Carmen Guiba im Interview – „Es geht um die Zukunft von Afrika“

Carmen Guiba kennt man in Düsseldorf eher unter ihren Künstlernamen Carmen Brown und Gata Misteriosa. Als letztere ist sie Teil des Global-Bass-Duos Gato Preto, das seit seiner Gründung 2012 weltweit Konzerte spielt. Mit der Reihe „Afrofuturismus in Düsseldorf“, die am 25. Januar im Cinema startet, lädt die Tochter mosambikanischer Eltern die Menschen nun ein, sie bei der Suche nach ihren afrikanischen Wurzeln zu begleiten. theycallitkleinparis hat mit Guiba gesprochen.

Carmen, du bist in Portugal aufgewachsen. Deine Eltern stammen aus Mosambik. Wie sehr hat dich ihre Heimat kulturell geprägt?
Ich bin in der Nähe von Lissabon augewachsen, in einer afrikanisch geprägten Community. Das waren Menschen aus Mosambik, Angola, Guinea-Bissau und von den Kapverden. Aus den portugiesischsprachigen Ländern Afrikas. Mein Elternhaus war sehr offen. Ich habe sechs Geschwister und auch darüber hinaus eine sehr große Familie. Am Wochenende kamen immer Freunde vorbei, man hat zusammen gegessen und Musik gehört. Wir waren manchmal 15, 20 Kinder auf einem Haufen – alle mit afrikanischem Hintergrund. Das hat uns gutgetan. Uns Halt gegeben. Weil ich das hatte, fühle ich mich heute so wohl in meiner Haut.

Mittlerweile bist du 41 Jahre alt, 3-fache Mutter und erfolgreiche Musikerin. Du lebst seit 2004 in Deutschland, in Düsseldorf, hast hier in unterschiedlichen Formationen Musik gemacht. Du warst Teil von Don Cabrón, hast eine einjährige Urlaubsvertretung bei N.O.H.A. gemacht, bist als Carmen Brown aufgetreten. Seit 2012 bildest du zusammen mit David Micah alias Lee Bass das Global Bass-Duo Gato Preto. Wie hat das angefangen mit Dave und dir?
Dave hat mich gefragt, ob ich zu dem Track „Tschukudu“, den er gemacht hatte, rappen würde. Eine Freundin von ihm, die seinerzeit an der Kunstakademie studierte, hat zu dem Song dann ein Video gemacht. So ging das los. Global Bass war damals in Europa ziemlich im Kommen. Cumbia, Russendisko, elektronischer Sound vom Balkan – plötzlich kam Internationalität rein.

Ihr seid dann auch ganz gut durchgestartet, wart gerade in den Jahren 2017 und 2018 viel international unterwegs.
Ja, 2017 und 2018 waren turbulente Jahre für Gato Preto. Wir haben unser Debütalbum „Tempo“ veröffentlicht. Und wir waren viel auf Tour. Neben Konzerten in Pariser und New Yorker Clubs gab es auch Auftritte beim Londoner „Lovebox Festival“, dem „African Futures Festival“ in Johannesburg, dem „Lowlands Festival“ in den Niederlanden, dem „Glastonbury Festival“ in England, dem „Fusion Festival“ bei Berlin oder dem NyegeNyege-Festival in Uganda. Im vergangenen Jahr waren Gato Preto dann unter anderem beim „Womex“ in Katowice und beim der SXSW in Austin.

Wie würdest du euren Sound beschreiben?
Unser Sound bringt vieles von dem zusammen, was internationale Club-Kultur spannend macht. Die Grundzutaten sind rockender Favela-Funk aus Rio, rumorende Township-Grooves aus Südafrika und Angolas technoider Electro-Hybrid Kuduro, wahlweise mit Rave und Breakbeat vermengt.

Mittlerweile habt ihr mit Gato Preto schon häufiger in afrikanischen Ländern gespielt. Gibt es, was die Publikumsreaktionen angeht, Unterschiede zwischen Europa oder den USA und Afrika?
Ja, sehr große sogar. Dave und ich sind zwar Afrikaner, sein Vater kommt aus Ghana, aber wir machen keine Musik, die in Afrika populär ist. Unser Sound ist ja ziemlich ravig und hat damit etwas sehr Europäisches. Die afrikanischen Zuschauer haben so was oft noch nie gehört. Dementsprechend abwartend sind sie gerade zu Beginn unserer Sets. Für uns sind die Gigs in Afrika deshalb weniger berechenbar als, sagen wir mal, in den USA. Aber sehr aufregend.

Ende Januar trittst du zusätzlich zu deiner eigenen künstlerischen Arbeit als Organisatorin der Reihe „Afrofuturismus in Düsseldorf“ in Erscheinung. Für die, denen es ähnlich geht wie mir und die den Begriff noch nie gehört haben: Was ist Afrofuturismus?
Die Bewegung existiert schon seit den 1940er und -50er Jahren. Damals hat Sun Ra mit experimentellem Jazz angefangen. Der Begriff „Afrofuturismus“ kam allerdings erst in den 1990ern auf. Zu der Zeit begannen einzelne Leute zu dokumentieren, welche Künstler innerhalb der afrikanischen Kultur Relevanz hatten, es gab allerdings noch keine Vernetzung untereinander. Das hat sich mittlerweile geändert. Bei Afrofuturismus geht es darum, dass die afrikanische Community Helden braucht, Vorbilder. Dass man als Afrikanerin oder Afrikaner in bestimmten Kontexten repräsentiert ist. In manchen Bereichen ist das bereits der Fall. In der Musik zum Beispiel. Oder im Sport. In anderen gibt es bis heute gar keine afrikanischen Repräsentanten. Zum Beispiel im Bereich Naturwissenschaften. Das weiß ich ziemlich genau, weil ich selber mal Physik studiert habe, damals, als ich nach Deutschland kam. Vor 16 Jahren.

