Lisa Scherf im Interview – „Die Tage auf dem Bauwagenplatz waren ein besonderes Erlebnis“

Lisa Scherf ist im Düsseldorfer Süden aufgewachsen. In Benrath. Und Holthausen. Als Düsseldorferin war ihr die Kiefernstraße natürlich ein Begriff. In den vergangenen anderthalb Jahren ist die 25-Jährige allerdings dann wesentlich tiefer eingetaucht in das Universum Kiefern. Für ihre Masterarbeit im Studiengang Kommunikationsdesign hat Scherf Düsseldorfs bunteste Straße ziemlich eingehend untersucht. Das Ergebnis ist ein Buch, das momentan allerdings noch keinen Verlag hat. Aber das kann ja noch kommen. theycallitkleinparis hat mit Lisa Scherf gesprochen.

Lisa, ursprünglich wolltest du dich in deiner Masterarbeit einem ganz anderen Thema widmen, der performativen Lyrik. Wieso bist du letzten Endes umgeschwenkt?
Nach einem Jahr habe ich gemerkt, dass mich das Thema „Lyrik und ihre Chancen als performatives Erlebnis“ nicht ausreichend motiviert. Nachdem ich das Thema Kiefernstraße für mich entdeckt hatte, vergaß ich Jack Kerouac und die Beat-Generation, das „Uncreative Writing“ von Kenneth Goldsmith und die Wiener Gruppe der 1960er Jahre und knüpfte zeitgeschichtlich 20 Jahre später an – bei der Hausbesetzerszene der Kiefernstraße Anfang der 1980er Jahre. Nichtsdestotrotz begeistere ich mich immer noch sehr für Konkrete und Experimentelle Poesie, insbesondere für Ernst Jandl und habe in diesem Bereich auch schon viele Projekte realisiert.

Wie viel wusstest du vor dem Start deiner Recherche über die Kiefernstraße?
Als Düsseldorferin kannte ich natürlich die Kiefernstraße, allerdings nur oberflächlich – sie war eben die bunteste Straße der Stadt. So richtig präsent wurde sie mir erst, als ich nach Flingern zog und auch viel Zeit im zakk verbrachte. Da bekam ich dann zum ersten Mal was von der Atmosphäre und dem bunten Zusammenleben mit. Im Zuge meiner Recherchen nahm ich an den unterschiedlichsten Stadtviertel-Führungen teil, bei denen ich viel über die prägende Zeit der Industrialisierung in Flingern, Oberbilk und Lierenfeld lernte. Auch die Kiefernstraße ist ja eine ehemalige Arbeitersiedlung – das war neu für mich. Wenn man diesen Hintergrund kennt, geht man nochmal mit einem ganz anderen Blick durch die Straße.

Plakat zur Kontaktaufnahme, Copyright: Lisa Scherf

Du hast dann Kontakt zu den Bewohnern der Straße gesucht. Hatten die Lust, dir Rede und Antwort zu stehen?
Um die Weihnachtszeit herum habe ich in jeden Briefkasten der Kiefernstraße eine Postkarte geworfen – „Kiefernnadeln rieseln … es ist Weihnacht“. Darüber haben sich schon viele Bewohnerinnen und Bewohner gefreut und ich bekam nette Mails und Anrufe zurück. Daraus entstand das ein oder andere Treffen. Außerdem habe ich auch Plakate gemacht. Die ließen sich letztendlich allerdings nicht so einfach auf der Straße anbringen, ich habe sie also nach den Gesprächen an die Bewohnerinnen und Bewohner verschenkt. Im Allgemeinen habe ich nur positive Erfahrungen gemacht. Die Leute waren sehr offen und haben gerne von früheren und heutigen Zeiten erzählt.

Wie lange hat deine Recherche insgesamt gedauert?
Insgesamt habe ich anderthalb Jahre für das Buch gebraucht – Recherche, Sammlung, Nachbearbeitung, Gestaltung, Druck und Bindung sowie Präsentation und Ausstellung in der Hochschule. Recherchiert und gesammelt habe ich quasi bis zum Ende, bis ich irgendwann einen Schlussstrich ziehen musste und mich nur noch mit der Gestaltung beschäftigt habe. Die meiste Zeit nahm die Verarbeitung der Gespräche ein, die ich alle transkribiert habe. Diese sind für mich aber auch das Wertvollste im Buch – zusammen mit den alten Fotos, die mir zur Verfügung gestellt wurden.

