Mein Fahrrad quietscht. Das tut es schon länger. Allein aufgefallen ist es mir bisher kaum. Spät abends vielleicht, wenn ich von einem Treffen heim radelte. Tagsüber ging das Quietschen hingegen in der allgemeinen Geräuschkulisse, einer Melange aus Autolärm, Straßenbahnen, Sirenen, Musik, bimmelnden Mobiltelefonen und vielem mehr, unter. Heute hingegen hatte ich das unschöne Geräusch konstant im Ohr, weil die Welt, seit sie von Corona beherrscht wird, auffällig leise geworden ist. Leise und vielerorts auch leer. Ich fuhr also mit dem quietschenden Rad durch die stille Leere zum Fluss, überquerte die Brücke und radelte am Ufer entlang. Auf den breiten Wiesen waren ob des schönen Wetters zahlreiche Menschen unterwegs. „Bleibt zuhause“ ist zwar das Gebot der Stunde, aber einen Budenkoller will natürlich auch keiner riskieren. Man weiß ja nicht, wie lange man noch durchhalten muss und wie sehr sich die Situation vielleicht noch zuspitzt. Entgegen dem, was man zuletzt hörte, las und sah, verhielten sich die Menschen am Ufer des Flusses sehr diszipliniert. Sie wahrten maximale Distanz. Sie waren allein unterwegs, zu zweit, maximal in der Familie. Sie joggten, fuhren Rad, führten den Hund Gassi, machten Dehnübungen oder schoben den Kinderwagen vor sich her. All das taten sie unter den strengen Blicken der Ordnungshüter. Direkt vor mir radelten zwei Polizisten, deren Auftrag es offenbar war, Gruppen aufzuspüren, Corona-Partys zu unterbinden. Aber es gab keine Gruppen, ebenso wenig wie Corona-Partys. Es lag auch keine fröhliche Ausgelassenheit über der Stadt wie sonst an den ersten warmen Frühlingstagen. Stattdessen wirkte alles irgendwie gedämpft. Und den beiden radelnden Polizisten ging es wie so vielen Arbeitnehmern momentan in der Welt: Sie hatten einfach nichts zu tun.
An einer der Platanen hatte ein junges Paar eine Schaukel aufgehängt. Die Spielplätze in der Stadt sind ja seit einigen Tagen geschlossen. Während ihr Kind so in den unschuldig blauen Himmel hinein schaukelte, dachte ich, dass ich allzu gerne mit ihm tauschen würde. Weil es von all dem, was uns Erwachsenen dieser Tage so eine verdammte Angst macht, noch nichts mitbekommt. Sondern nur schaukelt. Vor einem sehr blauen Himmel. Umgeben von dieser ungewohnten Stille, die für einen kurzen Moment unterbrochen wird von einem schrecklich quietschenden Rad.
In dieser Reihe bereits erschienen:
Die Corona-Tagebücher #1: Solidarische Nachbarschaft Düsseldorf
1 Kommentar
KommentierenWas macht man, wenn man kein Auto hat? Dann hat sich das mit den Drive-In-Tests wohl erledigt.