Wie entstand die Idee, das Thema hier in Düsseldorf sichtbar zu machen?
Mit Gato Preto wurden wir vor einigen Jahren vom Goethe-Institut zum schon erwähnten „African Futures Festival“ nach Johannesburg eingeladen. Das Festival fand parallel in drei Städten auf dem afrikanischen Kontinent statt: In Lagos (Nigeria), in Nairobi (Kenia) und in Johannesburg (Südafrika). Eingeladen waren afrikanische Modedesigner, Wissenschaftler, Schriftsteller, Bildende Künstler oder Virtual-Reality-Leute. Sie alle zu erleben, hat mir selber die Augen geöffnet. Ich war stolz, Teil dieser Gruppe zu sein, in der jeder auf seinem Gebiet exzellent ist. Mir war vorher gar nicht klar, wie breit das Spektrum afrikanischer Kultur tatsächlich ist. Wenn man an afrikanische Kultur denkt, denkt man ja am ehesten an Musiker. Oder an Sportler. Beim Afrofuturismus geht es hingegen darum, alle Bereiche, alle Sparten sichtbar zu machen. Das „African Futures Festival“ in Johannesburg war für mich eine Art Katalysator. Ich habe angefangen, mir Fragen zu stellen. Wie möchten wir als Afrikaner unsere Kultur dargestellt wissen? Es geht darum, den Postkolonialismus zu überwinden. Um Selbstermächtigung. Selber Brunnen zu bauen statt sich Brunnen bauen zu lassen. Es geht um die Zukunft von Afrika.

Wenn wir über afrikanische Kultur sprechen, meinen wir hier in Deutschland, so zumindest mein Eindruck, in den meisten Fällen Trommeln.
Wir haben ja auch die besten Trommler in Afrika. Aber das ist natürlich nicht alles. Und das möchten wir zeigen. Darum geht es. Lee Bass und ich haben 2018 den Blog africafutura.com gestartet, auf dem wir das Thema Afrofuturismus verhandeln. Irgendwann entstand dann die Idee, zu dem Blog auch begleitende Veranstaltungen zu machen. Damit beginnen wir jetzt.

Die Auftaktveranstaltung zu „Afrofuturismus in Düsseldorf“ findet am 25. Januar im Cinema statt. Was erwartet die Besucher?
Es wird ein Abend ganz im Zeichen des afrikanischen Science-Fictions werden. Wir zeigen ausgewählte Kurzfilme von Robots of Brixton, Afronauts und einigen anderen. Es werden auch ein paar Videos von Gato Preto zu sehen sein. Nach den Filmen folgt eine Diskussionsrunde. Im Anschluss ist eine Aftershow Party mit verschieden DJs vom AfricaFutura DJ-Team geplant: Lee Bass, Matt Flores und Klaus Insehaus (Flora Beats).

Wer sind die Teilnehmer der Diskussionsrunde?
Es sind nicht mehrere Leute, die auf dem Podium sitzen. Wir haben es eher so geplant, dass die Besucher mir Fragen stellen können. Zu Afrofuturismus. Zu der Idee der Reihe. Und zu den Filmen, die im Cinema gezeigt wurden. Die Menschen hier in Deutschland sind es ja nicht gewohnt, einen Film zu sehen, in dem alle Rollen von Afrikanern besetzt sind. Daran müssen sie sich erst gewöhnen. Da gibt es bestimmt Gesprächsbedarf.

Wie viele Veranstaltungen sind für dieses Jahr darüber hinaus geplant?
Wir möchten in diesem Jahr noch zwei, drei weitere Veranstaltungen machen. Eine wird im zakk stattfinden, eine im KIT Café. Darüber hinaus könnte es auch eine Kooperation mit dem „Düsseldorf Festival“ geben. Diesbezüglich gibt es gerade Gespräche. Langfristig könnten wir uns durchaus vorstellen, das Ganze auszubauen, 2021 vielleicht ein kleines Festival zu organisieren. Aber jetzt muss man erst mal schauen, wie das Ganze anläuft. Die Presse hat das Thema total gut angenommen. Aber das Cinema hat halt auch 190 Plätze und momentan sind wir noch nicht ausverkauft.

Wen soll das Angebot ansprechen?
Zum einen natürlich Menschen wie mich, die afrikanische Wurzeln haben. Aber auch alle anderen, die Interesse an afrikanischer Kultur, an Kultur generell haben. Man muss so einer Reihe natürlich auch Zeit geben, das geht nicht von heute auf morgen. Aber man sollte das Düsseldorfer Publikum auch nicht unterschätzen. Die Leute hier sind sehr neugierig. Und kulturinteressiert.

Zum Schluss würde ich gerne noch mal zum Ausgangspunkt unseres Gesprächs zurückkommen. Zum Heimatland deiner Eltern. Warst du schon mal in Mosambik?
Nein, bis heute habe ich das noch nicht geschafft. Das Leben rast. Es ist so viel los. Und ich habe ja auch mittlerweile drei Kinder. Aber ich würde sehr gerne mal hinreisen. Im April haben wir mit Gato Preto eine Show auf La Réunion. Da gäbe es die Möglichkeit, über Johannesburg zu fliegen. Aber von dort aus sind es auch noch viele Stunden mit dem Bus bis nach Mosambik. Mal sehen, ob es klappt.

25.1., 21 Uhr, AfricaFutura Filmfestival, Cinema, Düsseldorf

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