Tomas Kleiner im Interview „Eine gesellschaftliche Verhandlung über mögliche Freiräume“

Im Juni vergangenen Jahres starteten Tomas Kleiner und Marco Biermann ein Experiment der besonderen Art: Die beiden Künstler ließen sich mit einer Luftmatratze über den Rhein treiben – von Düsseldorf bis hinter Duisburg. Natürlich taten sie das nicht unvorbereitet. Vielmehr waren dem Experiment monatelange Gespräche und Verhandlungen vorangegangen. Die waren allerdings bereits Teil des Projekts, bei dem es Kleiner und Biermann nicht zuletzt um die Frage geht, wie Menschen miteinander leben wollen. Seit einigen Tagen ist das Projekt „Medusa : Floating Body“ nun Teil einer Gruppenausstellung im K21. Dort können Besucher das Gefühl des Sich-Treiben-Lassens nachvollziehen. Wie genau das geht? theycallitkleinparis hat mit Tomas Kleiner gesprochen.

Beim Akademie-Rundgang 2018 wart ihr mit einer Arbeit vertreten, die allen anderen die Show gestohlen hat: In einem überdimensionalen Aquarium vor dem Eingang konnte man euch damals beim Gitarre spielen, Lesen oder Zähne putzen zuschauen. Alles, wohlgemerkt, unter Wasser. Da kann es doch kaum Zufall sein, dass euer jüngstes Gemeinschaftsprojekt auch mit Wasser zu tun hat, oder?
Als spezifische Wasser-Künstler würden wir uns nicht verstehen. Allerdings ist das Wasser ein Medium, das uns in vielerlei Hinsicht immer wieder anregt.

Zum Beispiel zu eurem aktuellen ergebnisoffenen Performance-Projekt „Medusa : Floating Body“, für das ihr mit einer Luftmatratze auf dem Rhein unterwegs wart. Welche Idee war der Ausgangspunkt?
Bei „Medusa : Floating Body“ ging es darum, sich Strömungen auszusetzen, sich auf ungerichtete Weise auf dem Rhein treiben zu lassen. Aus dem zielgerichteten und durchgetakteten Alltag auszubrechen, ist ein Traum, den wohl die meisten schon mal geträumt haben. Dieser romantische und kindlich-naive Impuls ist in unserer Arbeit allerdings gepaart mit der Frage, wie eine derartige Idee in Verhandlung mit den möglichen Verantwortlichen umsetzbar sein kann und welcher Raum so einem freiheitlichen Vorhaben gegeben wird.

Wie verlief das Projekt?
Die Rohfassung der Idee hatten wir schon vor einiger Zeit. Damals waren allerdings noch viele Fragen offen. Welcher Fluss? Welcher Abschnitt mit welchem Start- und Landepunkt? Wie genau soll der Schwimmkörper aussehen? Wer ist bei der Aktion dabei? Wie wird das Ganze sicht- und wahrnehmbar? Jede Menge an Variablen also, die wir eine ganze Weile mit uns herumgetragen haben. Im April 2019 ergab sich dann relativ kurzfristig die Möglichkeit, das Projekt in der Ausstellung „Polke und die Folgen“ in der Akademie Galerie Düsseldorf zu zeigen. Wir haben die damals noch ergebnisoffenen Vorbereitungen daraufhin in die Ausstellung verlegt. Aus künstlerischer Sicht finden wir es sehr anregend, die prozesshaften Entscheidungen, die bei solch einem Projekt getroffen werden müssen, offenzulegen und mitzuteilen. Das Bild des genialen Künstlers, der im stillen Kämmerchen seine geheimen Zutaten zusammenbraut und dann ein in sich geschlossenes beeindruckendes Mysterium hervorbringt, ist ganz und gar nicht unser Interesse. Je transparenter und offener der oft banale künstlerische Prozess gestaltet werden kann, desto spannender für uns – und hoffentlich auf für die Anderen. In den Räumen der Akademie-Galerie haben wir vorübergehend unser Atelier eingerichtet und sind in die konkrete Planung übergegangen. Wir haben Modelle und Skizzen entworfen, mögliche Verantwortliche und Kooperationspartner ausfindig gemacht, mit denen wir dann in Verhandlungen getreten sind, um gemeinsam zu klären, wie und ob das Vorhaben überhaupt umgesetzt werden könnte. Letzteres war bis kurz vor dem Termin der Aktion auf dem Rhein unklar. Aber selbst im Falle eines Scheiterns hätten wir eine angeregt prozesshafte Arbeit mit einer gleichzeitigen Sichtbarkeit in den Ausstellungsräumen geschaffen.

