Merle Forchmann ist Fotografin und lebt in Flingern. In den vergangenen Jahren zog es sie, ebenso wie ihre Kollegin Eva-Maria Burchard, mit ihrer Kamera immer wieder in den Düsseldorfer Süden, nach Garath. Aus den dort entstandenen Aufnahmen von Menschen, Architektur und Natur ist nun ein Fotokunst-Magazin geworden. theycallitkleinparis ist großer Fan des kostenlosen Hefts und hat mit Merle Forchmann ausführlich über das Projekt gesprochen.
Merle, wie entstand die Idee für das Garath-Magazin?
Ich bin im Düsseldorfer Süden aufgewachsen, in Benrath. Meine Mutter hat als Sozialarbeiterin in Garath gearbeitet und ich hatte in der Schule mit vielen Leuten aus dem Stadtteil zu tun. Wir haben Garath damals gar nicht als sozialen Brennpunkt empfunden. Da haben halt Freunde von uns gelebt, folgerichtig haben wir uns da auch aufgehalten. Genauso wie in Urdenbach, wo ich zur Schule gegangen bin, oder eben in Benrath. Da haben wir keinen Unterschied gemacht. Als Eva-Maria und ich vor einigen Jahren über ein gemeinsames Projekt nachdachten, war Garath gerade in aller Munde. Stichwort Garath 2.0. Da haben wir gesagt: Dann lass uns doch da mal was starten. Erst dachten wir an einen Film oder einen Fotoband. Irgendwann haben wir uns dann entschieden, ein Magazin zu machen. Inspiriert hat uns übrigens ein Magazin aus dem Berliner Stadtteil Wedding.
Du hast es schon gesagt: Du stammst aus dem Düsseldorfer Süden. Und Eva-Maria, kannte die Garath ähnlich gut wie du?
Nein, gar nicht. Für sie war der Stadtteil total neu. Wir hatten also einen total unterschiedlichen Blick auf die Dinge. Die Zusammenarbeit hat insgesamt super funktioniert. Wir verstehen das Magazin als gemeinschaftliches Projekt. Es geht gar nicht darum, wer welches Foto oder welche Serie gemacht hat. Das ist an den Bildern auch nicht vermerkt.
Wie lange habt ihr an dem Projekt gearbeitet?
Das Ganze hat sich über drei Jahre gezogen. Eva-Maria und ich sind immer wieder nach Garath gefahren, um dort Fotos zu machen. Und natürlich mussten wir uns auch um die Finanzierung kümmern. Die hat letzten Endes die Stadt Düsseldorf übernommen. Das heißt natürlich auch, dass wir uns abstimmen mussten und den ein oder anderen Kompromiss eingehen. Aber letztendlich sind wir mit dem Ergebnis sehr glücklich.
Wolltet ihr mit dem Magazin bewusst einem vorherrschenden Klischee entgegen wirken?
Die ursprüngliche Idee war das Magazin wie ein Reisemagazin aufzumachen. Wir wollten ausschließlich die schönen Ecken zeigen – im Gegenlicht, ein bisschen kitschig. Damit haben wir angefangen. Aber derartige Projekte entwickeln ja oft eine Eigendynamik und so sind wir von diesem Weg wieder abgekommen. Wir haben dann eine Serie mit sogenannten Erstbewohnern aufgenommen, also Leuten, die Ende der 1960er Jahre, als der Stadtteil gerade entstand, nach Garath gezogen sind und bis heute in dort leben. Dafür haben wir in der Freizeitstätte extra ein kleines Fotostudio aufgebaut, in dem wir einige Tage fotografiert haben. Ein Foto, das in diesem Rahmen entstanden ist, ist letzten Endes auch auf dem Cover des Magazins gelandet.
Musstet ihr bei den Menschen viel Überzeugungsarbeit leisten? Die Garather gelten ja als einigermaßen misstrauisch, was nicht zuletzt daran liegt, dass über den Stadtteil immer wieder negativ berichtet wurde.
Überzeugungsarbeit mussten wir komischerweise gar nicht leisten. Es waren natürlich nicht alle, die wir angesprochen haben, bereit, sich fotografieren zu lassen. Aber doch ein großer Teil. Die gleiche Erfahrung haben wir gemacht, wenn wir mit unseren Kameras im Stadtteil unterwegs waren. Da wurden wir natürlich häufig angesprochen und gefragt, wofür wir fotografieren. Wir haben dann von unserer Idee eines Garath-Magazins erzählt und hatten auch ein Dummy dabei, das wir den Leuten zeigen konnten. Das stieß ausnahmslos auf Gegenliebe. Ich habe vor einigen Jahren mal eine Serie in Wersten fotografiert, da war es wesentlich schwieriger, die Leute zu gewinnen.
