Tom Blankenberg hat ein Faible für Dinge, die im Verschwinden begriffen sind. 2016 drehte er einen stimmungsvollen Kurzfilm über das Allwetterbad Flingern. Nun widmet er sich dem nächsten Ort, dessen Zukunft derzeit zumindest ungewiss ist: der Datscha, einem Gartenhäuschen am Rande von Düsseldorf, das seit mittlerweile 14 Jahren auch für Partys, Konzerte, Ausstellungen und mehr genutzt wird. theycallitkleinparis hat mit Datscha-Mitgründer Thomas Baumhoff und Tom Blankenberg gesprochen.
Thomas, Orte wie die Datscha vermutet man eher in Eisenhüttenstadt oder Cottbus als in Düsseldorf. Wie seid ihr auf diesen abgeschraggelt-verwunschenen Ort gestoßen?
Thomas: Über eine Freundin, Steffi, die heute die Sennhütte betreibt, erfuhren wir 2004 von einem Häuschen, aus dem bald ein Freund von ihr ausziehen würde. Man könnte da nicht mehr gut wohnen wegen feuchter Wände, aber vielleicht könnte man da ja irgendwas anderes draus machen. Wir sind dann direkt dort vorbeigefahren, haben uns das angesehen und fanden es toll. Unsere Idee stand schnell fest: eine Art ländliches Pendant zu den Kulturvereinen Brause und damenundherren sollte das Ganze werden. Der Vermieter war einverstanden, die Miete war okay und so haben wir 2005 mit fünf Leuten – offiziell als Gartenverein – losgelegt. In den ersten Jahren haben wir viel Programm für die Allgemeinheit angeboten, Partys, Konzerte, Kasperletheater, Ausstellungen, gemeinsames Rumhängen im Garten und so weiter. In den vergangenen Jahren ist die Datscha dann eher zum ländlichen Rückzugsort für uns und unsere Kinder geworden. Das Team ist übrigens über die Jahre gewachsen. Heute sind wir 18 Erwachsene und 17 Kinder.
Für die, die noch nie da waren: Wo genau ist die Datscha?
Thomas: Die Datscha liegt in Unterbilk, unweit von Südring und Südbrücke.
Die Räumlichkeit stammt aus den 1920er Jahren, den Zeiten der Weltwirtschaftskrise. Wie wurde sie in den knapp 100 Jahren ihres Bestehens genutzt?
Thomas: Die Geschichte des Häuschens haben wir auch erst vor kurzem von unserem Sachbearbeiter bei der Stadt erfahren. Scheinbar war die Datscha früher eine Notunterkunft, die bereits 1928 zum ersten Mal abgerissen werden sollte – und danach dann immer mal wieder. Der erste Nicht-Abriss-Grund war wohl der Zweite Weltkrieg, über die weiteren Nicht-Abriss-Gründe wissen wir nichts. Aber die Tatsache, dass sich dieses Gebäude schon seit fast 100 Jahren beharrlich gegen seinen Abriss wehrt, ist schon fast wieder eine eigene Geschichte wert. Vor uns hat dort wie gesagt ein Bekannter von uns gewohnt. Davor soll dort über lange Jahre eine Familie gelebt haben. Irgendwann war das Häuschen wohl auch mal eine Friedhofswerkstatt. Gerade ist die Zukunft der Räume mal wieder ungewiss: Uns wurde Anfang des Jahres gekündigt. Auf den letzten Drücker konnten wir den Auszug aber noch verhindern, weil die Stadt eingelenkt hat. Derzeit verhandeln wir, wie es weitergeht.
Was hat die Stadt mit dem Gelände vor?
Thomas: Für das Gelände gab es bereits 2013 einen Bebauungsplan. Dieser wurde aber unter OB Thomas Geisel zurückgezogen und unseres Wissens neu ausgeschrieben. Auf dem Gelände soll eine berufsbildende Schule sowie der Neubau des Luisen-Gymnasiums entstehen. Und Wohnbebauung ist auch geplant.
Wie oft fanden in der Datscha Veranstaltungen statt?
Thomas: Ich habe die Veranstaltungen nicht gezählt. Als wir anfingen, hatten wir alle noch viel Power und Lust, diese in nächtliche Aktivitäten zu stecken. Dementsprechend haben wir in den ersten Jahren sehr viele Veranstaltungen gemacht. Über die Jahre haben dann fast alle Datscha-Mitglieder Kinder bekommen. Dementsprechend brauchen wir die Nächte zum Schlafen. Ab und zu organisieren wir aber auch heute noch mal Partys oder andere Veranstaltungen.
Wer sind die Besucher, ein erweiterter Freundeskreis oder ist die Datscha für jedermann offen?
Thomas: Am Anfang war es der erweiterte Freundeskreis. Aber irgendwann hat sich das Ganze verselbständigt. Heute kommen gerne auch mal Leute, die man noch nie gesehen hat. Meistens sind es Besucher zwischen Ende 30 und Ende 40. Letztens war mal eine total junge, stylische Truppe bei einer Party da und wir waren alle überrascht. Wie sich herausstellte, hatte da irgendein Creative Director einer Werbeagentur seine komplette Unit mitgebracht. Grundsätzlich sind es jedenfalls fast immer angenehme Menschen, die kommen. Unangenehme Erfahrungen mit Besuchern gab es bei uns nie.
