Die Corona-Tagebücher #1: Solidarische Nachbarschaft Düsseldorf

Solidarische Nachbarschaft Düsseldorf heißt eine Webseite, die am vergangenen Mittwoch online gegangen ist. In Zeiten, in denen die Zahl der Corona-Infizierten von Tag zu Tag dramatisch steigt, bündelt sie Hilfsangebote von Düsseldorfern für Düsseldorfer. Die Idee für die Seite stammt von Oliver Bremer. Der 28-Jährige arbeitet seit sechs Jahren als selbständiger Webdesigner und Webentwickler in der Landeshauptstadt. theycallitkleinparis hat mit ihm gesprochen.

Oliver, viele Menschen hierzulande haben Corona anfangs auf die leichte Schulter genommen. Bei den meisten kam dann aber irgendwann der Punkt, an dem sie gemerkt haben: Die Lage ist ernst. Wann war der Punkt bei dir persönlich erreicht?
Auch ich gehöre zu den Leuten, die die gesamte Situation zuerst auf die leichte Schulter genommen haben. Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir uns eine solche Notlage, eine Pandemie, schlichtweg nicht vorstellen können. Social distancing, Ausgangssperren, kein Toilettenpapier im Supermarkt – das alles sind Dinge, die bis vor kurzem unvorstellbar waren. Gerade meine Generation ist in einer durch und durch globalisierten Welt aufgewachsen, Reisen bis ans andere Ende der Welt waren normal und die grundsätzliche Freiheit, alles tun zu können, eine absolute Selbstverständlichkeit. Ein so tiefsitzendes Verständnis des Lebens kann deswegen nicht so leicht erschüttert werden – weswegen es, so meine Vermutung, bei vielen lange gedauert hat, den Ernst der Lage wirklich zu erkennen und zu akzeptieren.
Um auf die Frage zurückzukommen: Ich kann es nicht auf den Tag genau sagen, wann bei mir ein Umdenken stattgefunden hat – grob, als die Lage in Italien Tag für Tag angespannter wurde.

Du hast dann die Webseite „Solidarische Nachbarschaft Düsseldorf“ ins Leben gerufen. Was steckt dahinter?
Die Idee hinter der Plattform ist, eine zentrale Anlaufstelle für Hilfsangebote engagierter Menschen in Düsseldorf zu schaffen. Hilfsbereite Menschen können mit wenigen Klicks einen neuen Eintrag erstellen, auf einer Übersichtskarte werden alle vorhandenen Einträge angezeigt und durch einen Klick auf die entsprechende Markierung werden die Informationen zum Eintrag angezeigt. Dazu gehören mindestens eine Kurzbeschreibung und ein Kontaktformular, um den entsprechenden Anbieter zu kontaktieren. Optional kann außerdem eine Festnetz- oder Mobilnummer angegeben werden, was es vor allem älteren Mitbürgern einfacher macht, Kontakt aufzunehmen. Wer also nicht möchte, dass zu viele Daten online einsehbar sind, kann nur eine Kurzbeschreibung plus Adresse angeben – damit kann niemand mit etwaigen bösen Absichten etwas anfangen.

Wie kamst du auf die Idee?
In den vergangenen Tagen habe ich enorm viele Beiträge mit Hilfsangeboten vor allem in Facebook-Gruppen gesehen, die aber leider in der Flut neuer Beiträge sehr schnell wieder untergehen – und somit quasi nach kürzester Zeit wieder in Vergessenheit geraten. Das ist nicht nur schade für den Ersteller des Beitrags, sondern verursacht auch ein unglaubliches Durcheinander und Chaos. Dabei einen Überblick über möglichst viele Angebote – und das auf Dauer – zu behalten, ist schlichtweg unmöglich.

Wie lange hat das Erstellen der Seite dann in Anspruch genommen?
Den Umständen entsprechend ist die Seite in sehr kurzer Zeit entstanden. Ich habe Sonntag, Montag und Dienstag jeweils ab nachmittags bis spät abends mit der Erstellung der Webseite verbracht.

Seit wann ist sie online?
Seit vergangenem Mittwoch, dem 18. März. Mit der Optimierung – sowohl optisch als auch funktional – bin ich weiterhin beschäftigt.

Wie machst du Menschen auf die Seite aufmerksam?
Als die Seite im Netz war, habe ich einen Facebook-Post verfasst. Der Post wurde von einigen Düsseldorfern geteilt, ebenso wurde der Post in verschiedenen Facebook-Gruppen geteilt. Die Reichweite war also grundsätzlich von Anfang an recht groß und steigt täglich.

