Am 27. Februar jährt sich der Todestag von Henry Storch bereits zum zweiten Mal. Bis heute ist der Labelmacher, Clubbetreiber und DJ unvergessen. Nach seinem überraschenden Tod 2018 führte Henrys langjährige Kollegin Ina Schulz das Label alleine weiter. Vor Kurzem kam dann die Nachricht, dass Unique Records an Schubert Music Europe verkauft worden sei. Wie unabhängig bleibt das Label in Zukunft? Wer trifft die Entscheidungen? Und wie waren die vergangenen zwei Jahre ohne Henry? theycallitkleinparis hat mit Ina Schulz gesprochen.
Ina, wie bist du zu Unique Records gekommen?
Ich habe mich 2008 für ein Praktikum bei Unique beworben, nach dem Studium. Das Vorstellungsgespräch sollte ich eigentlich mit Henrys Kollegen Tino (Tino Stoschek war eine Zeit lang neben Henry Storch zweiter Geschäftsführer bei Unique, Die Red.) führen. Der hatte mich allerdings vergessen, aber Henry war da. Wir waren dann zusammen einen Kaffee trinken – und danach habe ich bei Unique angefangen. Ich habe zunächst mal ein dreimonatiges Praktikum gemacht. Anschließend haben wir entschieden, dass ich bleibe. 2020 bin ich immer noch da. Zwischendurch war ich allerdings mal drei Jahre in Dortmund und habe Radiopromotion bei Die4ma gemacht.
Was hast du vorher gemacht?
Ich habe Kommunikations- und Medienwissenschaften studiert. Bevor ich zu Unique kam, habe ich bei dem Hamburger Label Lado & Golden Gate Management ein Volontariat gemacht. Danach wollte ich aber gerne wieder zurück ins Rheinland.
Du hast also ziemlich lange und eng mit Henry zusammengearbeitet.
Wenn man meine Zeit in Dortmund abzieht, waren es sieben Jahre. In denen haben wir fast täglich zusammen im Büro gesessen. Unique, das waren ja ab 2014 nur wir beide. Es war also eine intensive Zeit.
Was hast du an der Zusammenarbeit mit Henry geschätzt?
Mir hat es gefallen, dass Henry unglaublich viel Vertrauen in mich hatte. Er hat überhaupt keinen Druck aufgebaut, selten Vorgaben gemacht, sondern hat mich meine eigenen Erfahrungen machen lassen. So konnte ich mich langsam entwickeln. Insgesamt war die Arbeit bei Unique ohnehin stark durch Learning by Doing geprägt, auch Henry wusste ja nicht alles. Insgesamt ist der große Vorteil daran, bei einem kleinen Label wie Unique zu arbeiten, dass man alles macht – von Buchhaltung über Pressetexte, Produktmanagement bis hin zu Tourbegleitung. Das ist bei großen Labels natürlich ganz anders. Da fängst du in einer Abteilung an – und bleibst dann da.
Wenn du vom Label sprichst, sagst du heute noch „wir“. Wen meinst du damit?
Ich sage vor allem deshalb wir, weil die Arbeit mit den Künstlern extrem wichtig ist. Das Teamwork. Es geht ja nicht darum, dass Künstler hier einen Vertrag unterschreiben und dann redet man nicht mehr miteinander. Vielmehr muss man, wenn man so klein ist wie Unique und jeden Cent umdrehen muss, die Künstler ganz stark mit einbeziehen. Die vergangenen zwei Jahre nach Henrys Tod wären ohne den Rückhalt der Künstler nicht möglich gewesen. Deshalb sage ich wir.
Wie viele Künstler veröffentlichen denn zurzeit auf Unique?
Ungefähr zehn. Und die sind sehr fleißig. Die touren, nehmen auf, mit ihnen findet ein reger Austausch statt. Die meisten kommen auch aus der Region. Man sieht sich also ziemlich oft.
Der Schreibtisch, der deinem gegenüber steht, war Henrys Arbeitsplatz, oder?
Ja, der sieht immer noch genauso aus wie damals. Nur der Rechner ist nicht mehr da. Der staubige Ordner liegt aber tatsächlich seit damals da. Und an die Schubladen unter dem Tisch habe ich mich auch noch nicht ran getraut. Früher oder später werde ich das aber wohl tun müssen, damit der Arbeitsplatz wieder frei wird.
