Michael Zobel ist Naturführer und Waldpädagoge. Einmal monatlich führt er Interessierte durch den Hambacher Forst. Und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Der 58-Jährige ist leidenschaftlicher Braunkohle-Gegner und sympathisiert mit den Baumbesetzern. Auch letztere trifft man im Rahmen von Zobels Spaziergängen.
Es ist ein kalter, klarer Tag im Januar. Der Himmel über dem Hambacher Forst ist hellblau, kein Wölkchen in Sicht. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt stapfen weit über 200 Menschen durch den Hambacher Forst. Sie haben sich dick eingepackt, tragen Wollpullis, Mützen, Outdoorjacken und schwere Stiefel. Der jüngste Teilnehmer ist gerade mal drei Monate alt. Die älteste ist 66. Frau Martin aus Aachen. Sie ist bei fast jedem Waldspaziergang durch den Hambacher Forst dabei. Frau Martin trägt ein Transparent auf dem Rücken. Die Aufschrift klingt nicht wie eine Forderung. Sondern wie ein Befehl. „Hambacher Forst bleibt“. Frau Martin sieht aus wie eine Senioren-Version von Superman in grüner Mission. Sie hat eine Tüte dabei mit Verpflegung für die Baumbesetzer. Die Aufschrift der Tüte wirbt für ein Magen-Darm-Gel. Kurz darauf kommt es zur Übergabe.
Rot-weißes Flatterband markiert das besetzte Terrain, hier leben jene Aktivisten, die man aus den Nachrichten kennt. Die Blicke der Waldspaziergänger wandern nach oben, in die Baumkronen. Nun, da die Bäume kein Laub tragen, sind die aus Brettern gezimmerten Buden gut zu sehen. „Hallo, ist jemand zuhause“, ruft Michael Zobel. Und tatsächlich, man könnte eine Inszenierung vermuten, gibt sich ein Aktivist zu erkennen. Fünf, sechs Meter über dem Boden tritt er auf die Terrasse seines Baumhauses und winkt. Er trägt Militärfarben und eine Sturmhaube, die lediglich Augen und Mund freilässt. Kurz darauf seilt er sich ab und stellt sich den Fragen der Teilnehmer. Er sei erst seit ein paar Tagen im Hambacher Forst, erklärt „Sushi“ auf Nachfrage. Vorher habe er in Pforzheim ein Autonomes Zentrum mit aufgebaut. Er spricht mit leichtem süddeutschem Dialekt. Warum er sich vermummt, will jemand wissen. „Aus Angst vor Repression“, erklärt er. Was für Tiere er im Wald gesehen hat? „Eichhörnchen, Rehe, Wildschweine. Vögel, natürlich.“ Frau Martin umarmt den Aktivisten, der ihr Enkel sein könnte, und übergibt ihm die Verpflegungstüte. Überhaupt ernähren sich die Waldbesetzer in erster Linie von gespendeten Lebensmitteln. Hungern muss also niemand. Und manche der Baumhäuser sind sogar beheizt.
Trotzdem möchte von den Wald-Besuchern niemand mit den Besetzern tauschen. „Ich bewundere sie sehr für das, was sie tun“, sagt eine Frau mit grauem Haar und roter Jack-Wolfskin-Jacke. „Sushi“ hat sich mittlerweile seiner Sturmhaube entledigt. Er sieht noch jünger aus, als zunächst vermutet. Auf Nachfrage gibt er sein Alter preis. Er ist gerade mal 17. Die meisten, die das tun, was er tut, machen das nicht ihr Leben lang. Sondern nur ein paar Monate. Dann beginnen sie ein Studium. Machen eine Ausbildung. Solange sie aber im Wald sind, riskieren sie einiges. Allein in dieser Rodungssaison waren drei Aktivisten in Untersuchungshaft. Und bei den Räumungen, so erzählt Michael Zobel, steht man schon mal einem Aufgebot von mehreren Hundert Leuten gegenüber. Polizei, technische Einsatzkräfte, Sanitäter, Feuerwehr, RWE-Mitarbeiter. Der Weg bis zu den Baumhäusern ist für sie und ihre Gerätschaften allerdings einigermaßen beschwerlich. Die Aktivisten haben nämlich überall Barrieren aus Ästen und Stämmen errichtet und Gräben gebuddelt. Die Frage, ob ihnen den Tag über nicht langweilig sei, dürfte damit also auch beantwortet sein.
