Modeblogs sollen gemeinhin zum Konsum anregen. Nicht so der von Anna Vladi (29) und Karina Papp (30). Die beiden Berlinerinnen zeigen auf found on the street ausschließlich Outfits, die sie auf der Straße gefunden haben. theycallitkleinparis hat mit Anna und Karina über ihre nachahmenswerte Idee gesprochen.
Wann habt ihr das Blog „found on the street“ gestartet?
Anna: Im Oktober 2017.
Welche Idee steckt dahinter?
Karina: In den vergangenen beiden Jahren wurde mir bewusst, dass mehr als die Hälfte meiner Garderobe aus gefundenen Sachen besteht. Seit wir das Blog gestartet haben, hat sich der Prozentsatz weiter erhöht, mittlerweile sind es 80 Prozent. Ich habe immer gerne erzählt, dass ich Klamotten auf der Straße finde, dass es ganz normal für Berlin ist. Mit dem Blog können wir nun ein größeres Publikum erreichen mit unseren Fragen. „Gibt es einen Alternative dazu, Klamotten zu kaufen? Und was passiert mit den Sachen, wenn man sie nicht mehr braucht?“ Die Plattform für das Blog, nämlich Instagram, haben wir dabei absichtlich gewählt. Instagram ist heutzutage ein wichtiges Marketingtool und eine Plattform, auf der Produkte beworben oder direkt verkauft werden. Mit unserem ironischen und kritischen Modeblog animieren wir die Instagram-Follower, weniger zu kaufen und mehr Bewusstsein und Mut zu entwickeln.
Anna: Das ist alles auch in unserem Manifest auf dem Blog nachzulesen.
Wann habt ihr selber aufgehört, Kleidung zu kaufen? Und gab es dafür einen bestimmten Auslöser?
Karina: Seit etwa acht Jahren kaufe ich die Klamotten meist in Secondhand-Laden und auf Flohmärkten. Ich nehme mit, was mir gefällt, ohne es anzuprobieren. Stattdessen spreche ich mit den Verkäufern über die Sachen. Oft kaufe ich von älteren Leuten. Regelmäßig im Laden shoppen zu gehen, hasse ich hingegen. Es ermüdet mich. So viele Leute, so viele ähnlichen Sachen, so viele Schlangen. Außerdem ist mein Leben ziemlich voll. Ich habe eigentlich gar keine Zeit nach Klamotten zu suchen. Von daher passt es mir sehr gut, dass ich die Sachen einfach auf der Straße finde. Oder soll ich sagen die Sachen finden mich?
Anna: Ich kaufe nur noch Unterwäsche neu. Den Rest hole ich im Secondhand-Laden. Manchmal leihe ich mir auch Kleidung von Freunden. Seit 2010 habe ich angefangen mehrheitlich Secondhand zu kaufen. Mittlerweile kaufe ich fast nichts Neues mehr. Auslöser ist ziemlich deutlich: Überkonsum.
Es gibt aber schon noch Sachen, die ihr kauft, oder? Unterwäsche zum Beispiel? Oder Strümpfe?
Karina: Wir haben schon viele Journalisten enttäuscht: Die Unterwäsche kaufen wir. Schuhe kaufe ich manchmal auch. Und im Secondhand-Laden kaufe ich ab und zu was Extravagantes.
Anna: Unterwäsche, ja. Strümpfe kann man mittlerweile auch gut Secondhand kaufen, neu und verpackt, aber aus Sechziger, Siebziger Jahren.
Wie viel Zeit verbringt ihr mit der Suche nach Klamotten?
Karina: Wir suchen nie absichtlich. Beim Spaziergehen kommen wir zufällig an Verschenk-Kisten vorbei und schauen rein. Wenn etwas für mich oder meine Freunde dabei ist, dann nehme ich es mit.
Anna: Es spart uns sehr viel Zeit im Leben, dass wir kaum einkaufen gehen.
Welches waren die letzten Stücke, die ihr gefunden habt?