Henry ist am 27. Februar 2018 überraschend verstorben. Er hatte, wie sich im Nachhinein herausstellte, eine verstopfte Arterie, die dann zu Organversagen führte. Wie hat dich die Nachricht von seinem Tod damals erreicht?
Auf dem Weg ins Büro. Ich ging gerade zum Bahnhof, ich wohne ja in Duisburg, da erreichte mich der Anruf von einem DJ, der viel mit Henry zusammengearbeitet hat. Der hatte über Facebook eine Nachricht von einem guten Freund von Henry bekommen, die ihm zunächst seltsam erschien. Henry habe am Wochenende seine letzte Platte aufgelegt stand in der Nachricht. Da ist mir schon das Herz in die Hose gerutscht. Als ich daraufhin meine eigenen Facebook-Messages gecheckt habe, hatte ich auch eine Nachricht von dem gleichen Freund bekommen. Ich bin dann trotzdem nach Düsseldorf ins Büro gefahren. Wie eine Maschine, ich habe einfach funktioniert. Als ich bei Unique ankam, war Henrys Auto nicht da. Und im Büro war niemand. Kurz danach kam der Anruf von Henrys Freund, der Gewissheit brachte.
Und dann brach wahrscheinlich alles über dir zusammen, oder?
Der Tag war auf jeden Fall einer der chaotischsten und wildesten Tage meines Lebens. Die ersten paar Stunden habe ich merkwürdigerweise überhaupt keine Träne vergossen. Erst als eine Fotografin kam, die sich die Räume hier mit uns teilt, musste ich es aussprechen. Henry ist tot. Danach konnte ich zwei Tage nicht mehr aufhören zu heulen. Später kamen dann Suzan Köcher und Julian Müller, Julian Janisch war hier, und viele andere aktuelle Unique-Künstler. Wir haben alle geraucht wie die Schlote und versucht, die schreckliche Nachricht zu verarbeiten. Jetzt, wo ich darüber erzähle, ist mir die Situation gleich wieder total präsent. Es konnte damals keiner von uns so recht fassen. Manchmal ertappe ich auch heute noch dabei, dass ich es nicht fassen kann. Dann sehe ich Henrys goldenen Volvo um die Ecke biegen.
Wie war die Zeit danach, war sofort klar, dass du das Label weitermachst?
Die logische Konsequenz nach Henrys Tod wäre eigentlich gewesen, nicht mehr ins Büro zu kommen. Ich war ja die ganze Zeit als Freiberuflerin für Unique tätig gewesen. Und mein Auftraggeber war verstorben. Ich bin aber trotzdem weiter gekommen und habe versucht, das, was anlag, so gut es ging zu erledigen. Das war eher wie ein Automatismus. Ich habe einfach nur funktioniert. Und natürlich hat mich die Arbeit auch abgelenkt. Henrys Tod war eine Sache. Aber, ich glaube, den Schlüssel für das Büro abzugeben und nie mehr wiederzukommen, das wäre das Schlimmste gewesen.
Hast du damals überlegt, ein neues Büro zu suchen? Der Ort war und ist ja eng mit Henry verbunden.
Nein, nie. Wir lieben dieses Büro. Ich bin hier super gerne. In Zukunft möchten wir allerdings ein bisschen umräumen. Deshalb sind wir auch gerade dabei, auszumisten. Dabei unterstützt mich Greta, eine Schülerin, die hier jobbt.
Seit 2018 hast du das Label alleine geführt. Ein ziemlicher Kraftakt. Hast du schon mal darüber nachgedacht, dir Verstärkung zu holen?
Ich denke ständig darüber nach. Weil eine One-Woman-Show, wie du schon sagst, wahnsinnig anstrengend ist. Man möchte mit den Künstlern zusammen sein, möchte Konzerte von ihnen sehen – das mache ich relativ oft. Gleichzeitig muss die Buchhaltung erledigt werden, man muss künstlerische Entscheidungen treffen, sich um Verträge und Gema kümmern und und und. Das ist natürlich für eine Person ziemlich viel. Die vergangenen Jahre waren finanziell schwierig für Unique. Deshalb wollte ich niemanden wild machen, obwohl ich wusste, ich kann ihn gar nicht bezahlen. Umso schöner ist natürlich die neue Aufstellung von Unique. Das ändert natürlich vieles. Darauf freue ich mich sehr. Auch darauf, wieder Kollegen zu haben.
