Seit gut zehn Jahren beschäftigt sich die Frau, die sich Elle Nerdinger nennt, bereits mit Memen, also Internetphänomenen. Nicht so, wie die meisten von uns, nämlich als reine Konsumenten. Sondern wissenschaftlich. Am 11.4. möchte Nerdinger ihr Knowhow gerne weitergeben – und hält einen Vortrag über die Kulturgeschichte der Internet Meme in der Zentralbibliothek. theycallitkleinparis hat vorab mit ihr gesprochen.
Zuallererst muss ich nach Ihrem Namen fragen: Ist Elle Nerdinger ein Künstlername?
Der Nachname ist ein Künstlername, mein Vorname ist auch im Ausweis niedergeschrieben.
Sie haben Germanistik, Geschichte und Kunst- und Designwissenschaft an der Bergischen Universität Wuppertal studiert. Im Hauptstudium befassten Sie sich schwerpunktmäßig mit Phänomenen der Netzkultur. Was interessiert Sie an dem Thema?
Das Interessanteste an Netzkulturen ist die dezentrale und zum Teil globale, internationale Qualität die wir Menschen kulturell erreicht haben. Das ist aber nicht gleich in jedem Fall ein Zeichen harmonischer, interkultureller Verständigung. Vielmehr sorgt diese weltweite Verwendung einschlägiger Meme in bestimmten Kontexten dafür, dass Zeichen und Symbole im globalen Netz nicht mehr ortsgebunden sind. Online kann man diese Meme dann etwa bestimmten Communitys oder Netzkulturen zuordnen. Die Verwendung eines bestimmten Mems in einem bestimmten Kontext signalisiert demnach implizit Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die potenziell überall auf dem Erdball Menschen mit einschließt.
Als 2008 eine erste große Welle an Internetmemen in den Mainstream eindrang, wurde ich in einem Seminar an der Uni auf das Thema aufmerksam. Das Konzept Mem, 1979 von Dawkins als Gedankenexperiment geprägt, gelangte nach längerer Zeit in der populärwissenschaftlichen Obskurität an die mediale Oberfläche. Das war die Zeit, in der Schwarm-Intelligenz und Flashmobs die großen Buzzwords waren.
Katzenvideos waren wohl eins der populärsten Phänomene im Netz.
Katzenvideos sind ein Dauerbrenner. Die spannendsten Katzen-Meme sind jedoch keine Videos, sondern Bilder, die mit Texten versehen werden: Man nennt diese auch Imagemacros. Die Faszination für Katzen wurzelt in der Tradition der Nullerjahre, jeden Samstag in bestimmten Foren Katzenbilder zu posten. Diese Feier des „Caturday” hat sich bis heute gehalten und sich bis in den digitalen Mainstream verbreitet. Katzen sind für die virale Verbreitung so geeignet, weil ihre Gesichter dem Kindchenschema entsprechen, Menschen können eigene Emotionen oder Ausdrucksweisen in sie hineininterpretieren. Gleichzeitig hat eine Katze auf einem Bild meist kein eindeutiges menschliches Geschlecht, kein Alter und keine Hautfarbe. Katzen können damit zu neutralen Avataren für Menschen werden, um Stimmungen auszudrücken.
Welche Arten von Phänomenen unterscheidet man generell?
Man kann zum Beispiel zwischen Community-Memes aus bestimmten Foren oder anderen Sammlungspunkten unterscheiden, die einen gewissen Kontext benötigen, und Phänomenen, die unabhängig von der Plattform oder der Community aufgegriffen werden. Die erste Sorte hat noch stark die Funktion eines Insiderwitzes, während ein allgemeines Phänomen meist eben die Teilnahme am digitalen öffentlichen Leben allgemein attestiert. Bei der eher allgemeinverständlichen Sorte Mem verbreitet sich ein Spruch, Bild oder Video von einer Plattform zur nächsten. Am Anfang steht damit auch ein Kontext in Verbindung, der zur Entstehung des Memes führte. Dieser wird aber mit der Zeit durch die mittlerweile sehr flüssig laufenden Verwendungsketten verwischt: Plattformen wie Reddit, die von starkem Bewusstsein für Meme und Netzkultur geprägt sind, sind oft der Ursprung. Im Anschluss verbreitet sich das Mem über Twitter, Facebook und andere Social-Media-Plattformen weiter. Die letzte Stufe ist dann das Aufgreifen des Bildes auf Sammelplattformen für Meme, die ein Bild etwa mit eigenem Branding versehen. Dann ist der Fisch jedoch bereits gelutscht: Das Mem ist zu dem Zeitpunkt meist schon out.