Wie viel Abstimmungsbedarf war für die Aktion nötig?
Ziemlich viel. Das Ganze sollte, das war uns wichtig, keine heroische Adventure-Unternehmung werden, bei der wir unser Leben aufs Spiel setzen wollten. Dann wären wir ja einfach ohne Ankündigung in See gestochen. Unser erster Ansprechpartner war direkt die größte Hürde: die Wasserschutzpolizei. Hier gab man uns den Rat, uns nach möglichen Partnern wie der DLRG umzuschauen, die das Projekt begleiten und absichern könnten. Bei der DLRG hatten wir das Glück, neben jungen, für künstlerische Aktionen offenen Mitgliedern auch auf ältere Veteranen zu stoßen, die noch die legendäre Rheinüberquerung von Beuys miterlebt und abgesichert hatten. Um für die Aktion eine Erlaubnis zu bekommen, mussten wir uns wiederum an die Bundeswasser- und Schifffahrtsbehörde wenden, die von der Aktion zunächst wenig begeistert war. Letztendlich einigten wir uns darauf, im Beisein aller Parteien einen Probelauf durchzuführen. Der verlief problemlos. Parallel verhandelten wir mit verschiedenen Schlauchboot-Herstellern über die Form und das Volumen einer kleinstmöglichen und doch für die Umstände tauglichen Luftmatratze. Darüber hinaus war noch die Flugbehörde involviert, weil wir die Aktion unter anderem aus der Vogelperspektive filmen wollten – mit einer Drohne.

Wie reagierten eure Ansprechpartner auf das Vorhaben? Wie viel Kunstverständnis war dort vorhanden?
Die erste Reaktion war meist ein verschmitztes Lächeln über die schöne und träumerisch-kindliche Idee, das dann aber durch die Frage der jeweiligen Verantwortlichkeiten direkt von einer ernsten und sachlichen Miene abgelöst wurde. „Eine wirklich tolle Idee, aber Sie müssen verstehen, dass das so nicht umsetzbar ist“ – den Satz haben wir häufig gehört. Dennoch sind wir hartnäckig geblieben, haben uns in die Fachsprache der Rheinschifffahrt eingearbeitet und möglichst genaue Pläne für alle möglichen Szenarien vorbereitet. Das hat bei unseren Gesprächspartnern Vertrauen geweckt. In der Folge war es schön zu beobachten, wie die jeweiligen Gesprächs- und Verhandlungspartner nach und nach mitzudenken versuchten und plötzlich mit träumerischen Augen über Vorstellungen sprachen, wie wir mit Sonnenhut und kurzer Hose dahintreiben würden. Mit Kunstverständnis hatte das allerdings weniger zu tun. Die Aktion hat aber auch nicht unbedingt den Anspruch auf eine konventionelle Auffassung von Kunst. Dennoch nutzen wir natürlich den Deckmantel und Schutzraum der Kunst, um solcherlei Überlegungen zu verorten und finanziell umsetzen zu können. In ihrer Ungerichtetheit und dem offen gesellschaftlich fragenden Modus liegt solchen Vorhaben aber auch eine zutiefst künstlerische Frage zugrunde: Wie wollen wir miteinander leben? Welche Möglichkeiten und Unmöglichkeiten können wir miteinander umsetzen und verantworten?

Das klingt nach einem sehr zeitraubenden Abstimmungsprozess. Der kann die Kunst ja auch durchaus ausbremsen und die eigene Lust auf das Vorhaben reduzieren. Wie war das im Fall von „Medusa : Floating Body“?
In diesem Fall war die Vorbereitung ja bereits Teil der künstlerischen Arbeit. Insofern räumt man diesen Prozessen auch mehr Raum ein. Es sind lauter künstlerische Entscheidungen, die dabei verhandelt werden und die sind meist spannend und aufregend. Trotzdem kamen wir mehr als einmal an den Punkt, dass wir von den Behörden genug hatten. Es ist schließlich ernüchternd, wenn man nicht mal eine Rückmeldung bekommt und in Ungewissheit sitzen gelassen wird.

Foto: Tomas Kleiner/Marco Biermann

Wie habt ihr die Aktion selber dann erlebt?
Unsere Erwartungen waren sehr unterschiedlich. Ich für mein Teil war skeptisch, wie wir mit dieser komplexen Situation umgehen würden, die ja ein Zusammenspiel darstellte von poetischen Naturgewalten, industrieller Bombastik, Technik und Sicherheitsvorkehrungen und der eigenen Vorstellung einer ehrlichen Performance. Auf der Matratze haben wir uns nach der Hälfte der Strecke abgewechselt, wir waren also jeweils allein in der Situation. Der jeweils andere war derweil auf einem der zwei Rettungsboote von der DLRG und hat die Aktion geleitet, bei der Absicherung mit kommuniziert und genaue Anweisungen für die Fotos und Videos gegeben. Das zweite DLRG-Boot war allein für eine potenzielle Rettung dabei. Auf der Matratze liegend war man somit in einem völlig umsorgten Schutzraum. Es war ausgesprochen grandios. Sobald man auf der Matratze lag und von der ersten Stromschnelle mitgenommen wurde, war alles wie in einer Art Traum-Modus. Überraschend ruhig, leise plätschernd und gleichzeitig enorm überwältigend, wenn ein riesiger Frachter, beladen mit geschätzt 500 produktionsfrischen LKWs, an einem vorüber dröhnt und im Hintergrund die ersten gigantischen Duisburger Industriewerke auftauchen. Unscheinbar und hilflos fühlt man sich da. Als mitten auf dem Rhein ein kleiner Zitronenfalter vorbei flatterte oder Rufe von Hunde-ausführenden Passanten am Ufer zu mit herüber schallten, war das sehr berührend. So müssen sich Figuren wie Huckleberry Finn oder Tom Sawyer fühlen! Wirklich brenzlig wurde es selten. Trotzdem waren die Beiboote natürlich wichtig, beispielsweise als Marco unter einen Schubleichter gespült zu werden drohte. Zwischen Duisburg und Dinslaken ging unsere Reise dann in der Dämmerung zu Ende. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang waren wir unterwegs gewesen.