Mit wie vielen Menschen hast du gesprochen und was für unterschiedliche Bezüge hatten sie zur Straße?
Am Ende des Buchs zähle ich im Kapitel „Dank“ 35 Namen auf, mit denen ich in Bezug auf die Kiefernstraße Kontakt hatte. Es ist schwierig, einzelne Menschen rauszupicken, da jeder und jede eine Erwähnung verdient hätte. Ein Highlight war aber sicherlich der Besuch bei Paul Saatkamp, dem ehemaligen Sozialdezernenten, dem 1988 die Mietverträge übergeben wurden. Ich wollte unterschiedliche Blickwinkel auf die Straße einfangen. So nahm ich neben den Bewohnerinnen und Bewohnern beispielsweise auch Kontakt zu dem Bezirkspolizisten, dem Marketing der Stadt Düsseldorf sowie einem Stadtgeographen auf und bekam sogar ein Zitat von Ron, dem Gitarristen der Broilers, zu einem frühen Konzert der Band im AK47.

Du hast auch fünf Tage auf dem Bauwagenplatz hinter der Kiefernstraße gewohnt. Wie hast du das erlebt?
Die Tage auf dem Bauwagenplatz im Spätsommer waren ein besonderes Erlebnis. An dem Wochenende war gerade auch das zakk-Straßenfest und der Weg dorthin nicht weit. Abends saß ich dann noch draußen auf den Stufen des Bauwagens und hörte den Gitarrenklängen der Band Love Machine zu, die das Fest mit einem Open-Air-Konzert vor dem zakk beendete. Am nächsten Morgen beim Zähneputzen achtete ich darauf, dass ich so wenig Wasser wie möglich aus dem Kanister benötigte. Der Weg zur Wasserstelle war zwar nicht weit, aber man bekommt doch ein ganz anderes Verständnis für Verbrauch und Konsum. Ich fühlte mich fernab vom Alltag, wie in einer Oase; kaum zu glauben, dass wenige Meter daneben die Autos über die stark befahrene Erkrather Straße sausen und man eigentlich mitten in der Stadt ist.

Hat sich dein Blick auf die Kiefernstraße während der Arbeit an dem Buch verändert?
Verändert in dem Sinne, dass ich natürlich heute viel mehr über die Straße weiß. Ich kenne inzwischen viele Gesichter und Geschichten hinter den bunten Fassaden und das gibt einem natürlich auch nochmal einen ganz anderen emotionalen Bezug. Ich verstehe nun – im Rückblick auf die Geschichte – wie es zu diesem gemischten Zusammenleben kam und warum es heute auch noch funktioniert.

Was hat dich an der Straße am meisten überrascht?
Ich finde es bemerkenswert, wie viel eine Nachbarschaft im gemeinsamen Agieren auf die Beine stellen kann. Gerade in Bezug auf die Parkplatzbebauung hat man nochmal gemerkt, was man alles erreichen kann und wie engagiert sich Bewohnerinnen und Bewohner der Straße für solche Belange einsetzen. Als ich mich ganz zu Anfang meiner Recherche auf der Straße rumgetrieben habe, ist mir direkt aufgefallen, dass man hier immer auf der Straße gegrüßt wird. Das kenne ich aus meiner Nachbarschaft nicht.

Beteiligst du dich auch an der Planwerkstatt?
Ja, ich beteilige mich und besuche auch die Veranstaltungen, die im Rahmen des Prozesses stattfinden. Ich finde, jeder im Viertel sollte sich beteiligen – und wenn man nur den Wunsch nach einem Fahrradladen mit reinbringt. Man hat mit dieser Planwerkstatt schon sehr viel erreicht und die Plangruppe engagiert sich stark und hat viele tolle Ideen, wie man mit einem guten Ergebnis aus dem Prozess rausgehen kann. So ein Planungsprozess ist in einer Stadt leider nicht selbstverständlich, deswegen sollten wir wirklich viel Beteiligung zeigen, damit wir als gutes Beispiel und Vorbild für andere Bauvorhaben dienen können.