Die Porträts der Menschen stellt ihr jeweils Architektur gegenüber.
Die Architektur in Garath finde ich total spannend. Weil sie so unterschiedlich ist. Da gibt es zum einen Einfamilienhäuser, die häufig von hochgewachsenen Hecken umgeben sind. Und zum anderen die riesigen Wohnblocks, die an Ostdeutschland oder Osteuropa erinnern. Ich habe das fertige Magazin gerade einer Kollegin gezeigt, die Garath überhaupt nicht kennt. Die wollte jetzt unbedingt mal hinfahren. Genau das wünschen wir uns auch, Eva-Maria und ich. Dass die Menschen sich drauf einlassen und unvoreingenommen einen Blick riskieren.
Wobei, die Gegend rund um den S-Bahnhof ist ja schon alles andere als schön.
Das stimmt. Aber es ist nur der allererste Eindruck. Man darf sich nicht davon abschrecken lassen, sondern muss weitergehen, sich vom Zentrum entfernen.
Wo wir schon dabei sind: Welche drei Dinge sollte sich ein Ortsfremder in Garath unbedingt anschauen?
Auf jeden Fall St. Matthäus, die Kirche, die von dem Architekten Gottfried Böhm entworfen wurde. Außerdem würde ich das Fitnessstudio empfehlen. Das gibt es schon ewig und es sieht dementsprechend völlig anders aus als die großen Ketten, die man heute so kennt. Eher wie eine Garage. Und meine dritte Empfehlung ist ein Treffen mit Ditausgarath, weil er als Künstler so ungewöhnlich für den Stadtteil ist. Und weil er natürlich auch wahnsinnig viel über Garath weiß.
Ihr habt ja mit den Bewohnern auch über ihren Stadtteil gesprochen. Was schätzen die Bewohner an ihrem Viertel?
Gerade unter den älteren Menschen, die schon lange im Stadtteil leben, gibt es einen starken Zusammenhalt. Viele engagieren sich ehrenamtlich. Reinhold Liebich zum Beispiel, den wir für unsere Erstbewohner-Serie fotografiert haben, der aber mittlerweile leider verstorben ist, war Vorsitzender des Cineclubs. Das ist ein Verein zur Pflege und Förderung des Amateurfilms, zwei Mal monatlich treffen sich die Mitglieder in der Freizeitstätte. Das zweite, was die Menschen an Garath schätzen, ist, dass es so grün ist. Das haben wir auch immer wieder gehört. Dazu gibt es im Magazin deshalb auch eine eigene Fotostrecke. Sie zeigt den Garather Forst und den Altrhein.
Auf dem Cover eines Garath-Magazins hätte ich persönlich trotzdem einen der für Garath typischen Wohnblocks erwartet. Warum habt ihr euch entschieden, eine Person zu nehmen?
Wir hatten zunächst ein anderes Foto fürs Cover vorgesehen. Eine Straßenszene. Das gefiel der Stadt Düsseldorf, die das Magazin ja wie schon erzählt finanziert hat, aber nicht. Sie fanden das Foto zu klischeebehaftet, unter anderem weil eine Deutschland-Fahne zu sehen war. Deutschland-Fahnen findet man natürlich auch in anderen Düsseldorfer Stadtteilen. Aber in Garath sind sie anders konnotiert. Wir haben dann eins der Porträts für den Titel ausprobiert und sind dabei geblieben. Mittlerweile finde ich das auch viel besser, gerade weil das Porträt von Frau Werres sehr magazinig wirkt. Die Straßenszene wäre hingegen vielleicht eher was für einen Bildband gewesen.
Über die Fotos haben wir ja jetzt schon ausführlich gesprochen. Das Magazin enthält aber auch Textbeiträge. Worum geht es da?
Es gibt zwei längere Beiträge: zum einen ein Gespräch zwischen zwei Mitarbeiterinnen des Stadtplanungsamts und Maren Siegel, der Leiterin der Freizeitstätte Garath. Dabei geht es um das Thema Garath 2.0. Wie soll Garath für die nächsten Jahrzehnte zukunftsfähig gemacht werden? Außerdem hat Alexander Flohé einen Beitrag geschrieben. Er ist Lehrender für Stadtforschung an der Hochschule Düsseldorf im Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften. Weitere, kürzere Texte stammen von Carsten Johannisbauer, der im übrigen auch für die Gestaltung des Magazins verantwortlich ist.
