Stefanie Volkenandt im Interview – „Es geht ums Überleben“

Die Ariadne ist die einzige Notunterkunft in Düsseldorf, die ausschließlich obdachlose Frauen aufnimmt. 20 Betten stehen in dem Haus im Stadtteil Oberbilk zur Verfügung. Stefanie Volkenandt hat 12 Jahre in der Einrichtung gearbeitet. Heute ist die 41-jährige Sozialarbeiterin Sachgebietsleitung ‚Hilfen für Frauen‘ bei der Diakonie und als solche für die Ariadne zuständig.

Seit wann gibt es die Ariadne?

Das Haus hat 2004 eröffnet.

Wieso der Name?

In Anlehnung an die griechische Mythologie: Ariadne gab Theseus ein Wollknäuel mit in das Labyrinth, in dem er Minotaurus zum Opfer fallen sollte. Er konnte Minotaurus besiegen und anhand des Wollfadens, den er beim Eingang ins Labyrinth festgebunden hatte, wieder herausfinden. Es geht also um den „Ariadnefaden“ oder darum, „den Faden wieder aufzunehmen“.

Worin besteht der Unterschied zu einem Frauenhaus?

Die Ariadne ist eine Unterkunft ausschließlich für obdachlose Frauen, während ein Frauenhaus vor allem Frauen als Zufluchtsstätte dient, die in der Partnerschaft Gewalt erfahren haben und daher an einen sicheren Ort fliehen müssen. Die Adressen von Frauenhäusern werden deshalb auch geheimgehalten, damit die Frauen nicht auffindbar sind. Das ist bei der Ariadne nicht der Fall. Die hat sogar ein Schild an der Tür.

Wie viele Frauen könnt ihr aufnehmen?

Das ist ein wenig kompliziert. Wir haben hier 20 Betten. Zusätzlich dazu gibt es aber noch eine provisorische Ausweichmöglichkeit auf der Eisenstraße, das ist eine normale Obdachlosenunterkunft, in der überwiegend Männer schlafen. Dort können sich die Frauen allerdings nur von 18 Uhr bis 8:30 Uhr aufhalten. Im Jahr 2015 kamen wir auf durchschnittlich 27 belegte Betten pro Tag. Seit 2015 betreibt die Diakonie zusätzlich noch eine Wohnung ausschließlich für Mütter mit Kindern auf der Brehmstraße. Die ist zu 100 % aus Spenden finanziert.

Was sind das für Frauen, die zu euch kommen?

Es gibt zwei große Gruppen. Über 50 Prozent unserer Bewohnerinnen haben keinen deutschen Pass. Und die andere Hälfte hat Sucht- oder psychische Probleme. Die meisten kommen über die Polizei, das Ordnungsamt oder die Bahnhofsmission zu uns.

Du sagst, über 50 Prozent haben keinen deutschen Pass. Hat sich, was diese Zahl angeht, auch der starke Flüchtlingszustrom bemerkbar gemacht?

Bereits vor der sogenannten Flüchtlingskrise hatten wir einen hohen Anteil Übernachterinnen ohne deutschen Pass. Diese Zahlen sind über die Jahre kontinuierlich gestiegen. In 2015 gab es nochmal einen Anstieg durch anerkannte Flüchtlinge.

Aus welchen Ländern kommen die Frauen?

Das hat sich im Laufe der Jahre verändert. Bis 2011 machten die Osteuropäerinnen die größte Gruppe unter den ausländischen Frauen aus. 2015 waren Syrerinnen am stärksten vertreten. Insgesamt kamen die Frauen aber aus 43 unterschiedlichen Nationen.

Dann ist die Verständigung sicher auch ein Problem, oder?

In der Tat. Mit 27 Prozent der Frauen, die hier untergebracht werden, ist keine Verständigung auf Deutsch oder Englisch möglich.

Wie löst ihr das, habt ihr einen Dolmetscher?

Nein. Die Verständigung funktioniert mit Händen und Füßen.

Was machen die Frauen den ganzen Tag lang? Gibt es Freizeitangebote?

Das werden wir oft gefragt, aber, nein, die gibt es nicht. Dafür ist der Zustand der Frauen hier einfach zu schlecht. Es geht ums Überleben. Selbst untereinander findet kaum Austausch statt, obwohl die Frauen ja in der Regel in 2-Bett-Zimmern untergebracht sind.

Und wie lange bleiben sie hier in der Ariadne?

Der überwiegende Teil, über 40 Prozent, bleibt maximal fünf Tage. Ein weiteres Viertel nicht länger als einen Monat. Es gibt aber auch eine Bewohnerin, die schon über ein Jahr bei uns ist.

Wie viele der Frauen bewohnen nach ihrer Zeit hier wieder eine eigene Wohnung?

Das schaffen leider die wenigsten, nur knapp 9 %. Bei den meisten, ungefähr einem Drittel, wissen wir gar nicht, wo sie hingehen. Viele gehen aber auch von hier aus in Notunterkünfte.

Wie lange arbeitest du schon hier?

Ich habe vor zwölf Jahren, als die Ariadne eröffnet wurde, hier angefangen und dann zunächst im Nachtdienst gearbeitet. Später bin ich dann in den Tagdienst gewechselt. Seit Februar dieses Jahres bin ich nicht mehr vor Ort in der Ariadne, aber als Sachgebietsleitung ‚Hilfen für Frauen‘ für die Einrichtung zuständig.

Wie oft bist du heute noch hier?

Im Schnitt einmal pro Woche.

Kannst du uns einen Fall schildern, der dich besonders berührt hat?

Ja. Die Frau war eine ehemalige Lehrerin, also jemand, der aus der Mitte der Gesellschaft kam. Es gab keine finanziellen Probleme. Keine Gewalt. Sie hatte eine Psychose. Das haben ungefähr 1 % der Gesamtbevölkerung. Unter den Wohnungslosen sind 25 bis 30 % betroffen. Die Chance, dass Menschen mit einer Psychose obdachlos werden, ist extrem hoch.. Sie bekommen ihr Leben einfach nicht mehr geregelt. Trotzdem dürfen sie nicht gegen ihren Willen in eine Psychiatrie gesteckt werden. Das erfordert immer die Einsicht des Patienten. Die ist aber bei Menschen mit Psychose eigentlich nie gegeben. Bei der besagten Lehrerin haben wir es dennoch damals geschafft, dass sie in eine Psychiatrie kam. Zwei bis drei Monate war sie dort, wurde mit Psychopharmaka behandelt. Danach kam sie zu uns und war eigentlich noch schlechter dran als vorher. Jetzt war sie nämlich auch noch mit Medikamenten vollgepumpt. Das hat mich damals sehr berührt.

Spendenkonto:

Stadtsparkasse Düsseldorf, IBAN DE87300501100010105757, BIC DUSSDEDDXXX, Stichwort: Weihnachten 2016

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