Und was für Inhalte gehen im Moment gerade viral?
Das ändert sich jeden Tag und kommt stark auf die Plattform der eigenen Wahl an. Auf Twitter zum Beispiel kann ein Post steil gehen und zehntausendfach geteilt werden. In der Folge kann er eine Welle der Anteilnahme und Solidarität auslösen – oder auch einen Shitstorm.
Welche Internetphänomene haben auch außerhalb des Netzes funktioniert?
Ein ganz klassisches Beispiel ist der Flashmob-Trend aus den Nullerjahren, der durch Massenkommunikation und das damals aufkommende Web 2.0 erst möglich wurde. Da viele Phänomene wie gesagt von einer gewissen Verwebung von physischer und digitaler Welt leben, kommt es auf die Richtung an, in der ein Phänomen sich bewegt. Ist es ein Online-Aufruf, offline etwas zu tun? Genauso sind Modetrends dank Plattformen wie Instagram trag- oder schminkbare Memes, die heute nicht mehr über Modezeitschriften oder den Catwalk kommuniziert werden. Auch Shirts mit einschlägigen Aufdrucken sind ein gutes Beispiel für Internetphänomene, die sich physisch erfolgreich manifestieren.
In Ihrem Vortrag, den Sie am 11. April in der Zentralbibliothek halten, geht es um die Kulturgeschichte der Internet Meme. Was erwartet die Besucher?
Es wird eine Übersicht über die ersten viralen Phänomene aus der digitalen Welt geben. Dazu zeige ich wie der bewusste Umgang mit Memen unser Verhältnis zur Kultur verändert und auch gewissermaßen vertieft hat. Es wird auf jeden Fall genug zu lachen und auch zu reflektieren geben.
Sie sagen Internet Meme seien mehr als Humor und Zeitvertreib. Welche Bedeutung haben Sie darüber hinaus?
Wie schon erwähnt erfüllen Meme auch kommunikative Zwecke, die gerade schriftliche Kommunikation um sichtbar gemachte Gefühlsregungen und Stimmungsäußerungen erweitern. Darüber hinaus sind Meme als Idee eines Kulturbausteins auch einer Evolution unterlegen. In der Mem-Theorie spricht man davon, dass eine Gruppe in sich logisch verbundener Meme einen Memeplex darstellt. Religionen oder Organisationen sind gute Beispiele hierfür. In Memplexen eingebettet sind sie ein sinnvolles Mittel, um komplexe Kontexte in einer relativ kleinen Einheit an Informationen wiederzugeben. Der Schmierstoff Humor sorgt zudem dafür, dass etwas mit mehr Enthusiasmus oder überhaupt verbreitet wird. Der menschliche Drang irgendwo dazuzugehören, einen Witz zu verstehen und damit Teil einer eingeschworenen Gruppe zu sein, ist einer der großen Antriebe für Meme.
Wie viele Stunden verbringen Sie täglich im Netz?
Ich verstehe den Sinn dieser Frage nicht. Wie lange sind Sie täglich auf der Straße unterwegs?
Und läuft das dann unter wissenschaftliche Arbeit?
Wenn man quasi mitten im Feld des Interesses viel Zeit verbringt, vermischt sich das gern mit dem Alltag: Mir begegnen Artikel, Fachvorträge oder eben Phänomene, die sich für weitere Beobachtung oder Analyse eignen.
11.4., 18 Uhr, Elle Nerdinger: Kulturgeschichte der Internet Meme, Zentralbibliothek, Düsseldorf