Die Agentur für Arbeit ist ein Ort, den niemand gerne aufsucht. Umso wichtiger ist es, wie die Mitarbeiter vor Ort einem entgegen treten. Stefan Dresen macht es seinen Kunden sehr leicht. „Ich begegne jedem Menschen auf Augenhöhe“, sagt der 55-Jährige. Behaupten würden das vermutlich viele von sich. Aber Dresen handelt auch dementsprechend. Im Unterschied zu manch anderem Kollegen begrüßt er die Kunden zum Beispiel mit Handschlag. Eine Kleinigkeit, vielleicht. Aber mit großer Wirkung. Für ihn sei das eine Frage des Respekts, so Dresen. „Die Leute, die hier vorsprechen, sind ja in einer schwierigen Situation.“ Sie kommen zu ihm, um sich arbeitslos zu melden. Brauchen ein Schriftstück für die Rentenversicherung. Oder für die Krankenkasse. Wohl fühlt sich in der Rolle des Arbeitslosen, des Bittstellers, des Leistungsempfängers niemand.
„Was kann ich für Sie tun?“ lautet standardmäßig die erste Frage von Stefan Dresen. Eigentlich weiß er zu dem Zeitpunkt bereits, aus welchem Grund sein Gegenüber da ist. Bei der Anmeldung am Empfang gibt jeder Kunde sein Anliegen an, die entsprechende Kurzinfo bekommt Dresen auf seinen Rechner. „Alo-Meldung“ steht dann da. Oder „Krankengeld läuft aus“. Darüber hinaus nicht selten der Zusatz „Möchte zu Stefan“. „Das bin ich“, sagt Dresen. Seine Kunden holt der schlanke Mann mit dem kurzen grauen Haar wie die restlichen 26 Kollegen aus seiner Abteilung persönlich im Wartebereich ab. In der Agentur für Arbeit ist der Kunde keine Nummer. Jeder Besucher wird mit Namen aufgerufen. „Es gibt natürlich auch Leute, die das unangenehm finden“, weiß Dresen, aber in diesem Fall könne man einfach am Empfang Bescheid geben und werde dann in ein separates Büro geleitet. Sei aber eher selten, „ich hatte das in der ganzen Zeit, die ich hier arbeite, erst zwei Mal“.
Seine Erinnerung reicht, was die Agentur für Arbeit angeht, zurück bis ins Jahr 2010. Damals fing er als Fachassistent in der Eingangszone an. Bevor er zur Arbeitsagentur kam, war der gebürtige Oberbilker, den es mittlerweile nach Bilk verschlagen hat, 26 Jahre in Diensten der Deutschen Post. Dort hat er ganz unterschiedliche Aufgaben erledigt. Die Geldsammelkasse hat er zum Beispiel betreut. LKW ist er gefahren. Er saß also nicht immer am Schreibtisch. Irgendwann wurde dann die Deutsche Post zur Post AG, aus der Behörde wurde eine Akziengesellschaft. Dresen erfuhr am eigenen Leib, was der Begriff „Umstrukturierung“ meint. Er sah keine Möglichkeit mehr, sich weiterzuentwickeln – und bewarb sich bei der Agentur für Arbeit. Dort hat er derzeit eine 30-Stunden-Woche. Gegen 6:30 Uhr ist er vor Ort. Dann steht erst mal eine Stunde Bürokram auf dem Programm. Ab 7:30 Uhr herrscht dann Kundenverkehr. Dienstschluss: „Round about 13 Uhr“. 10 bis 15 Leute kommen täglich zu ihm. „Direkte Kundenvorsprachen“ heißt das im Arbeitsagentur-Deutsch. Wie lange ein Gespräch dauert, hänge dabei von der Komplexität des Einzelfalls ab. Normal sind 10 bis 15 Minuten. „Aber es gibt auch Kunden, die mit Dolmetscher kommen, bei denen die Kommunikation immer über Dritte geht. Das ist natürlich zeitaufwendiger.“ Entscheidend bei jedem Kontakt ist laut Dresen übrigens die Gesprächseröffnung. „Wenn du ein gutes Entrée hast, verläuft das weitere Gespräch auch dementsprechend“, sagt er. 90 Prozent der beruflichen Begegnungen verlaufen freundlich, „vielleicht sogar 95“. Der Rest? Sachlich-professionell. Wird es schon mal laut? „Kann vorkommen“, räumt er ein, „aber nicht bei mir“. Muss an seiner Gelassenheit liegen. Man kann sich kaum etwas vorstellen, das den 55-Jährigen aus der Ruhe bringen könnte.
Stefan Dresen macht seine Arbeit gern. Man müsse den Kundenkontakt mögen, sagt er. „Der eine mag es mehr. Der andere mag es weniger. Ich mag‘s. Grundsätzlich bin ich Menschenfreund.“ An den meisten Tagen des Jahres freut er sich auf die Arbeit. Dass das bei den momentanen Entwicklungen in Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt eher die Ausnahme als die Regel ist, ist ihm durchaus bewusst. In seinem privaten Umfeld beobachte er, dass es einerseits Leute gebe, „die sehr, sehr viel zu tun haben und gar nicht mehr in die Freizeit kommen“. Aber auch viele, die über ihre Arbeit klagen, aber nichts daran ändern können oder wollen.
Arbeitslos war Stefan Dresen in seinem Leben noch nie. Aber darüber nachgedacht, wie er sich in einer solchen Situation verhalten würde, hat er durchaus. Man müsse schauen, dass man die Struktur beibehält, rät Dresen. Er für sein Teil glaubt nicht, dass er zu „Schluffigkeit“ neigen würde. Aber vermutlich wird er in die Situation auch nicht mehr kommen. Hat er eigentlich Beamtenstatus? „Jein“, antwortet er. Aber das jetzt zu erklären, sei zu kompliziert. Ohnehin ruft die Arbeit. Für das Interview war eine Stunde Zeit angesetzt. Die ist fast vorbei. Dresen muss wieder runter in die Eingangszone E312. Ein Großraumbüro, dessen Arbeitsplätze mit Raumtrennern voneinander abgeschottet sind. Dresen nimmt am Schreibtisch Platz, steckt seine Karte in den Rechner. Durch die gläsernen Wände fällt der Blick in einen Innenhof. Hinter ihm an der Trennwand hängt ein Kalender für das Jahr 2017. Termine hat er nicht eingetragen. „Vielen Dank für Ihre Zeit“, sage ich zum Abschied. „War nicht meine Zeit“, erwidert Dresen, „war die Zeit der Arbeitsagentur“. Dann steht er auf, um den nächsten Kunden im Wartebereich abzuholen.