Nach der Maxime agierte er dann auch in den folgenden Jahren. Spoerri lieh der Gastronomie zwar seinen Namen und war offiziell künstlerischer Leiter, hatte aber mit dem Alltagsgeschäft wenig zu tun. Und so blieb es dem Wirt Schröter überlassen, die Spezialitäten-Karte des Restaurants mit ständig wechselnden Exoten zu bestücken. Elefantenrüssel, Seidenraupen, Termiten oder Bärenfleisch – im „Spoerri“ gab es nichts, was es nicht gab. Schröter bestellte bei einem Delikatessen-Händler in Paris sechs Portionen Python („Die waren sehr schnell weg“). Der Löwenpark Gelsenkirchen lieferte Löwen und das schwedische Königshaus schickte zwei Elche. Problem: Der Schlachthof durfte die Tiere aus Skandinavien nicht zerlegen. „Ich habe sie dann bei meiner Schwiegermutter unter dem Vordach der Terrasse aufgehängt und selber zugeschnitten“, lacht Schröter. Er zeigt auf die Wohnzimmerwand. Dort hängt ein Schwarz-Weiß-Foto, das beweist, dass er die Wahrheit sagt – so irre das auch alles klingt.
Kaum weniger unglaublich ist die Geschichte rund um die Löwen aus Gelsenkirchen. Während dessen Fleisch im „Spoerri“ unter die stets experimentierfreudigen Gäste gebracht wurde, ließ Schröter einige tote Tiere zu Künstler Günter Weseler bringen. Dort wurden sie präpariert und mit einem Motor versehen. Sobald man den anschaltete, hob und senkte sich ihr Fell – ganz so, als würde die Löwen atmen. Lange Jahre stand eines der ausgestopften Raubtiere im Wohnzimmer der Schröters, wo es unter anderem Bekanntschaft mit dem Dackel eines Nachbarn machte. Mittlerweile gehört das Präparat zur Sammlung des Kunstpalast. Vor einigen Jahren verkaufte Schröter Teile seiner Sammlung – darunter Werke von Lichtenstein, Uecker und Lindner – an das Düsseldorfer Museum. Natürlich würde er sich wünschen, dass die Stücke noch mal in einer Ausstellung gezeigt würden. Geplant ist derzeit aber nichts. Der Malkasten würdigte die Eat Art 2009 mit einer Ausstellung. Die Kunsthalle Düsseldorf zeigte 2009/10 die großartige Übersichtsausstellung „eating the universe. Vom Essen in der Kunst“. Und 2015/16 war die Eat Art Thema eines Projektraums in der Kunstpalast-Reihe „Spot on“.
In der Malkasten-Schau waren auch schwarz-weiße Aufnahmen des Restaurants von dem Fotografen Walter Vogel zu sehen. Die Einrichtung scheint im „Spoerri“, wenn überhaupt, allerdings nur eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben. Im Erdgeschoss des zweigeschossigen Ecklokals war eine schlichte Bierbar mit Theke. Über eine Wendeltreppe erreichte man das Restaurant im ersten Stock. Die Wände des kleinen Raums waren komplett mit Briefen aus Spoerris Privatbesitz tapeziert: Mahnungen, Beratungen, Korrespondenz. Die blauen Tischplatten wurden, wenn die Gäste fertig gespeist hatten, ab und an mit sämtlichen Spuren des Essens – Lebensmittelreste, volle Aschenbecher, Besteck und so weiter – einfach abgeräumt. Im Anschluss fixierten Kunststudenten die Reste des Mahls mit Leim und Konservierungsstoffen und versahen das Ganze mit einer Hülle aus Plexiglas. Die dreidimensionalen Stillleben, genannt Fallenbilder, verkaufte dann Hete Hünermann, die Schwester von Gabriele Henkel, in der Galerie über und später neben dem Restaurant.
