Die Agentur für urbane Unordnung im Interview – „Die Dinge ins Wackeln bringen“

Seit einigen Wochen sind sie überall im Düsseldorfer Stadtraum zu sehen: die Plakate mit dem Slogan „Für eine rebellische Stadt“. Geladen wird darauf zu Vorträgen, kritischen Stadtspaziergängen oder Demos. Hinter dem pinken Protest steckt die Agentur für urbane Unordnung. theycallitkleinparis hat mit einem Gründungsmitglied der Gruppe gesprochen. Karl ist 22 Jahre und Student, möchte seinen Nachnamen aber nicht preisgeben.

Ihr habt Anfang des Jahres die Agentur für urbane Unordnung gegründet. Wie entstand die Idee?
Die Idee zu „Recht auf Stadt“ etwas zu machen, stand schon länger im Raum. Das Dankbare an dem Thema ist ja, dass man damit nicht nur einzelne Grüppchen anspricht, sondern alle, die in einer Stadt wohnen. Ende vergangenen Jahres haben wir uns dann erstmals zusammengesetzt und gesagt: Lasst uns aufhören nur zu reden. Lasst uns endlich was machen.

Und wer ist „wir“?
Momentan sind wir ungefähr 20 Leute. Einige davon kommen aus unterschiedlichen linken Gruppierungen, andere sind Kunst- und Kulturschaffende. Altersmäßig reicht das Spektrum von Anfang 20 bis in die Vierziger, Fünfziger hoch.

Wie ironisch meint ihr den Begriff „Agentur“ in dem Zusammenhang?
Der ist natürlich zu 100 Prozent ironisch gemeint. Er zielt auf die unzähligen Agenturen ab, die es hier in der Stadt gibt. Bei der Namensgebung haben wir uns vom „Zentrum für politische Schönheit“ inspirieren lassen. Eine Form des intelligenten Protests, die uns sehr gefällt.

Lass uns mal auf den Ordnungsbegriff kommen. Ordnung muss ja nicht zwangsläufig etwas Schlechtes sein. Warum habt ihr trotzdem was dagegen?
Ordnung per se ist nichts Schlechtes, das ist richtig. Wir kritisieren den Ordnungsbegriff im Sinne einer sozialen Ordnung, einer regelrechten Hackordnung. Wenn zum Beispiel im Andreas-Quartier ein paar Einkommensstarke und damit sozial Starke auf der vom Pförtner beschützten Restaurant-Terrasse ein Glas Wein für 15 Euro trinken, gilt das als in Ordnung. Sitzen ein paar Alkis auf der Mauer mit einem Bier in der Hand, gilt das als unordentlich. Deswegen kommt dann auch das Ordnungsamt und verscheucht die Menschen. Wir finden das nicht gerecht. Und wir möchten es nicht hinnehmen, sondern die Dinge ins Wackeln bringen. Die Ordnung durchbrechen. Deshalb sind wir mit dem Begriff der Unordnung angetreten.

Der Claim, mit dem Düsseldorf seit einiger Zeit beworben wird, heißt „Nähe trifft Freiheit“. Er stehe für die „einzigartige urbane Atmosphäre einer Stadt, in der man sich immer verbunden fühlt — mit der Welt und miteinander“, hieß es vonseiten der Stadt. Wie nehmt ihr Düsseldorf wahr?

Baustelle Grand Central, ehemals PostPost

Die Stadtoberen grenzen systematisch Menschen aus, die ein Recht auf Stadt haben. Das geht bei den Sitzgelegenheiten, die im öffentlichen Raum aufgestellt werden, los, auf denen man sich nicht mehr hinlegen kann, und endet bei Mieten, die für viele längst unerschwinglich geworden sind. In unserem Manifest heißt es „Die Stadt wird kälter“. Die Ärmsten und sozioökonomisch Schwächsten werden gezwungen, ihre angestammten Viertel zu verlassen und an die Peripherie auszuweichen. Auch den Kulturschaffenden fehlen Räume. Die Brause muss Ende Mai aus der alten Tankstelle an der Bilker Allee ausziehen, weil dort ein neuer Wohnkomplex entstehen wird. Das finden wir sehr schade, weil damit ein wichtiger Teil der hiesigen Subkultur verschwindet und es für die Macher der Brause sicherlich schwierig werden wird, in Bilk, Oberbilk oder Friedrichstadt neue Räume zu finden.

