Dass das Wochenende in Paris – eine Dienstreise zwecks Sichtung eines durch das Tanzhaus NRW koproduzierten Stückes – zu einer turbulenten Angelegenheit, gar ein „Ernstfall für Europa“ (Die Welt) werden würde, ahnte ich nicht. Aber eins nach dem anderen. Vor dem Besuch der jüngsten Arbeit der Choreografin Lia Rodrigues, einer der wichtigsten künstlerischen Stimmen Brasiliens, erlaubte ich mir eilig ein bisschen „Savoir Vivre“. Einen verboten teuren Café Crème im Sitzen. Dann die Metro Richtung Place de Trocadéro. Die allerdings fuhr mehr als fünf Stationen durch ohne zu halten, begleitet von einem leichten Geruch von Angebranntem. Schwamm drüber, ich wollte Kunst. Der Ausstieg dann im verregneten Nirgendwo: dunkle Rauchschwaden am Himmel, Polizeisirenen, Menschenströme, viele Frauen und Männer in gelben Warnwesten mit diesen reflektierenden Streifen, die zur besseren Sichtbarkeit von Personen dienen. Ein Pärchen unter ihnen zeigte mir hilfsbereit den Weg zurück in die Stadt. Aber natürlich, es waren, wie jeden Samstag in den vergangenen Wochen, Demonstrationen der „Gelbwesten“, der Gilets Jaunes in vollem Gange. Diese Bewegung des zivilen Ungehorsams, die sich vor allem außerhalb der französischen Hauptstadt formiert hat, wendet sich gegen die Erhöhung der Benzinsteuer, gegen wachsende gesellschaftliche Ungleichheit, letztlich gegen Präsident Emmanuel Macron. Meine Sympathie haben sie, dachte ich noch auf dem Weg zum Theater, und ich verbeugte mich innerlich vor einem Land, das Revolution kann.
Am Theater angekommen, das: Die Kunst aus Sicherheitsgründen annulliert. Du liebes Frankreich, dafür hatte ich mich auf den Weg gemacht! Der Weg zum Hotel ums Eck – dann wird man weitersehen, dachte ich – bestätigte und erschütterte: Paris brennt. Lodernde Autos, kopfüber und zertrümmert mitten auf dem Boulevard, kaputte Scheiben der verschiedensten Bankinstitute (es gibt so viele hier!), zerstörte Geldautomaten, großflächig besprühte Hausfassaden, niedergerissene Zäune, geschlossene Straßencafés. Überall die Gilets Jaunes, manche mit Mundschutz vermummt, manche mit Wurfgeschossen bewaffnet. Der Blick über die Avenue Kléber in Richtung Arc de Triomphe bot dann ganz großes Kino: Es wütete ein Krieg, der ganz augenscheinlich das Viertel der Reichen verwüsten wollte, symbolträchtige Kunstobjekte wie die Büste „Marianne“ beschädigte. Auf dem Dach des besetzten Arc de Triomphe an der Place Charles-de-Gaulle dann die winkenden Gilets Jaunes für ein medientaugliches Bild, das später stellvertretend für die Dynamik des „Samedi Noir“ wird. Wir sind das Volk! Pathos kann La Grande Nation, aktuell allerdings vor rauchiger Kulisse.
Der Morgen danach? Krass, krass, krass. Verwüstung und Plünderung von Geschäften, ausgebrannte Autowracks, Presse-Interviews mit Geschädigten, Anwohnern, Passanten. Auch das: Katastrophen-Tourismus entsetzter Menschen an einem frühlingshaft warmen ersten Advent und die Verheißung auf Millionen von social-media-tauglichem Bild- und Filmmaterial. Im Gespräch mit dem Hotelrezeptionisten – er erzählt von seinen tunesischen Wurzeln – erfahre ich vom täglichen Rassismus, dem er in Frankreich ausgesetzt sei. Ein junges Paar, das am Samstag mit seinem Umzug mitten in die Krawalle geraten war, scherzt, dass man ihnen gesagt habe, das 16. Arrondissement sei ein ruhiges Viertel. Ein älterer Anwohner schüttelt nur den gepflegten Kopf und versichert, dass diese Form des gewaltsamen Protestes in Deutschland so nicht stattfinden könne. „Zu diszipliniert.“
Mittlerweile hat die französische Regierung die Erhöhung der Benzinsteuer kurzfristig zurückgenommen, was ein Sprecher der Gilets Jaunes mit einem lapidaren „Wir wollen das ganze Baguette“ kommentierte. Die Proteste gehen weiter und Freunde von mir kommen bereits Freitag aus Paris zurück. Es sei denn, so die NZZ kurz nach den Vorfällen des 1. Dezembers zynisch, „Sie mögen Streiks, Manifestationen, Demonstrationen oder gewaltsame Proteste? Dann müssen Sie unbedingt nach Frankreich kommen!“
Habe ich schon erwähnt, wie das Stück von Lia Rodrigues heißt, das ich nun leider nicht sehen konnte? „Fúria“, übersetzt „Wut“.
Die Autorin leitet die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Tanzhaus NRW.
2 Kommentare
KommentierenUm präzise sein, Julia, ich spreche in meinem kleinen Bericht von Sympathie zu einem Zeitpunkt, als ich mich eigentlich noch null mit dieser Bewegung auseinander gesetzt habe.
Die Gilets Jaunes sind eine inhomogene Bewegung, in der Mehrheit friedlich, im Anliegen erst einmal in den wichtigsten Punkten ernst zu nehmen. Mit dieser mittlerweile beängstigenden und am 01.12. definitiv unerwartet gewalttätigen Dynamik muss Frankreich umgehen, deutlicher umgehen als es am 1.12. geschehen ist. Deshalb: Es geht aktuell nicht mehr um Sympathie (um meine schon gar nicht), sondern um eine massive und deshalb nicht ganz unbedeutende Bewegung, die sich zurzeit sogar auf andere europäische Ländern ausweitet.
Wirklich? Da haben die deine Sympathie?