Stefan Schneider im Interview – „Wenn man immer über die gleichen Namen spricht, geht die Vielfalt verloren“

Stefan Schneider scheint niemand zu sein, der zum schnellen Wegwerfen neigt. Schon gar nicht, wenn es um Musik geht! In einer trockenen Kiste haben rund 50 Kassetten mit elektronischer Musik aus den 1980er Jahren überlebt. Daraus ist nun die Compilation „SAMMLUNG“ entstanden. theycallitkleinparis hat mit Stefan Schneider gesprochen.

Wie entstand die Idee zu SAMMLUNG?

Die Idee dazu ist über einen längeren Zeitraum gereift, hatte aber nicht von Anfang an dieses Format. Als Bureau B mich einlud, eine Compilation für das Label zusammen zu stellen, hatte ich zunächst Zweifel, ob ich überhaupt etwas über die musikalische Geschichte von Düsseldorf machen möchte. Die kulturelle Vergangenheit der Stadt wird in den letzten Jahren – sei es nun in der bildenden Kunst oder in der Musik – so stark wiederbelebt, dass die vielen interessanten zeitgenössischen Aktivitäten dagegen in der Öffentlichkeit, zumindest der Düsseldorfer, scheinbar kaum wahrgenommen werden. Daher wollte ich zu diesen Retromythen nicht auch noch ein Kapitel beisteuern. Schließlich hat mich aber einfach das tolle und heute völlig unbekannte Material von den Kassetten begeistert und so habe ich mit der Arbeit begonnen. Ich wollte mit SAMMLUNG auch zeigen, dass es in der Stadt eine elektronische Musik gab und gibt, die sich nicht auf Krautrock bezieht, sondern die eher den Blick auf England oder Amerika hatte, zum Teil natürlich auch auf Bands die wiederum von Can, Neu! oder Cluster beeinflusst waren. Der beschriebene Zeitraum auf SAMMLUNG, 1982 bis 1989, ist auch politisch eine interessante Zeit. Die Jahren zwischen den kulturellen Aufbrüchen der Siebziger und dem Verschwinden von DDR und BRD. Zusammen mit Oliver Tepel, der die Linernotes geschrieben hat, wollten wir Entwicklungen dieser Zeit beschreiben, die in Düsseldorf vermutlich ebenso stattfanden, wie in anderen Städten. Wir wollten ganz klar ohne Zeitzeugen-Statements auskommen, die zum tausendsten Mal erzählen wie wild früher alle waren.

Die Resonanz auf Facebook war ja ziemlich gut. Wie viele Bestellungen haben dich schon erreicht?

Die Compilation wird von dem Hamburger Label Bureau B veröffentlicht. Dort gehen hoffentlich viele Bestellungen ein. Die Resonanz, auch von der Presse im Ausland, ist bisher gut.

Du möchtest nun mit SAMMLUNG einige, wie du sagst, blinde Flecken zeigen. Kannst du ein paar Beispiele nennen?

In den retrospektiven Betrachtungen von Kultur in Düsseldorf geht es zuletzt oft um die gleichen Zeitabschnitte, Themen, Aktionen oder Namen. In der bildenden Kunst stehen meist die späten Sechziger bis späten Siebziger im Zentrum der Nachbetrachtung. In der Musik wird über eine ähnliche Zeitspanne und ähnliche Schwerpunkte beziehungsweise Namen recherchiert. Es schien mir in den letzten Jahren so, dass dabei viele musikalische Erscheinungen und damit eine enorme Vielfalt, damals wie heute, komplett übersehen wird. Manchmal entsteht ja fast der Eindruck, als wenn seit Anfang der Achtziger in Düsseldorf nichts mehr passiert ist. Der EGO Club, als ein Beispiel, wird bislang überhaupt nicht erwähnt, dabei war das Ende der Neunziger für viele Leute ein wichtiger Ort für elektronische Musik. Ich habe 2007 begonnen, die Zusammenhänge von bildender Kunst und experimenteller beziehungsweise elektronischer Musik von den Sechzigern bis heute in der Stadt genauer zu untersuchen. Das war ein Projekt, das zusammen mit Ulrike Groos und Peter Gorschlüter, der damaligen Leitung der Kunsthalle, entstand. Bei SAMMLUNG steht die eigene Begeisterung für diese Musik im Vordergrund und der Gedanke, etwas zur Verfügung zu stellen, das so noch nicht gesehen wurde.