Auf der Kiefernstraße startet am 30. April die von euch organisierte Demonstration unter dem Motto „Wohnen ist ein Menschenrecht“. Auf dem Grundstück an der Erkrather Straße waren ursprünglich ein Hotel und Mikroapartments geplant. In der vergangenen Woche wurden die Pläne für das Hotel nun gekippt. Ist der Drops schon gelutscht?
Die Pläne für das Hotel wurden gekippt, das ist richtig. Die Leute von der Kiefernstraße haben einen guten Kommentar geschrieben, in dem sie erklären, dass die neuen Baupläne zwar netter formuliert seien, aber im Endeffekt nur eine „Verschleierung der Tatsache, dass es sich dabei weiterhin um hochpreisige Wohnbebauung im Stil der Mikroapartments handelt“. Trotzdem darf man festhalten, dass es bereits ein kleiner Erfolg der Kiefernstraße ist, dass die Hotelpläne komplett verworfen wurden. Ein Erfolg, der ohne ihr großartiges Engagement nicht möglich gewesen wäre. Aber ausruhen werden sie sich auf diesem Erfolg nicht. Sie werden gegen die Mikroapartments weiter kämpfen und wir als Agentur für urbane Unordnung werden uns diesem Kampf selbstverständlich anschließen.

Die ersten beiden Veranstaltungen, die ihr organisiert habt, drehten sich um das Thema Gentrifizierung. Hat das für euch höchste Wichtigkeit?
Wir versuchen möglichst breit aufgestellt zu sein, um auch kurzfristig auf Tagesaktuelles reagieren zu können. Aber das Wohnraum-Thema ist natürlich momentan deutschlandweit derart präsent, dass man darum überhaupt nicht herum kommt. In Berlin gab es ja vor einigen Wochen die großen Demos zum Thema Enteignung. So weit ist man in Düsseldorf noch nicht. Trotzdem: Komplexe wie das Andreas-Quartier dürfen in Zukunft hier nicht mehr entstehen. Zwei Drittel der Wohnungen dort stehen immer noch leer. Beworben wird das Quartier übrigens mit dem Slogan „Wohnzimmer Düsseldorfs“. Wohnzimmer, für wen denn?

Im eurem Manifest schreibt ihr auch „Gemeinsam wollen wir uns die Stadt zurückerobern. Den Asphalt aufbrechen, Wände besprühen, an den Glaspalästen kratzen, uns Räume nehmen und feiern. Wir wollen Gärten statt Parkhäuser, Ateliers statt Shoppingarkaden, Freiräume statt Konsumtempel.“ Wie wollt ihr diese Ziele konkret erreichen?
Wir wollen zunächst mal mit diversen Veranstaltungen darauf aufmerksam machen, was in Düsseldorf schief läuft. Aber dabei soll es natürlich nicht bleiben. Langfristig geht es natürlich darum, etwas zu tun. Wir sind gespannt, wie viele Menschen wir mit ins Boot holen können. Wir möchten Leute ermutigen, selbst aktiv zu werden, Mieterproteste zu organisieren, sich für Ökologie in der Stadt einzusetzen, Kunst im öffentlichen Raum zu machen. Es ist unsere Stadt und wir sollten uns alle dafür verantwortlich fühlen und uns überlegen, wie wir hier leben wollen. Uns ist bewusst, dass wir für all das einen langen Atem brauchen. Dass es dauert, bis man Menschen mit derartigen Themen erreicht. Aber die Zeit nehmen wir uns. Die Agentur für urbane Unordnung ist als langfristiger Protest geplant.

Mit eurer Art von Protest schließt ihr die Lücke, die einst die Gruppierung „Freiräume für Bewegung“ gerissen hat. Sie praktizierten bis vor einigen Jahren einen von Künstlern geprägten kreativen Protest. Entspricht das in etwa dem, was ihr vorhabt?
Auch, ja. Wir stehen mit einigen Leuten in Kontakt, die sich damals bei den „Freiräumen für Bewegung“ engagiert haben. Diese Menschen sind natürlich für uns Gold wert, weil die einfach viel Erfahrung in dem Bereich mitbringen. Die „Freiräume“ haben sich damals sehr auf die Kunst- und Kulturschiene fokussiert. Dabei möchten wir es nicht ausschließlich belassen, weil wir der Ansicht sind, dass es hier Menschen gibt, die noch mehr Probleme haben als die Künstler.

