Das eigene, komfortable Leben zu verlassen, erfordert Mut. Angela Vucko hat diesen Mut aufgebracht. Die 54-Jährige, die seit 17 Jahren die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit am Tanzhaus NRW verantwortet, absolviert seit Ende Juli ein Social Sabbatical in Tansania. Über ihre Arbeit dort, die Herausforderungen des Alltags, das Leben und die Menschen in dem afrikanischen Land erzählt Vucko im Interview mit theycallitkleinparis.
Seit wann hast du über einen Auslandsaufenthalt nachgedacht?
Lange und immer mal wieder aus ganz unterschiedlichen Gründen, darunter die Sehnsucht nach neuen Erfahrungen jenseits von zwei Wochen Urlaub sowie die Suche nach neuen Herausforderungen in einem doch recht etablierten, manchmal ermüdenden Alltag.
Wie lange hast du dein Social Sabbatical vorbereitet?
Ein ernsthaftes Betreiben einer Auszeit begann erst im April, also vor fünf Monaten. Recherchen, welche Vermittlungsangebote für die Generation 50+ in Frage kommen – es gibt eine Vielzahl von Organisationen, die sich an junge Menschen bis 28 richten – hatten immer mal wieder und viel früher stattgefunden. Nach intensiven Gesprächen mit der Geschäftsführung sowie der Verwaltungsleitung des Tanzhaus NRW gab es grünes Licht für eine zweieinhalbmonatige Auszeit, beginnend mit der auslaufenden Spielzeit im Juli. Im Mai folgte ein zweitägiger Vorbereitungsworkshop mit der vermittelnden Agentur Manager für Menschen, die ich seit Langem im Blick hatte, und überzeugend fand. Anfang Juni habe ich dann entschieden: Das mache ich. Welches Land und Projekt war bis dahin nur insofern geklärt, dass ich wegen meiner Sprachkenntnisse in Französisch und Englisch Burkina Faso, Kamerun und Uganda sowie alternativ Nepal auf der Liste hatte. Das durch meinen Arbeitgeber definierte Zeitfenster, mein guter Draht zu Kindern und Jugendlichen sowie meine Erfahrung in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit waren dann mitentscheidend bei der Wahl des Projektes.
Wie entgegenkommend war dein Arbeitgeber, das Tanzhaus NRW, in der Sache?
Erst zögerlich, weil es im Haus keine Erfahrung mit dieser Art von Wünschen gibt, später sehr unterstützend.
Du arbeitest seit Ende Juli in Tansania, bist also mittlerweile sieben Wochen im Land. Wie fällt deine Zwischenbilanz aus?
Zurzeit zwiespältig und irgendwo zwischen Verunsicherung, Angestrengtheit und Momenten des Glücks. Ich bin alleine hier, ich zähle als weiße Europäerin zur absoluten Minderheit, die mit einer Vielzahl von Projektionen umgehen muss. Die Sprachbarrieren sind anstrengend, alles dauert, es lärmt, kein stabiles Internet. Dann ist da wiederum diese unglaubliche Lebendigkeit der hier lebenden Menschen, so freundlich und mit einem überbordenden Begrüßungsritual stets im Kontakt – vor allem die Kinder. Und die Menschen haben ein beeindruckendes Gespür fürs Pragmatische im Alltag. Davor kann ich mich nur verbeugen.
Für welche Organisation engagierst du dich vor Ort?
Ich habe mich für „Fadhili Teens Tanzania“ entschieden, stimmt nicht, wir haben uns gemeinsam füreinander entschieden. Fadhili Teens ist eine kleine lokale fünfköpfige Nonprofit-Organisation, deren Arbeit sich auf die Inklusion von Kinder und Jugendlichen in vor allem ländlicheren Gebieten im Großraum Mwanza am Viktoriasee konzentriert. Fadhili Teens unterstützt Familien aus ärmsten Verhältnissen, zumeist alleinerziehende Mütter von Kindern mit körperlichen und geistigen Einschränkungen, betreibt die Stärkung von Mädchen – zumeist unfreiwillig junge Mütter – und Frauen, baut Ökotoiletten in Schulen auf dem Land. Wenig von dem, was die Organisation tut, ist sichtbar, sodass ich ins Spiel gekommen bin, um eine machbare Kommunikationsstrategie mit zu entwickeln.
