Kreidler sind in der Vergangenheit nicht unbedingt als eine politische Band aufgefallen. Trotzdem haben sie ihre neue Platte „European Song“ genannt. Das Material, das sie ursprünglich veröffentlichen wollten, findet sich nicht darauf. Es passte plötzlich nicht mehr zur Zeit. theycallitkleinparis hat mit Thomas Klein und Detlef Weinrich von Kreidler gesprochen.
Das Material, das von euch eigentlich erscheinen sollte, ist Anfang vergangenen Jahres bei Studio-Sessions in Mexiko City entstanden. Ein leichtes, minimalistisches und verspieltes Album sollte es werden. Warum habt ihr das Material letzten Endes dann doch nicht veröffentlicht?
Thomas Klein: Der Impuls kam von der Berliner Fraktion. Andreas und Alex haben gerade unsere letzte Session in Düsseldorf editiert, als die Wahlergebnisse aus den USA in den Medien verkündet wurden. Das hatte eine derart lähmende Wirkung für unser ursprüngliches Vorhaben, dass erst mal die Arbeit an den Aufnahmen brachlag. Dann kam der Anruf aus Berlin, ob wir uns kurzfristig für ein bis zwei Tage in Hilden zu einer spontanen Session treffen können. Die ursprünglichen Aufnahmen aus Mexiko sind durch den Einschub der neuen Platte sehr weit weg gerückt. Ich bin selber neugierig, wie sich das jetzt anhört. Allerdings haben wir auch kurz nach unserer letzten Platte „ABC“ schon hier und da Sessions mitgeschnitten und Stücke entwickelt. Da schlummert also noch einiges mehr im Kästchen.
Das Material, das ihr in Hilden eingespielt habt, war aber komplett neu. Habe ich das richtig verstanden?
Thomas Klein: Komplett neu. Ein paar Skizzen gibt es natürlich immer, aber diesmal hatte ich persönlich keine Gelegenheit, vorher was zu hören. Wir haben einfach angefangen und uns so langsam reingeschraubt.
Detlef Weinrich: Genau, alles ging noch mal von vorne los und die Stücke haben sich aus einer Session heraus entwickelt. Die eigentliche Idee war es möglichst viel Energie in die Platte zu bringen. In diesem Sinne war es doch ein Arbeiten, das sich über Jahre bewährt hat.
Wie würdest du die Stimmung beschreiben, aus der heraus die fünf Stücke entstanden?
Thomas Klein: Die Stimmung wird für mich in erster Linie durch die Studiosituation bestimmt – und die war sehr angenehm bei „Urwald Orange“. Oft gibt es ja eine räumliche Trennung des Schlagzeugs wegen der Übersprechungen der Signale. Das ging dort sowieso nicht, es wäre also möglich gewesen, Blickkontakt aufzunehmen. Auch wenn wir uns nicht wirklich anschauen, ist das psychologisch wichtig. Zudem war es cool, Sebastian Philipp als technische Hilfe dabei zu haben.
Detlef Weinrich: Ich selbst konnte nur einen Tag dabei sein, aber ich liebe dieses schnelle Arbeiten. Ich bin immer recht ungeduldig im Studio und dementsprechend froh, wenn es vorbei ist. Das heißt natürlich nicht, dass es keinen Spaß macht.
Die neue CD trägt den Titel „European Song“. Versteht sich Kreidler eigentlich als politische Band?
Thomas Klein: Nein, eher nicht.
Detlef Weinrich: Jedenfalls nicht im eigentlichen Sinne. Aber grundsätzlich ist man immer politisch als Künstler, sobald man eine Position vertritt, die sich dem Außen nähert und manifestiert. Sich gegen geläufige Muster des Mainstreams zu stellen, ist eine politische Aussage.
Engagiert ihr euch über das künstlerische Werk hinaus politisch?
Thomas Klein: Ich arbeite seit einigen Jahren mit einem Verein namens Kabawil in Projekten vorwiegend mit Jugendlichen mit unterschiedlichstem ethnischen und sozialen Background. Ich hab in dem Kontext auch ein paar Flüchtlingsprojekte gemacht. Ich möchte mich nicht als Aktivist bezeichnen, aber auch wenn du dich in vielleicht vorwiegend ästhetischen Entscheidungsprozessen bewegst, vertrittst du dabei ja Prinzipien, die politische Relevanz haben.
Detlef Weinrich: Ich betätige mich nicht in dieser Richtung.
Ihr arbeitet ja ohne Gesang und ohne Texte. Wie schafft man es als Band, ein bestimmtes Thema beziehungsweise eine Botschaft ohne Worte zu vermitteln?