Ihr habt, wie bereits erwähnt, zwei Veranstaltungen organisiert, einen kritischen Stadtspaziergang und einen Vortrag zum Thema Gentrifizierung. Wie ist die Resonanz von außen bisher?
Gerade bei dem kritischen Stadtspaziergang war viel Empörung zu spüren. Vielen Menschen gefällt es nicht, wie sich Düsseldorf entwickelt. Am Ende steht immer die Frage: Was kann man jetzt dagegen tun? Auf die haben wir natürlich auch nicht die eine ultimative Antwort. Wichtig ist es aber in jedem Fall, mit anderen Menschen zu reden, sich zu organisieren und zu vernetzen. Nur als große Gruppe hat man letzten Endes eine Chance etwas zu erreichen.

Was genau habt ihr den Mitgehern bei dem kritischen Stadtspaziergang gezeigt?
Der Spaziergang war eine Kooperation mit dem SDS, dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund. Er begann am Linken Zentrum und führte von dort aus unter anderem zur Brause, zu den Düsseldorf Arkaden, zum Andreas-Quartier in der Altstadt, zum Worringer Platz und zuletzt zur Kiefernstraße. Thematisch ging es darum, wie sich die Stadt an bestimmten Stellen durch Neubauprojekte verändert. Wir haben den Mitgehern zum Beispiel erklärt, was auf dem Gelände des ehemaligen PostPost entstehen wird, wie das die Gegend zukünftig prägen wird. Dabei ging es auch um die Verdrängung bestimmter Milieus aus dem öffentlichen Raum, so zum Beispiel die der Drogenabhängigen am Worringer Platz.

Am 30. April ladet ihr zur Demo auf die Kiefernstraße. Was darf man von euch darüber hinaus in Zukunft erwarten?
Auch nach der Demo sind schon einige Veranstaltungen geplant. Am 12. Mai zeigen wir in der Filmwerkstatt „Empire St. Pauli“. Der Film ist mittlerweile zwar schon zehn Jahre alt, das Thema aber immer noch aktuell. Es kommen auch Leute aus Hamburg vorbei, um mit uns zu diskutieren. Am 14. Mai erwarten wir Thomas Eberhardt-Köster in der BiBaBuZe. Er stellt sein Buch „Wohnen ist ein Menschenrecht“ vor, das im vergangenen Jahr erschienen ist. Und für den 23. Mai planen wir die Veranstaltung „Street Art – Wer bemalt die Stadt?“ mit dem Kunsthistoriker Harald Hinz. Er hat sich auf Graffiti und Style Writing spezialisiert und spricht in der Hood Company. Wir versuchen, immer unterschiedliche Orte aufzusuchen. Zum einen damit wir selber rauskommen aus dem Linken Zentrum. Aber auch, damit wir mit unseren Themen immer neue Leute erreichen. Unsere erste Veranstaltung fand zum Beispiel in „Monis Fortuna-Eck“ in Flingern statt. Das ist ein Laden, den Leute meines Alters nicht unbedingt kennen.

Und was sagt Moni so zum Thema Gentrifizierung?
Gar nichts. Die war voll und ganz damit beschäftigt den Gästen Getränke zu verkaufen. Der Laden war an dem Abend nämlich rappelvoll. Es waren übrigens auch vier, fünf Stammgäste von Moni da, die sich den Vortrag „Strategien gegen Gentrifizierung“ angehört haben. Genau darum geht es uns. Den Kreis ständig zu erweitern.

30.4., 18:30 Uhr, Demonstration, Kiefernstraße

Hinweis: Auf gendergerechte Sprache wurde bei diesem Gespräch aus Gründen der Einheitlichkeit verzichtet. Der Befragte betont aber ausdrücklich, dass in den entsprechenden Fällen stets alle Geschlechtsidentitäten angesprochen sind.

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