Und was genau verbirgt sich hinter dem Garathon?
Das Wort Garathon ist eine Kombination aus Garath und Lexikon, also ein Lexikon, in dem ausschließlich Begriffe gelistet sind, die mit Garath zu tun haben. Karstadtjammer ist so ein Wort. Weil in Garath immer noch viele bedauern, dass das Kaufhaus geschlossen hat, dabei liegt die Schließung schon fast 20 Jahre zurück. Ich bin von Benrath aus mit meiner Mutter auch oft hingefahren. Wir haben dann in Karstadt-Restaurant gegessen. Würstchen mit Kartoffelsalat. Aber zurück zum Garathon: Auch Rudy Graf findet sich auf der Liste, die mittlerweile 544 Wörter (Stand: 30.1.2020, die Red.) umfasst. Rudy war bis Mitte der 1980er Jahre Gitarrist der Band Warlock, er stammt aus Garath. Zusammengestellt hat das Garathon der Künstler Dieter Nowatius alias Ditausgarath. Nowatius macht Musik, Comedy, er entwickelt Spiele, baut eigene Instrumente und vieles mehr. Und: Er hat sein ganzes Leben in Garath verbracht.
Ihr habt in das Projekt sehr viel Liebe, Zeit und Arbeit investiert. Und das Ergebnis sieht sehr schick aus. Trotzdem ist es kostenlos zu haben. Warum war euch das wichtig?
Wenn man zehn Euro drauf schreiben würde, würde es natürlich hochwertiger wirken. Leider kaufen die wenigsten Menschen ein so teures Magazin. Wir möchten aber gerne eine breite Zielgruppe erreichen, vielleicht auch Leute, die sich das nicht leisten könnten. Auch das Stadtplanungsamt wollte gerne, dass das Magazin kostenlos bleibt. Es wurde ja über Garath 2.0 gefördert. Es ist schließlich auch für die Garather und Garatherinnen.
Am 11. Februar ab 17 Uhr stellt ihr das Magazin offiziell vor – natürlich an Ort und Stelle.
Genau. Ab 17 Uhr laden wir in das Eiscafé Gondola in Garath. Das ist ein wichtiger und langjähriger Treffpunkt für die Garather. Für den Tag haben wir alle eingeladen, die wir für das Magazin fotografiert haben. Aber generell ist jeder willkommen. Es gibt Sekt und Eis. Und das Magazin wird ausliegen, sodass sich jeder ein Exemplar mitnehmen kann.
Für den Sommer planen wir außerdem eine Ausstellung. Die soll aber in der Innenstadt stattfinden, damit das Ganze noch mal aus Garath raus transportiert wird. Könnte sein, dass wir extra für die Ausstellung sogar noch mal neue Bilder machen.
War Garath erst der Anfang? Könnt ihr euch vorstellen, in der gleichen Manier auch andere Stadtteile zu würdigen?
Eigentlich hätten wir gerne noch ein zweites Garath-Magazin gemacht. Mit persönlicheren Geschichten. Leider haben wir keine Finanzierungsmöglichkeit dafür gefunden. Jetzt ist unsere Idee eher, andere Stadtteile in einem Magazin zu präsentieren. Rath zum Beispiel. Oder Heerdt. Das sind derzeit unsere Favoriten.
Das Garath-Magazin ist in einer Auflage von 3.000 Stück erschienen. Es ist kostenlos und liegt an zahlreichen Verteilstellen im gesamten Stadtgebiet aus.
3 Kommentare
KommentierenIch bin schon wahnsinnig neugierig und muss einige Exemplare für „meine“ Garather mitbringen. Ich bin schon riesig gespannt, wie die als Eingeborene darauf reagieren.
Vielen lieben Dank
Hallo Frau Wehrmann,
ich habe mit großem Interesse den Artikel gelesen und hätte großes Interesse an dem Magazin.
Sie schreiben, dass das Magazin an vielen Auslagestellen kostenlos erhältlich sei. Können Sie mir auch helfen, wo ich es finden könnte?
Mit freundlichen Grüßen
Frank Guntermann
Lieber Herr Guntermann,
ich habe eine Liste der Auslegestellen vorliegen. Sende sie Ihnen gleich per Mail zu, dann können Sie sich eine Stelle in Ihrer Nähe heraussuchen.
Viel Spaß mit dem Magazin wünscht:
Alexandra Wehrmann