Die Aufnahmen stammen aus den Jahren 1982 bis 1989. Wie viele Kassetten aus dem besagten Zeitraum besitzt du noch?

Ich denke, es sind etwa 50. Die lagen jahrelang in einer trockenen Kiste. Das Meiste davon war damals getauscht worden oder hat sich irgendwie angesammelt. Bis eben 2015 die Anfrage von Bureau B kam, eine Compilation zusammen zu stellen.

Und die hast du alle durchgehört, um ein Best of herauszufiltern?

Ja, das habe ich in Abständen über einige Wochen gemacht. Einige Musiker, die auf SAMMLUNG vertreten sind, haben auch selber noch Sachen von sich rausgesucht, nachdem ich sie angesprochen hatte. Dadurch hat sich die Auswahl noch erweitert. Einige dieser Stücke, zum Beispiel von Konrad Kraft oder Dino Oon, haben sich von meinen ursprünglichen Vorschlägen unterschieden und die Compilation elegant verbessert. Unter anderem war mir wichtig, dass die Produktionen insgesamt nicht klischeehaft nach Achtzigern klingen. Dennoch bilden sich in der Zeitspanne 1982 bis 1989 zum Beispiel die Übergänge von analogen zu digitalen Techniken, die den Klang der Achtziger-Musik in allen Bereichen bestimmt haben, auch hier ab.

Hat die Soundqualität nicht extrem gelitten innerhalb der langen Zeitspanne, die seitdem vergangenen ist. Oder kann man das technisch optimieren?

Die Kassetten die ich habe, sind größtenteils nur Kopien vom Original. Daher mussten wir in allen Fällen das Mastertape suchen. Es wurden auch fast alle gefunden. Der Klang von Tonband an sich ist wunderbar und so haben wir bei der Digitalisierung darauf geachtet, den Sound des Originals nicht zu überholen oder gar zu aufzumöbeln. Andererseits sollten die musikalischen Prozesse in den einzelnen Stücken natürlich hörbar und nicht verrauscht sein. Detlef Funder (Konrad Kraft) hat ein wirkliches tolles Mastering von dem Album gemacht.

Das Coverfoto zeigt eine Aufnahme von dir, das 1984 im Düsseldorfer Hafen entstanden ist. Warum hast du gerade dieses Bild ausgewählt?

Ich hatte damals begonnen, selber Musik zu machen, und war ein paar Wochen bei der Künstlerin und Beuys-Schülerin Erinna König im Atelier, wo ich meine wenigen Geräte aufbauen konnte. Von dort bin ich oft in den nahen Hafen gelaufen und habe am Wochenende Industriegebäude fotografiert. Die Fotografie war für mich eine Motivation, mir Orte zu erschließen, an denen ich sonst nichts zu tun hatte. Zudem waren zu der Zeit im Hafen einige Künstlerateliers, auf der Brückenstraße ein Ausstellungsraum, in dem Thomas Ruff erstmals seine Porträts gezeigt hat. Und der Heartbeat-Plattenladen war in der Nähe.

SAMMLUNG ist auf CD, Vinyl und streng limitiert auch auf Kassette zu haben. Wo bekommt man die Compilation in Düsseldorf?

Bei Hitsville, A&O Medien, Slowboy und im Mean Store auf der Stresemannstraße. Die limitierte Kassetten-Edition ist ausschließlich über die Website von Bureau B zu bestellen.

Zuletzt eine Frage zu deiner anderen Baustelle, der Fotografie. Im Rahmen des Duesseldorf Photo Weekend wurde am vergangenen Freitag eine Ausstellung von dir im A.R.T. Hotel Ufer eröffnet. Was für Fotos zeigst du dort?

Der Reiz dabei war, Fotos an einem Ort zu zeigen, der kein Kunstraum ist. Am Wochenende waren alle fünf Zimmer, in denen die Bilder hängen, nicht vermietet. Jetzt bleiben sie noch über eine Monat dort und treffen alle paar Tage auf andere Gäste beziehungsweise Betrachter. Ich habe erstmals Aufnahmen aus weit entfernten Orten, aus Singapur, Tokyo, Shanghai, Göteborg und Danzig, gezeigt, an die ich wohl ebenso zufällig, durch Konzerte nämlich, gekommen bin, wie vielleicht Gäste aus aller Welt im Hotel Ufer ankommen.

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