Zurück zum Buch: Deinen Profs scheint es gefallen zu haben. Es wurde jedenfalls mit der Bestnote bewertet. Du hast insgesamt sechs Exemplare drucken lassen. Für wen sind die bestimmt?
Ein Exemplar steht bei meinem Bruder in Berlin, ein anderes bei meinen Eltern. Die Stadtsparkasse Düsseldorf, von der ich während meines Studiums im Rahmen des Deutschlandstipendiums gefördert wurde und die mich auch bei den Produktionskosten unterstützt hat, bekam natürlich auch eins. Zwei andere Exemplare sind momentan im Umlauf bei Freunden und das letzte nimmt einen besonderen Platz bei mir in der Büchervitrine ein.

Wie sind die Reaktionen der Kiefern-Bewohner auf das fertige Buch?
Die Bewohnerinnen und Bewohner haben mir bereits tolles Lob entgegengebracht. Viele sind sehr interessiert und möchten das Buch gerne haben. Auch per Mail bekomme ich schon viele Anfragen. In dieser Situation muss ich leider auf einen späteren Zeitpunkt vertrösten, da mehr als sechs Exemplare erst mal nicht drin waren. Mir ist es aber ganz wichtig, dass ich den Bewohnerinnen und Bewohnern und anderweitig Beteiligten nun auch etwas für ihre Hilfe und Offenheit zurückgeben kann. Deshalb hoffe ich, dass es das Buch bald in einer höheren Auflage geben wird.

Foto: Lisa Scherf

Wirst du versuchen, einen Verlag für das Buch zu finden? Oder bist du gar schon dabei?
Ich würde sehr gerne einen Verlag finden und habe natürlich auch schon Ideen. Gerade ist allerdings durch die Corona-Krise vieles im Stillstand, aber ich werde die Suche zielstrebig fokussieren, wenn sich die Situation beruhigt hat. Mich würde es auch freuen, wenn Leute das Buch lesen, die nicht direkt mit der Kiefernstraße verbunden sind, und das ein oder andere „Ach, so was gibt‘s in Düsseldorf“ zu hören ist.

Eigentlich wolltest du Mitte März zu einer Reise nach Sri Lanka aufbrechen, die du dir selber zum Studienabschluss geschenkt hast. Die wurde nun aber wie so vieles wegen Corona abgesagt. Was machst du jetzt stattdessen?
Die Absage meiner Reise hat mich sehr getroffen, zumal ich die Zeit dort hätte gut gebrauchen können, um den Kopf nach all der Arbeit frei zu kriegen und mich neu zu sortieren. Jetzt habe ich unerwartet viel freie Zeit, die man natürlich nur eingeschränkt nutzen kann. Ich bin gerade dabei, mein Englisch zu verbessern und werde mir das ein oder andere Gestaltungsprogramm im digitalen Bereich angucken. Neben solchen Ambitionen möchte ich aber auch wieder lernen, einfach mal nichts zu tun und setze mich bei sonnigem Wetter mit einem Buch auf unsere große Fensterbank im Erdgeschoss.

Und womit möchtest du in Zukunft gerne dein Geld verdienen?
Meine Wunschvorstellung wäre, als Kommunikationsdesignerin in einem Grafikbüro tätig zu sein, in dem ich Projekte im Printbereich von Beginn an begleite und aufbaue. Zuletzt habe ich intensiv für den Bereich Kunst und Kultur gearbeitet, der einem auch viele Freiheiten und Möglichkeiten lässt – angefangen bei einem Layoutkonzept, über die Schrift- und Materialauswahl bis hin zur Umsetzung.

theycallitkleinparis verlost drei unverkäufliche Kiefernstraßen-Plakate von Lisa Scherf (Format A3). Das Wunschmotiv könnt ihr euch unter lisascherf.de aussuchen. Plakate müssten dann in Düsseldorf-Oberbilk abgeholt werden (kontaktfrei). Wer Interesse hat, schickt bis zum 3. April eine Mail mit dem Betreff „Kiefern“ an salut@theycallitkleinparis.de.

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