Anna: Vergangene Woche habe ich ganz viel in einer Kiste direkt vor meiner Tür gefunden. Mitgenommen habe ich zwei Sommerkleider.
Karina: Bei mir war es ein weißer Vintage-Rock.
Nehmt ihr auch Sachen mit, die beschädigt sind und beispielsweise geflickt werden müssen?
Karina: Wenn in einer tollen Bluse ein kleines Loch ist, dann repariere ich das gerne. Das gilt auch für Flecken: Wenn die nicht groß auffallen, nehme ich die Sachen trotzdem mit. Man muss den Sachen eine Chance geben!
Anna: Kleinere Reparaturen mache ich auch selber. Oder ich mache etwas für meine Tochter daraus.
Welche Bezirke in Berlin sind besonders reich an Verschenk-Kisten?
Karina: Kreuzberg und Neukölln sind die Bezirke, wo ich normalerweise spazieren gehe. Und hier sind die Leute sehr großzügig, sie stellen sehr viele Kisten raus. Es gibt sogar ein paar fest installierte Kisten.
Anna: Ich finde auch viel in Kreuzberg. Die Kreuzberger sind, was das angeht, ganz weit vorn. In Charlottenburg findet man hingegen weniger. Ich glaube, die Sharing-Kultur ist da noch nicht so richtig verbreitet.
Und welche sind eure liebsten Secondhand-Läden in Berlin?
Karina: Humana. Da finde ich tolle Klamotten für sehr wenig Geld.
Anna: Ich gehe am liebsten in den Tauschladen in Neukölln. Man kann ganz viel hinbringen aber auch etwas mitnehmen, was man braucht.
Wie umfangreich darf man sich eure Klamotten-Bestände vorstellen? Was macht ihr mit Kleidung, die ihr selber nicht mehr tragt?
Karina: Mein Kleiderbestand ist ständig in Bewegung, die Klamotten kommen und gehen. Ich hänge nicht an den Sachen, kann mich gut von ihnen trennen und sie an Freunde weitergeben. Und natürlich stelle ich auch selber Verschenk-Kisten raus. Mindestens ein Mal pro Monat.
Anna: Mir fällt es schwer, meinen Kleider-Bestand klein zu halten. Aber ich gebe auch immer gerne Sachen ab. Ich biete sie zunächst Familie und Freunden an. Ab und zu organisieren wir auch eine Tauschparty. Und selbstverständlich stelle ich auch Verschenk-Kisten raus.
Wie würdet ihr euren Stil beschreiben?
Karina: Wenn ich Spice Girl wäre, würde mein Spitzname Ironic Vintage Spice sein. Oder Oma Spice.
Anna: Bunt und mutig! Ich habe es immer geliebt, unterschiedliche Stile zu kombinieren. Die Kisten haben das zusätzlich gefördert – und mich mutiger gemacht. Mal Omakleid, mal Berlinschwarz.
Was macht guten Stil aus?
Karina: Ein guter Geschmack. Was allerdings gut ist, muss jeder selber entscheiden. Man sollte den Mut aufbringen, sich nach seinem Geschmack anzuziehen.
Ist euch Nachhaltigkeit auch jenseits von Kleidung wichtig?
Anna: Es geht bei mir nicht nur um Klamotten, sondern um alle Sachen. Technik, Möbel und so weiter. Ich kaufe so viel wie möglich Secondhand, versuche die Sachen zu reparieren und so wenig wie möglich wegzuwerfen. Vegetarier zu sein, gehört für mich übrigens auch zur Nachhaltigkeit dazu.
Karina: Bei Konsumbewusstsein geht es ja nicht nur um Kleidung, sondern um alle Waren, die wir konsumieren. Wir leben in Zeiten des Überkonsums, dessen sollte man sich bewusst sein. Woher kommen die Waren? Wer hat sie hergestellt? Unter welchen Bedingungen? Was macht man damit, wenn man sie nicht mehr braucht? Die wichtigste aller Fragen steht ganz am Anfang: Brauche ich das überhaupt?