Regina Weber, eigentlich ja Dr. Regina Weber, ist Politikwissenschaftlerin und arbeitet an der Hochschule Rhein-Waal. Für das Projekt EUFoot untersucht sie derzeit zusammen mit drei Kollegen, inwiefern Fans über Fußball einen Bezug zu Europa herstellen. Dafür hat die Düsseldorferin mit zahlreichen Anhängern in Österreich und England Interviews geführt. In diesem Fall stand sie mal auf der anderen Seite – und gab die Antworten. Die Fragen stellte, wie könnte es anders sein, theycallitkleinparis.
Regina, wie überrascht sind Menschen heute noch, wenn sich eine Frau für Fußball interessiert?
Insgesamt weniger als man vielleicht denkt. In meinem Umfeld etwa gehört es zum eigenen Selbstverständnis dazu, so zu tun, also ob man solche Stereotypen nicht im Kopf hätte. Was meine wissenschaftliche Arbeit angeht: Darüber sind gerade Männer erst mal nicht überrascht. Dass mich das Thema aber über die Wissenschaft hinaus auch privat interessiert, überrascht sie dann schon eher.
Was genau untersucht ihr im Rahmen des Projekts EUFoot?
Wir untersuchen, inwiefern Fans einen Bezug zu Europa über den Fußball herstellen. Der Profifußball hat sich in den vergangenen 20 bis 25 Jahren extrem europäisiert. Wettbewerbe, der Transfermarkt – Europa ist im Fußball omnipräsent. Was das für einen Widerhall bei den Fans findet, interessiert uns bei der Studie. Sowohl bei den wenigen Topclubs, die immer ganz oben mitspielen, als auch bei denen, die zwar national unter den besten sind, aber europäisch nicht mehr mithalten können.
Welche Vereine sind an der Studie beteiligt?
Wir haben acht Clubs aus vier Ländern in der Studie dabei. In Österreich sind das Sturm Graz und Wacker Innsbruck, in England Newcastle United und Manchester United. Das sind die vier Clubs, um die ich mich kümmere. Mein Kollege arbeitet in Deutschland mit Bayern und Hannover 96, in Frankreich mit Olympique Marseille und Toulouse FC.
Wie läuft deine Arbeit genau ab?
Über Social Media und E-Mails nehme ich Kontakt zu Fanclubs, Gruppen und Initiativen auf. Mit den Fans, die bereit sind, mitzumachen, führe ich dann Gespräche. Zusätzlich betreibe ich klassische Feldforschung: Ich gehe zu Spielen oder zu Fan-Treffs und beobachte, wie der Alltag der Anhänger aussieht. Ich laufe durch die Stadt und schaue mir Graffiti, Sticker und Ähnliches an.
Welche Fragen interessieren euch bei der Studie konkret?
Mein Kollege und ich haben einen festen Fragenkatalog, den wir bei den Fans aller acht an dem Projekt beteiligten Vereine abarbeiten. Dabei geht es uns in erster Linie darum, wie wichtig nationale Grenzen im Fußball heute noch sind. Welche Bedeutung haben Champions und Europa League im Vergleich zu den nationalen Ligen. Einer unserer inhaltlichen Schwerpunkte ist zudem der Transfermarkt. Da fragen wir zum Beispiel danach, inwiefern es für den jeweiligen Fan einen Unterschied macht, ob ein Spieler aus dem eigenen Nachwuchs kommt oder aus Lateinamerika, Polen oder Japan geholt wurde.
Wie groß sind die Unterschiede in den Aussagen zwischen österreichischen und englischen Fans?