Thomas Klein: Wie schon gesagt, ästhetische Aussagen trifft man ja auch nicht aus heiterem Himmel. Man hat zu allen gesellschaftlichen Entwicklungen eine gewisse Grundhaltung. Ich erwarte auch keine konkrete Lebenshilfe von einem Musiker, außer vielleicht als Privatperson. Ich bin einigermaßen fassungslos über den rechten Vorschub in Europa und über eine Figur wie Trump als Führungsperson eines Landes auch. Da finde ich es natürlich wichtig, seine eigene Positionen klar zu vertreten. Dennoch denke ich, dass man als Band in seiner künstlerischen Form damit umgehen sollte. Wir haben mit Kreidler eigentlich immer versucht, jeglichem Schubladendenken entgegen zu wirken und Klischees zu vermeiden. Um unsere Alben zu mögen, bedarf es einer gewissen offenen, urban geprägten Geisteshaltung.
Detlef Weinrich: Ich stimme Thomas voll und ganz zu. Persönlich habe ich aber schon den Eindruck, dass eine gewisse sprichwörtliche Sprachlosigkeit in der Kunst herrscht und dem gilt es etwas entgegen zusetzen. Wie das genau aussieht, muss man sich wieder erarbeiten, was nicht einfach ist. Wir für unseren Teil machen etwas und wir sind erst mal sauer darüber, wie sich die Welt im Moment darstellt.
Das Cover stammt von Rosemarie Trockel. Inwiefern hat es einen Bezug zum Inhalt?
Thomas Klein: Ich glaube, es gibt verschieden Lesarten. Für mich ist der goldene oder vergoldete Mythos von Schnelligkeit und PS zum bewegungsunfähigen Schaustück erstarrt, zur Skulptur. Die Umgebung scheint aber eher ein urbanes Trümmerfeld zu sein. Vielleicht zeigt die Situation am ehesten einen Wandel der Paradigmen, einen Übergang.
Detlef Weinrich: Genau. Die Welt ist in Trümmern.
Was passiert mit dem anderen Material, dem, das ihr in Mexiko aufgenommen habt? Wartet ihr auf ruhigere Zeiten?
Thomas Klein: Wir werden auf unserer Tour oder danach entscheiden müssen, ob die Entwürfe für die eigentlich geplante Platte noch Bestand haben. Das kann man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht voraussehen.
Stefan Schneider hat in einem Interview mit theycallitkleinparis vor einigen Wochen gesagt, dass die kulturelle Vergangenheit Düsseldorfs in der Musik wie in der bildenden Kunst derart stark wiederbelebt werde, dass zeitgenössische Aktivitäten in der Stadt kaum wahrgenommen werden. Geht ihr mit ihm d‘accord? Oder anders gefragt: Fühlt ihr euch als Kreidler in der Stadt angemessen wahrgenommen?
Thomas Klein: Kreidler taugt vielleicht nicht so gut zur Wertabschöpfung, aber der Kult um elektronische Musikvergangenheit aus Düsseldorf ist tatsächlich lästig und erzeugt ein Gefühl von musealem Stillstand.
Detlef Weinrich: Ich habe mich diesbezüglich ja schon sehr oft kritisch geäußert. Es wird doch extrem hausieren gegangen mit der Düsseldorfer Musikgeschichte, siehe zum Beispiel Tour de France/Kraftwerk. Mir scheint, das ist nur noch Stadtmarketing. Die Vergangenheit wird immer wieder hervorgeholt, weil sie harmlos geworden ist. Wenn etwas im Hier und Jetzt geschieht, bleibt es oft ungesehen beziehungsweise es findet keine wirkliche Wertschätzung statt. Der Ratinger Hof war den meisten ein Dorn im Auge, als er wild um sich schlug. Aber wenn es dann vorbei ist, landet er wie vieles Andere im Museum. Es ist absurd und in dieser Richtung könnte sich etwas ändern. All die Anekdoten-Sammlungen sind nichts mehr als harmlose Nostalgie. Ich möchte die Gegenwart beschrieben und gewürdigt sehen.
Detlef, neben deiner Tätigkeit bei Kreidler bist du auch Mit-Betreiber des Salon des Amateurs. Dort gab es vor einigen Wochen einen Wasserschaden und in der Folge das Gerücht, der Salon werden schließen. Wie ist der aktuelle Stand der Dinge?
Detlef Weinrich: Wie es mit dem Salon weitergeht, steht gerade in den Sternen. Es gibt viele unterschiedliche Interessen und Vorstellungen in der Stadt. Ich denke, ich habe das in der vorigen Frage schon in gewisser Weise beantwortet. Wir werden sehen, die hellsten Lichter brennen eben nur halb so lange. Tatsache ist, dass sich der Salon eine internationale Reputation erarbeitet hat. Und seit dem Ratinger Hof gab es keine Düsseldorfer Location mehr, die weltweit so viel Beachtung erfahren hat. Nur wirkliche Haltungen machen das möglich und kein lokales Stammtischdenken. Was sollte ein Ort mehr sein als kreativer Pool, aus dem Künstler hervortreten, die Düsseldorf international vertreten. All das ist erreicht. Aber es könnte noch mehr sein, vorausgesetzt, die Menschen unterstützen uns hier, in Klein-Paris.
Kreidlers „European Song“ ist bei Bureau B erschienen.