die den Film beurteilen, ohne ihn gesehen zu haben, kann ich nicht ernst nehmen. Bei den Vorführungen sind auch immer ein, zwei Protagonisten dabei. Spätestens dann merkt der Betrachter also, die Typen sind ja wirklich so wie im Film.

Wie viele Aufführungen von „PottOriginale“ gab es bereits?

Nach Bochum, Wesel, Hamburg, Berlin und Köln ist Düsseldorf die sechste Aufführung. In Berlin haben wir sogar drei Säle im legendären Babylon-Kino bespielt.

Wie kam der Film im Ruhrgebiet an? Wie anderswo?

95 Prozent der Leute waren begeistert. Wir haben so viele Feedback bekommen, dass wir gar nicht hinterherkommen, allen zu antworten. Unser Projekt ist ja erst am Anfang. Mit einem ersten Film kann man kaum mehr erreichen. Und wir sprechen mit unserer Idee, Menschen unverfälscht zu zeigen, die man sonst im Leben nicht beachtet, eben vielen aus dem Herzen. Heute sind es alle gewohnt, durch Trash-Formate wie „Bauer sucht Frau“, dass Leute, die die Haare länger haben, durch den Kakao gezogen werden. Wir hingegen wollen Menschen würdigen und ihnen eine Bühne geben. Die Leute tun sich teils schwer mit echten Geschichten und echten Typen, weil so viele verblendet sind durch die täglichen Reize in den Medien.

Das Metropol ist bereits ausverkauft. Denkt ihr über eine Zusatz-Vorstellung nach?

Das Metropol war in drei Tagen mit 140 Karten ausverkauft. Was natürlich ein großer Erfolg ist. Da wir bewusst an unseren Veranstaltungen auf Freikarten und Gästeliste verzichten. Auch in Berlin kamen 130 zahlende Gäste. Das hat ja eine ganz andere Gewichtung. Ja, vielleicht zeigen wir den Film nochmal in Düsseldorf. Sonst gibt es auf jeden Fall am 16.11. die Möglichkeit, ihn in Bochum zu sehen.

Sind weitere Filme in Planung?

Wir sind schon fleißig dabei zu drehen. Wie bereits gesagt, wir kennen so viele spannende Charaktere. Wenn alles gut läuft ist „PottOriginale Teil 2“ im März fertig. Und dann kommen wir ganz sicher wieder ins Metropol.

3.11., 19 Uhr, Metropol, Düsseldorf (ausverkauft)

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