Der Bezug zu Europa über den Sport ist komplett unterschiedlich. Die Premier League ist der Goldstandard im europäischen Fußball, wahrscheinlich sogar weltweit. Und das seit Jahren. Diese Dominanz hat die Champions League normalisiert. Es ist einfach ein weiterer Wettbewerb. In Österreich ist der europäische Fußball weit weg. Bei Sturm Graz und Wacker Innsbruck waren vor allem Erinnerungen an alte Erfolge präsent, nicht so sehr die Gegenwart. Eventuell ist die Champions League relevant für Red Bull Salzburg, aber gegen die gibt es in den anderen Fanszenen ähnliche Abneigungen wie in Deutschland gegen Leipzig. Daher haben viele österreichische Fans einen Zweitverein, meist in Deutschland oder Italien, und kennen dort alle Spieler und auch die gegnerischen Teams.
Die Studie ist ja noch nicht abgeschlossen. Trotzdem die Frage: Was habt ihr bisher herausgefunden?
Die Bezüge, die Fans zu Europa haben, sind völlig unterschiedlich. Beeinflusst werden sie von regionalen Unterschieden. Die Grazer Fans orientieren sich zum Beispiel häufig in Richtung Balkan, für die Innsbrucker ist Italien wichtig. Für die Engländer – soweit ich das bisher sagen kann – gibt es diese regionalen grenzüberschreitenden Bezüge so nicht, sie sind sehr auf die eigene Liga fixiert. Das ist natürlich teilweise mit den unterschiedlichen Niveaus der Ligen zu erklären, aber spiegelt auch den Alltag und kulturell-gesellschaftlichen Stimmungen in den jeweiligen Städten wider.
Hast du dich vorher schon wissenschaftlich mit Fußball beschäftigt?
Nein, das ist tatsächlich mein erstes wissenschaftliches Projekt zum Thema Fußball. Ich bin ja Politikwissenschaftlerin. Ansonsten arbeite ich eher zum Thema politische Beteiligung und politisches Engagement. Meine Dissertation habe ich zum Beispiel darüber geschrieben, welche jungen Menschen in Volksparteien eintreten und warum.
Du hast es schon erwähnt: Du interessierst dich auch über die Wissenschaft hinaus für Fußball. Wie kam das Interesse zustande?
Gute Frage. Als Kind habe ich mit meiner Großtante samstags regelmäßig die „Sportschau“ geguckt. Sie hat dabei immer geschimpft wie ein Rohrspatz. So weit ich mich erinnern kann, war sie Schalke-Fan, die haben ja einen gewissen Hang zum Selbsthass.
Du stammst aus dem Sauerland. Da sympathisiert man normalerweise mit Schalke oder Borussia Dortmund. Du hingegen bist Fan des FC St. Pauli. Warum das?
Bayern, Schalke, Dortmund. Die Sauerländer Trias. Fand ich damals schon langweilig. Nein, im Ernst: Ich habe als Kind viele Urlaube in Norddeutschland verbracht und Hamburg war immer die Stadt meiner Träume. Als St. Pauli 2001 in die Bundesliga aufstieg, dachte ich: Yes! Mein Verein.
Der FC St. Pauli ist ein Club, der viele Anhänger aus dem politisch eher linken Milieu hat. Es gab mit Volker Ippig sogar mal einen Torwart, der in den besetzten Häusern auf der Hafenstraße wohnte. War das für dich relevant?
Es hat wohl dazu beigetragen, dass ich dabeigeblieben bin. Ich kann mir nicht vorstellen, mich mit einem Club zu identifizieren, bei dem ich in der Fanszene gegen eine Mehrheit ankämpfen müsste, die keine Probleme mit rassistischen und sexistischen Aktionen hat.
Welches war das letzte Spiel, das du dir im Stadion angeschaut hast?
Das war vor der Zwangspause. TuRU gegen TSV Meerbusch Anfang März.
Kickst du auch selber?
Ja, ich versuche es zumindest. Seit einigen Jahren spiele ich in der Freizeitmannschaft Rot-Weiß Blutgretchen, die vor mittlerweile 15 Jahren aus dem Kunstverein damenundherren e.V. hervorgegangen ist. Im Laufe der Jahre habe ich schon auf so ziemlich allen Positionen gespielt – vom Sturm bis zur Abwehr. Momentan bin ich Torhüterin.