Wie viele Angebote gibt es derzeit?
Aktuell haben wir knapp über 50 Einträge (Stand 20.3., nachmittags, Die Red.). Das ist ein guter Start, die Karte sieht schon ganz akzeptabel aus, aber da ist natürlich noch Luft nach oben. Ich gehe davon aus, dass in den kommenden Tagen noch einiges hinzukommen wird.

Welche Hilfen werden angeboten?
Die Hilfsangebote sind bereits breit gefächert. Aktuell vertreten sind unter anderem Einkaufen gehen, Gassi gehen, Kinderbetreuung, dezentraler IT-Support, Apothekengänge, Hilfe bei Fremdsprachen, Behördengänge, sofern überhaupt noch möglich, Kochen, Telefonieren gegen die Einsamkeit oder Hilfe bei arbeitsrechtlichen Fragen.

Es gibt auf der Seite ausschließlich die Möglichkeit, Hilfen anzubieten. Warum?
Mein Ziel ist es, dass Personen, die Hilfe benötigen, nicht lange auf die Hilfe warten müssen. Die Karte sollte so gefüllt sein, dass jederzeit ein hilfsbereiter Mensch in direkter Nähe kontaktiert werden kann. Denn: Hilfsangebote sind nicht zeitdringend. Einmal eingetragen, ist es unerheblich, ob oder wann die Kontaktaufnahme eines Hilfesuchenden stattfindet. Anders herum sieht es anders aus. Trägt sich beispielsweise eine Person ein, die zur Risikogruppe gehört und in den nächsten Tagen etwas von einer Apotheke benötigt, würde es unter Umständen zu lange dauern, bis sich daraufhin jemand meldet.

Wie werden die Angebote bisher in Anspruch genommen?
Da die Seite gerade erst online gegangen ist, kann ich dazu wenig bis nichts sagen. Aus datenschutzrechtlichen Gründen werden Kontaktaufnahmen beispielsweise per Kontaktformular aber auch nicht gespeichert. Ich kann also nicht nachvollziehen, wer mit wem Kontakt aufgenommen hat. Bei einer Kontaktaufnahme per Telefon ist dies ohnehin nicht möglich. Viele der bisherigen Einträge haben allerdings schon Zugriffszahlen im mittleren bis hohen zweistelligen Bereich, es würde mich also nicht wundern, wenn dabei schon Kontaktaufnahmen stattgefunden haben.

Du bist selbständiger Webdesigner und Webentwickler. Viele Freelancer sorgen sich derzeit um ihre Existenz. Wie ist das bei dir?
Aktuell mache ich mir keine Sorgen. Meine Auftragslage hat sich glücklicherweise bisher noch nicht geändert. Ich habe mehrere Projekte in der Pipeline, die ich im Moment auch nicht in Gefahr sehe. Dies könnte sich aber natürlich auch schlagartig ändern. Es gibt unzählige Freelancer, freie Kreative, Selbstständige im Veranstaltungsbereich und in vielen weiteren Branchen, die in der kommenden Zeit um ihre Existenz kämpfen werden. Eine schnelle, faire und unbürokratische Finanzhilfe der Bundesregierung ist daher unerlässlich.

Abgesehen vom Erstellen der Webseite, inwiefern leistest du selber gerade Hilfe für die Gruppe von Menschen, die ein besonders hohes Risiko haben, schwer zu erkranken?
Es sollte weniger darum gehen, sich mit den eigenen Taten zu brüsten oder mit dem Finger auf Andere zu zeigen, die vermeintlich zu wenig tun, sondern darum, eine solidarische Basis in der Gesellschaft zu schaffen. Natürlich habe ich meinem über 90-jährigen Vermieter meine Hilfe angeboten und mich nach seinem Gemütszustand erkundigt. Oder Freunden mit Kindern gefragt, ob ich helfen kann. Ob das für die vergangenen, extrem dynamischen Tage genug war oder ist, kann ich nicht bewerten, aber klar ist: Wir alle, die nicht zur Risikogruppe gehören, müssen uns in den kommenden Monaten solidarisch zeigen und regelmäßig evaluieren, in welcher Form Hilfe am effektivsten geleistet werden kann. Die Angebote sollten sich dabei nicht ausschließlich an die Personen, die zur Risikogruppe gehören, richten, sondern auch an diejenigen, die in verschiedensten Bereichen gerade Tag und Nacht an ihre Grenzen gehen – Ärzte, Angestellte in Krankenhäusern, in Supermärkten, Apotheken oder bei Paketzustellern.

duesseldorf.solidarische-nachbarschaft.de

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