Und dann war da noch die Sache mit den „Karnickelköttelkarnickeln“, jenen Säugern, die aus ihrem eigenen Kot geformt wurden. Die Idee dafür stammte einmal mehr von Dieter Roth, dessen Name sich – aber das nur am Rande – übrigens in unterschiedlichsten Schreibweisen findet (u. a. Diter Rot). Roth wollte also 100 Multiples herstellen lassen, um damit die Verdauung, die ja nun einmal auch zum Essen gehört, zu thematisieren. Ein Student schnitzte eine Kaninchen-Form, alles weitere oblag Carlo Schröter. Der besorgte sich die Kaninchen-Ausscheidungen zunächst aus der Umgebung von Düsseldorf. Allein das Material hielt nicht, sondern zerfiel in seine Bestandteile. Vermutlich lag es am Futter. Schröter kam in der Folge auf die Idee, den Kot in seiner Schweizer Heimat zu besorgen – von Tieren, die ausschließlich frisches Grünzeug fressen. Er packte die Karnickel-Form ein und stieg ins Auto. Tatsächlich funktionierten die Schweizer Ausscheidungen perfekt. 100 Tiere wurden geformt und auf der Ladefläche seines Autos fein säuberlich aufgereiht. Mit dieser merkwürdigen Ladung fuhr Schröter zur Grenze. Dort wurde er mit Fragen konfrontiert. Was das auf der Ladefläche denn sei, wollte der Grenzbeamte wissen. „Kaninchenscheiße“, lautete die Antwort, die mehr Gesprächsbedarf von Seiten der Grenzer nach sich zog. Drogenschmuggel lautete der Verdacht. Schröter müsse die Karnickel da lassen, damit sie zwei oder drei der Skulpturen zerstören und näher untersuchen könnten, sagten die Grenzer. Wenn nichts dabei nichts gefunden werde, könne er die Karnickel wieder abholen und ausführen. Schröter war not amused. Ob es zu dem vorgeschlagenen Vorgehen eventuell eine Alternative gebe, fragte er. Und bekam eine überraschende Antwort: Er könne auch versuchen, mit seiner merkwürdigen Fracht an anderer Stelle die Grenze zu passieren. So geschah es dann und alle 100 Kaninchen erreichten unbeschadet Düsseldorf. Das Rohmaterial war übrigens wirklich ausgezeichnet. Bis heute stehen zwei der Hoppelmänner im Wohnzimmer an der Grafenberger Allee.
Man könnte Schröter ewig so zuhören. Und er könnte ewig weitererzählen. Weil einer seiner guten Tage ist. Weil das „Spoerri“ die beste Zeit seines Lebens war. Und die Geschichten einfach weitergereicht werden müssen. Irgendwann war dann aber trotzdem Schluss mit Python, Elch und Hammelhoden. Der Vermieter kündigte eine drastische Mietpreiserhöhung an. Und vom Ordnungsamt, dem das „Spoerri“ stetes mindestens suspekt war, kamen ständig neue Auflagen. Schröter hatte „die Schnauze voll“. 1981 beendete er das Kapitel „Spoerri“ einfach über Nacht. Geld habe er ohnehin mit dem Restaurant nie verdient. Aber darum ging es auch nicht. Sondern um Kunst. Um Selbstverwirklichung. Um großen Spaß. Wie geht ein Leben nach einem solchen Kapitel weiter? Schröter fand einfach eine neue Passion. Er wurde Ballonfahrer.
Teil 1 es Beitrags gibt es hier.
Herzlichen Dank an Carlo und Doris Schröter für die langen und sehr amüsanten Gespräche. Und an Werner Gabriel fürs Bereitstellen der Fotos aus dem Restaurant Spoerri.
4 Kommentare
KommentierenEs gab auch Löwenherz.
Danke schöne Erinnerungen danke. Einiges selber miterlebt da ich nach meiner Kochlehre dort gearbeitet habe. Leider habe ich keine Bilder aber noch einige Speisekarten.
Unerwähnt ist der tote , riesige Bär in seinem Fell, der im Schaufenster neben dem Spoerri in seinem Blut
lag. Ich glaube, der Bär wurde – von wem auch immer – im damaligen Jugoslawien geschossen.
Von dem Bären wusste ich nichts. Und Carlo Schröter hat ihn auch nicht erwähnt. Vermutlich gibt es einfach zu viele gute Geschichten rund um das Spoerri!