Welche Erkenntnis habt ihr bei der Aktion auf dem Rhein gewonnen?
Das ist wieder die knifflige Frage nach der Freiheit. Im Grunde genommen gibt es die Freiheit vielleicht nur in Bezug zu einem Rahmen und somit in Bezug zu Grenzen. Wie ich bereits beschrieben habe, wollten wir das Projekt nie unangekündigt durchführen. Vielmehr hatten wir mit „Medusa : Floating Body“ vor, auf spielerische Weise eine gesellschaftliche Verhandlung über diese möglichen Freiräume innerhalb der streng definierten Regelwerke in Gang zu bringen. Auf Basis feinster Formulierungen und Umformulierungen gemeinsam mit all den Spezialisten und Verantwortlichen ist so ein künstlerisches Projekt entstanden, das den kindlichen Impuls des ungezwungenen Sich-Treiben-Lassens mit den strengen behördlichen Auflagen und Bundeswasserstraßen-Gesetzen verschränkt hat und so in dieser zeitgenössisch abgesichert-genehmigten Freiheit 2.0 mündet. Eine Art vorbereitete und konstruierte Freiheit, so haben wir es empfunden.

Foto: Tomas Kleiner/Marco Biermann

Bei der Aktion selber wolltet ihr bewusst keine größere Öffentlichkeit dabei haben. Deshalb habt ihr zum Beispiel die Medien auch erst im Nachhinein informiert. Warum?
Was die Frage angeht, waren wir uns lange unsicher. Wir hatten sogar eine Anfrage von einem Fernseh-Team, das die Aktion begleiten wollte. Aber so selbstbewusst waren wir dann doch nicht, zu glauben, dass wir die Aktion in deren Anwesenheit natürlich und beiläufig performen könnten. Die Aufregung war so schon groß genug. Außerdem finden wir es zunehmend spannend, uns von der konventionellen Performance abzuwenden, in der Zeitpunkt und Ort genau festgelegt werden, um dann auf einer eindeutigen Bühne etwas aufzuführen. Stattdessen haben wir in den sozialen Medien nur angekündigt, an welchem Tag die Aktion stattfand, ohne aber einen genaueren Zeitpunkt und Ort anzugeben. Wir fanden es spannend, dass andere von unserer Arbeit wussten, in ihren Köpfen ein Bild entstehen konnte. Letzten Endes waren wir dann sehr froh, bei der Aktion für uns gewesen zu sein. So konnten wir uns sehr gut auf die körperliche Erfahrung einlassen, die wirklich einzigartig und schön war.

Derzeit ist „Medusa : Floating Body“ Teil der Gruppenausstellung „In order of appearance“ im K21. Dort möchtet ihr das Gefühl des Sich-Treiben-Lassens für die Museumsbesucher nachvollziehbar machen. Wie genau?
Im Untergeschoss des K21 ist mitten im Raum eine Art Insel aus speziell für diesen Zweck hergestellten Luftmatratzen entstanden. Von dort aus können die Besucher sitzend oder liegend das Video von unserer Aktion auf dem Rhein auf einer von der Decke hängenden Projektionswand betrachten. Zusammen mit dem frisch überarbeiteten atmosphärischen Sound entsteht so eine ganz eigene schwebende Situation, die den Betrachter dazu einladen soll, sich davon treiben zu lassen und unsere Gefühle nachzuempfinden.

Ist das Projekt damit abgeschlossen oder geht es noch weiter?
Das ist eine gute Frage, die wir derzeit noch nicht beantworten können. Was wir auf jeden Fall noch angehen möchten, ist ein Katalog oder Künstlerbuch. Die Arbeit ist voller Skizzen, Bilder und feinsinniger Geschichten, die erzählt werden wollen.

Absolventinnen und Absolventen der Kunstakademie Düsseldorf 2019: „In order of appearance“, bis 8.3., K21, Düsseldorf

Schreibe einen Kommentar

*