An welche Veranstaltung in der Datscha erinnerst du dich besonders gerne?
Thomas: Da gab es viele, an die ich oder wir gerne zurückdenken. Ein paarmal haben wir im Sommer kleine Konzerte auf dem geteerten Platz vor der Datscha veranstaltet. Dort ist zum Beispiel Stefan Honig zusammen mit dem amerikanische Songwriter Gus Black aufgetreten. Wie sie dort bei Sonnenuntergang vor unserer Brombeerhecke musiziert haben, das war schon sehr stimmungsvoll. Das Konzert von Tom war ebenfalls toll. Ich erinnere mich aber auch gerne an einen Nachmittag, an dem es Kasperle-Theater für Kinder gab. Während wir drinnen in der warmen Datscha saßen und dem Kasperle zusahen, fing es draußen plötzlich an zu schneien. Das war sehr romantisch.
Wann fand die letzte Veranstaltung statt?
Thomas: Wir haben im Mai am Restaurant Day teilgenommen. Das ist eine Veranstaltung aus Finnland, von der ich vor ein paar Jahren mal im Radio gehört habe. In Helsinki eröffnen da jedes Jahr zahlreiche Pop-Up-Restaurants an ungewöhnlichen Orten. Ich erinnere mich zum Beispiel an ein Burger-Restaurant im fünften Stock eines Hauses, das sein Essen im Körbchen am Seil auf die Straße heruntergelassen hat. So was wollten wir auch gerne machen! Der ungewöhnliche Ort unseres Pop-Up-Restaurants war das Baumhaus, das wir vor ein paar Jahren gebaut haben. Dort haben wir den geladenen Gästen dann ein leckeres Menü serviert. Gekocht hat der Koch aus unserem Kindergarten.
Wie wurde das Gelände genutzt, wenn gerade keine Veranstaltung war?
Thomas: So wie andere Leute auch ihren Kleingarten nutzen. Zum Gärtnern, Spielen, Sonnen, Kindergeburtstag feiern. Ab und zu wurde dort auch mal eine Kommode lackiert oder ein Fahrrad repariert, es gibt nämlich auch eine Werkstatt.
Thomas hat es schon erwähnt: Anfang des Jahres sah es so aus, als ginge es mit der Datscha zu Ende. Daraufhin hast du, Tom, beschlossen einen Film über die Datscha zu drehen. Wie lange hast du daran gearbeitet?
Tom: Die Idee kam mir ganz spontan am Nachmittag des 30. April. Abends war in der Datscha eine der legendären „Tanz in den Mai“-Partys. Die letzte, wie es damals hieß. Da hab ich die Kamera mitgenommen und ein paar Aufnahmen gemacht. Eigentlich wollte ich die Datscha nur konservieren. Den Ort nicht ohne Erinnerungsstücke freigeben. Ein Film war zunächst gar nicht der Plan. Einige Tage nach der Party war ich dann noch mal auf dem Gelände, vormittags und ganz allein. Die Bilder, die ich bei dem Besuch aufgenommen habe, waren so zauberhaft, dass ich einfach mehr wollte. So drehte ich meinen Erinnerungskatalog: Die Datscha morgens, mittags, abends, nachts. Aber, um deine Frage auch zu beantworten, ich war insgesamt bestimmt zehn bis fünfzehn mal in der Datscha, zu verschiedenen Zeiten und Ereignissen. Der Schnitt und die Endfertigung haben dann ungefähr anderthalb bis zwei Wochen gebraucht.
Wann und wo wirst du den Film präsentieren?
Tom: Der Film ist am 28. September im Rahmen des „Urban Space Video Walks“ zu sehen. Außerdem soll es auf jeden Fall auch eine Vorführung in der Datscha geben.
Auch dein letzter Film hat sich mit einem verschwindenden Ort beschäftigt, dem Allwetterbad in Flingern, das derzeit umgebaut wird und bei Wiedereröffnung ein völlig anderes Gesicht haben wird. Nun also die Datscha. Planst du ein filmisches Archiv der verschwundenen Orte?
Tom: Das fände ich toll. Zudem ich schon zwei weitere Orte im Kopf habe. Einer davon ist eine umgenutzte Tankstelle in Bilk, die 2020 auch aus dem hiesigen Stadtbild verschwinden soll.
Du hättest den Film ja auch zum Start der Datscha machen können. Stattdessen scheinst du eine Faszination für das Ende von Dingen zu haben. Wie erklärst du dir die?
Tom: „Faszination für das Ende von Dingen“ würde ich es nicht nennen. Eher die Sehnsucht, dass die Dinge, oder besser: die damit verbundene Atmosphäre und die Gefühle, bleiben sollen. Dass der Film jetzt erst entstanden ist, könnte man vielleicht als eine Art Trotzreaktion verstehen. So à la „Nein, ihr dürft mir das nicht einfach so wegnehmen.“ Dabei bin ich gar kein kein Datscha-Mitglied, nur ein regelmäßiger Gast.
28.9., 20 Uhr, Urban Space Video Walk mit „Datscha“, Start: Weltkunstzimmer, Düsseldorf