Ryutaro Mimura (miu) im Interview – „Sich fremd zu fühlen, ist mein Normalzustand“

Der Japaner Ryutaro Mimura hat schon an den unterschiedlichsten Orten gelebt. In Tokyo, Den Haag, London oder Ulm. Seit drei Jahren ist er in Düsseldorf. Mimura, der sich miu nennt, arbeitet als Konzeptkünstler, Komponist und Performer. Im Rahmen der diesjährigen „Nippon Performance Night“ zeigt er seine jüngste Bühnenarbeit „Empty Balloons Society“ Anfang Oktober im Weltkunstzimmer. theycallitkleinparis hat mit Mimura gesprochen.

 

Du wurdest in Japan geboren. Wo genau hast du dort gelebt?
Als ich noch sehr klein war, ist mein Familie oft umgezogen. Im Alter von 4 bis 12 lebte ich in Izumo, einer mittelgroßen Stadt am Meer, im Nordwesten von Japan. Danach zogen wir in die benachbarte Hafenstadt Matsue um, wo meine Eltern heute noch leben.

Nach der Schule hast du dann am Kunitachi College of Music in Tokyo elektronische Musik und Sonologie studiert. Was genau ist denn Sonologie?
Die Bezeichnung an sich kommt von einer Mischung der Worte „Sono“ (Ton) und „Logik“.
Die Sonologie ist eine psychologische Akustik-Theorie und versteht den Menschen als tonales System. Aufgrund der physikalischen Eigenschaften bestimmter Klangfrequenzen kann das Erzeugen von Klängen mit der Stimme einen großen Einfluss auf die Umwelt und den eigenen Körper haben. Während meines Studiums habe ich außerdem verschiedene Aspekte von zeitgenössischer Komposition und neue Arten von Musikperformance mit Sensoren kennengelernt.

Als du 21 warst, hast du dich entschlossen, Japan zu verlassen. Warum?
Das war eine typische Teenager-Lust auf eine ganze neue Welt, ein Drang, ständig in neue Umgebungen eintreten zu wollen. In allen Städten, in denen ich gelebt habe, Tokyo, Den Haag, London, Bochum und Ulm,

Du bist dann nach Europa gekommen. Nach Den Haag. Warum gerade dorthin?
Wegen des Sonologie-Instituts in Den Haag. Mein Professor aus Tokyo, Herr Takayuki Rai, hatte an diesem Institut studiert und dann das “Sonology Department“ am Kunitachi College of Music gegründet. Ich habe ihn um Rat für meine Zukunft gebeten und er hat mir vorgeschlagen, in die Niederlande zu reisen. Vielleicht hatte er Lust, einen Studenten von seinem jungen Department nach Europa zu schicken. Ich war tatsächlich der Erste, der dorthin gegangen ist. Er meinte damals: “Du bist ein Typ, der sich im Ausland gut anpassen könnte.“

Und wie groß war der Kulturschock für dich?
Ich hatte keinen Kulturschock. Null. Vielleicht war mein Kopf woanders.

Seit drei Jahren bist du nun in Düsseldorf. War die große japanische Community hier für dich ein Argument für die Stadt?
Nein. Meine Lebensgefährtin hat hier in Düsseldorf eine Stelle gefunden. Wenn die in Wuppertal gewesen wäre, wären wir nun dort. Ich genieße gerade aber sehr die lebendige Kulturszene in Düsseldorf.

Du bist Jahrgang 1976 und hast dein halbes Leben in Japan und die zweite Hälfte in Europa verbracht. Hast du noch Heimatgefühle, wenn du heute noch Japan kommst?
Vor Ort fühle ich mich wie ein ausländischer Tourist. Aber dieses Gefühl hatte ich schon vor 30 Jahren in meiner Heimat, als ob ich dort nicht zugehörig wäre. Dazu kommen noch die großen Veränderungen über die Zeit. Die Städte sind nicht mehr die Städte, die ich von früher kenne. Aber es ist schön, dass ich dort keine Sprachschwierigkeiten erfahre. Darüber hinaus ist das japanische Essen nach wie vor mein Soul-Food.

Und umgekehrt gefragt: Wie fremd fühlst du dich nach fast 20 Jahren noch in Europa?
Ich glaube, sich fremd zu fühlen ist mein Normalzustand. Allerdings der Begriff „Europa“ klingt mir nicht so richtig. Als ich in Ulm gelebt habe, habe ich von den Ulmern gelernt, dass die nördliche Grenze von Deutschland irgendwo in Frankfurt liegt.

 

Dein neues Theaterstück „Empty Balloons Society“ erzählt von einem japanischen Künstlerkollektiv, das in Düsseldorf ansässig ist. Ist es das Thema deines Lebens, das du da auf die Bühne bringst?
Nach meinem Lebensthema bin ich noch auf der Suche. „Empty Balloons Society“ ist der neueste Ausgangspunkt.

Auch die mitwirkenden Performer haben allesamt einen interkulturellen Hintergrund zwischen Deutschland und Japan. Warum war dir das so wichtig?
Eine interkulturelle Erfahrung bringt oft neue Ideen und Formen von Kommunikation, wie eine Pidgin-Sprache. Das fordert auch zu einer bestimmten Rezeptionshaltung auf, die mich für den Entwicklungsprozess von „Empty Balloons Society“ interessiert. Als Grundlage, um sich mit den Themen Identität und Zugehörigkeit in einem fremden Land, Parallel-Identitäten oder doppeldeutigen Perspektiven zu beschäftigen.

Zusätzlich zu den Performern sind auch zwei Dolmetscher auf der Bühne. Was genau ist ihre Aufgabe?
In meinem Stück sind zusätzlich zu den Dolmetschern auch Performer dabei. Die Aufgabe ist genau gleich. Sie sollen „ich“ und „nicht ich“ gleichermaßen verkörpern.

Deutschland ist ein Einwanderungsland. In den vergangenen Jahren wurde hier viel diskutiert darüber, ob es möglich ist, sich als Zuwanderer einzugliedern, ohne dabei die eigene Kultur zu verlieren. Wie hast du das für dich persönlich gelöst?
Ich weiß nicht, ob ich als Zuwanderer qualifiziert bin. Ich bin so naiv, dass ich 20 Jahre nur kontinuierlich in einem langen Transit verbringen konnte. Nach meiner Meinung ist eine Kultur ein Phänomen wie ein Fermentation. Ich bin froh, dass mein Darm noch gut funktionsfähig ist.

3.-5.10., jeweils 20 Uhr, Weltkunstzimmer, Düsseldorf

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