An einer Kreuzung zweier Wege macht Zobel kurz danach erneut Halt. Er möchte etwas über die Vegetation erzählen. Stieleichen und Hainbuchen seien typisch für den Hambacher Forst. „Und Maiglöckchen. Die wuchsen früher hier annähernd flächendeckend“, sagt Zobel. Mittlerweile seien allerdings nur noch kleine Restbestände übrig. Mit seinem Ranger-Hut und dem robusten Karohemd wirkt Zobel wie einer, der den überwiegenden Teil des Tages an der frischen Luft verbringt. Sommers wie winters. Seine Stimme ist kräftig. Die über 200 Leute ohne Megafon oder Mikro zu erreichen, ist für ihn kein Problem. Zobels Spaziergang ist eine Mischung aus Demonstration, naturkundlicher Führung und Freiluftgottesdienst. Gesungen wird nämlich auch. Eine Gruppe junger Ende Gelände-Mitstreiter hat das Steigerlied umgetextet und trägt die neue Anti-Kohle-Version nun mehrstimmig vor. Die Gesichter der jungen Sänger sind gerötet. Vor Glück. Und sicherlich auch vor Kälte. Wenig später ist Mittagspause. Volxküche am Waldrand. Das Angebot ist umfangreich. Gemüsesuppe mit Tofu. Nudeln aus einer riesigen Pfanne. Zum Nachtisch Lebkuchen und Miniatur-Schokotäfelchen. Saft und Tee gibt’s auch. „Und nicht vergessen zu spenden“, ruft Koch Pierre und zeigt auf die direkt neben der Pfanne platzierte Spendendose.
Der Trupp zieht weiter. „Jetzt geht es zum Inferno“, kündigt Zobel an und klingt dabei ein bisschen wie die Bild-Zeitung, die er ganz sicher nicht liest. Als wir die Rodungskante erreichen, sehen wir allerdings, dass er nicht zu viel versprochen hat. Oder besser zu wenig. So weit das Auge reicht steht hier nirgends mehr ein Baum. Und auch sonst nichts. Der Boden ist grau-braun, die Teilnehmer waten durch Matsch, klettern über Äste und Erdhügel. Zahlreiche Stapel aus abgeholzten Stämmen warten auf Abtransport. Ihre neongelben Markierungen wirken bedrohlich. Das Ende der Welt, es könnte nicht ungastlicher sein. Hinter den gerodeten Flächen öffnet sich das Loch des Hambacher Tagebaus. 370 Meter ist es tief. Acht Bagger arbeiten hier. 24 Stunden am Tag. Sieben Tage die Woche. 365 Tage im Jahr. Solange sie das tun, wird das Loch immer größer werden. Und der Hambacher Forst immer kleiner. Michael Zobel weiß das natürlich. Und er weiß, dass er gegen den Energieriesen RWE kaum eine Chance hat. Weitermachen wird er trotzdem.
Die nächsten Führungen durch den Hambacher Forst finden am 19.2., 19.3. und 23.4. statt. Treffpunkt ist der Parkplatz Grillplatz Manheimer Bürge. Anmeldung und Infos hier.
2 Kommentare
Kommentieren„Gesungen wird nämlich auch. Eine Gruppe junger Ende Gelände-Mitstreiter hat das Steigerlied umgetextet und trägt die neue Anti-Kohle-Version nun mehrstimmig vor.“
Genau diesen Text hätte ich gern. Mir ist da leider nichts eingefallen. Ich wollte da schon immer einen Anti-Text schreiben.
Meine Version:
https://www.youtube.com/watch?v=s0_OWOvr3vo
Der Originaltext ist eher ein Platzhalter.
LG Gerd
Lieber Gerd,
in der Sache müsstest du dich an die Aktivisten von Ende Gelände wenden.
Da kann ich leider nicht helfen.
Viel Erfolg!