Nun ist Unique Records an Schubert Music Europe verkauft worden. Wie kam das zustande?
Andreas Schubert, der Geschäftsführer von Schubert Music Europe, und Henry kannten sich seit vielen Jahren. Die beiden haben 2003 auch den Musikverlag zusammen gegründet. Deshalb war Andreas auch immer stark bei Unique involviert. Nach Henrys Tod hat sich Andreas viele Gedanken gemacht, auch darüber, wie es mit Henrys Frau und seinem Kind weitergeht. Er hat mir schon vor längerer Zeit gesagt, dass er ein Angebot für Unique Records einreichen wird. Später haben sich dann noch andere Interessenten gemeldet. Die Entscheidung für Schubert Music Europe fiel dann ziemlich kurzfristig, im Dezember vergangenen Jahres.
Was ändert sich für Unique Records und für dich durch den Verkauf?
Ich bin zunächst mal festangestellt. Das empfinde ich als großen Luxus. Früher war ich ja neben Unique noch für andere Auftraggeber tätig. Ab sofort kann ich mich hundertprozentig auf das konzentrieren, wofür ich eigentlich da bin. Natürlich werde ich in Zukunft häufiger in Berlin sein, bei Schubert Music Europe. Ich war im Januar schon eine Woche dort, im Februar auch noch mal ein paar Tage. Aber das Unique-Büro hier in Düsseldorf wird trotzdem bleiben. Für die aktuellen Unique-Künstler wird sich nicht viel ändern, außer, dass sie zukünftig von einer anderen Firma ihr Geld bekommen. Darüber hinaus werde ich das Thema Finanzen endlich abgeben und mich mehr um die klassischen A&R-Aufgaben kümmern. Und was das Spektrum von Unique angeht: Andreas Schubert ist der alte Katalog sehr wichtig, den möchte er nicht hinten rüber fallen lassen. Das finde ich super. Der gehört natürlich genauso dazu wie die neuen Künstler.
Wie unabhängig bleibt das Label?
Als Head of Unique, so mein offizieller Titel, treffe ich nach wie vor alle Entscheidungen, was das Label angeht. Aber natürlich stimme ich mich mit den Kollegen von Schubert Music Europe ab. Ich gebe ja in Zukunft deren Geld aus. Neben Unique werde ich außerdem in Zukunft noch einige andere Labels betreuen, die zur Schubert-Familie gehören.
Am 27. Februar jährt sich Henrys Tod zum zweiten Mal. Habt ihr für den Tag irgendwas geplant?
Nein. Der Plan war eher auch, dass wir jedes Jahr an Henrys Geburtstag was machen. Der ist am 3. Dezember. Das ist einfach ein schöneres Datum als sein Todestag.
Und, habt ihr was gemacht im Dezember?
Nein, leider nicht. Ich hatte einfach zu viel um die Ohren und keine Zeit mir etwas zu überlegen. Die Zeit ist total schnell vergangen, plötzlich war das Jahr zu Ende. Und finanzielle Gründe spielten, um ehrlich zu sein, auch mit rein. Ich hoffe aber, dass wir in diesem Jahr was auf die Beine stellen. Das wäre mir unglaublich wichtig. Darüber hinaus bin ich sehr froh, dass der „Unique Christmas Bash“ weitergeführt wird. Den machen zwei Freunde von Henry, die das Ganze früher mit ihm zusammen gemacht haben.
Welche Veröffentlichungen stehen in naher Zukunft bei euch an?
Das neue Album von Love Machine wird gerade geplant. Botticelli Baby arbeiten mit Wolfgang Stach an ihrer neuen Platte. Neumatic Parlo veröffentlichen ihre erste EP im März über uns. Am 20.3. findet dazu auch das Release-Konzert im Rahmen der Konzertreihe „Ritus“ im alten Kulturschlachthof statt. Darüber hinaus wird es neues Material von Lucy Kruger und den Mañana People geben. Und mit The Jazzinvaders kommt auch wieder ein wenig von den Unique Classics an den Start. Zwei Compilations sind ebenfalls in Planung. Und noch ein paar andere Veröffentlichungen, über die ich aber noch nichts verraten darf. Es ist also viel los.