Es gibt ja unzählige Möglichkeiten, sich zu engagieren. Warum hast du dir gerade dieses Projekt ausgesucht?
Das Stichwort Inklusion war entscheidend. Ergänzend bin ich für Fadhili Teens der erste „Volunteer“ aus Europa mit allen Risiken und Nebenwirkungen, aber auch der Chance, Spuren zu hinterlassen. Die Stadt Mwanza, gleich um die Ecke von Serengeti und Kilimandscharo, war mir sympathisch, und die Lebenshaltungskosten in Tansania sind im Vergleich zu Südafrika etwa vergleichsweise niedrig.
Wie sieht deine tägliche Arbeit aus?
Nach einer Eingewöhnungszeit im Office und der Beschäftigung mit den Inhalten, Fragestellungen und Perspektiven von Fadhili bin ich regelmäßig bei Außenterminen dabei und tauche in die Realitäten vor Ort ein, soweit das ohne Suaheli-Kenntnisse und in der Kürze der Zeit überhaupt möglich ist. Ich bleibe ja immer die Andere. Ein Feedback zum gerade entwickelten Mission Statement, Empfehlungen für eine effektivere Büroorganisation, die Beschaffung von Fotomaterial der Projekte und jetzt erste Vorschläge für einen Flyer, Social Media, eventuell eine einfache Website helfen hoffentlich weiter in eine Zukunft, bei der es immer um gute Ideen und Projektgelder gehen wird.
Wie bist du vor Ort untergebracht?
Die ersten zwei Wochen war ich in einem günstigen Hotel untergebracht, bis ich mich entschieden habe, mich via airbnb bei einer seit Jahren hier ansässigen Europäerin einzumieten. Ich brauchte mehr Kontakt, Tipps, was ich wo finden kann, und eine Einschätzung von Alltäglichem.
Was gefällt dir am Leben in Tansania besonders gut?
Die Schönheit der Natur ist beglückend. Ich mag den Sound dieser afrikanischen Stadt mit den Gesängen aus den unzähligen Gotteshäusern, dem Vogelgezwitscher und natürlich dem allerorts lautstarken Suaheli oder anderen Bantu-Sprachen. Ich feiere die Zugewandtheit der Menschen und ich bestaune ihr Traditionsbewusstsein.
Und woran musst du dich erst noch gewöhnen?
Ich weiß nicht, ob ich mich daran gewöhnen kann, aber es ist die sichtbare Armut insbesondere in ländlichen Regionen. Auch die Verkehrsverhältnisse, in denen ein Leben wenig wert zu sein scheint, sind gewöhnungsbedürftig.
Was an deinem Leben in Deutschland hast du in der Ferne wieder besonders schätzen gelernt?
Bislang vor allem die Nähe zu Freunden und Familie, die Freiheit auch bei Dunkelheit zu Fuß oder per Fahrrad ausgehen zu können, Rückzugsmöglichkeiten.
Wie gut ist dein Suaheli?
Denkbar schlecht und eine meiner Fehleinschätzungen bei der doch relativ kurzfristigen Entscheidung, eine Auszeit zu wagen.
Wie häufig ertappst du dich bei Gedanken ans Tanzhaus NRW beziehungsweise deine Arbeit in Deutschland?
Ehrlich? Kaum ein Gedanke. Bislang. Nicht zuletzt weil ich mir sicher bin, dass meine Abwesenheit durch mein Team, für das ich sehr dankbar bin, bestens gemanagt wird.
Du bleibst bis Ende September in Tansania. Was passiert danach?
Ich komme Ende September aus Ostafrika zurück und bin Anfang Oktober wieder am Platz. Ob und wie sich der Blick auf mein kleines komfortables Leben dann verändert hat, macht mich schon jetzt neugierig.