Michael Wenzel und Sven-André Dreyer haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten das Kulturleben in Düsseldorf um die ein oder andere Veranstaltung bereichert. Sie betrieben die Lesebühnen „Lesen in der Klause“ (Dreyer) und „Sonny Wenzel & Freunde“, verfassten gemeinsam das Buch „Keine Atempause“ und führen seit über einem Jahr Musikfreunde auf ihrer Tour „The Sound of Düsseldorf“ durch die Landeshauptstadt. Nun biegen die beiden gebürtigen Düsseldorfer mit einem neuen Format um die Ecke. „Off Church Dialog“ heißt es und feiert am 25. September Premiere in der Christuskirche. Was die Zuschauer erwartet, haben Dreyer und Wenzel theycallitkleinparis im Interview verraten.
Eigentlich wolltet ihr mit eurem neuen Format „Off Church Dialog“ schon längst an den Start gehen. Dann kam euch wie allen anderen Corona in die Quere. Konntet ihr die Zeit für eure kreative Arbeit nutzen?
Sven: Auch wenn für mich die Corona-Zeit alles andere als eine ruhige Zeit war und ist: In der Tat konnte ich an einigen literarischen Texten arbeiten. Und gemeinsam mit Michael sowie dem Fotografen Thomas Stelzmann ist darüber hinaus ein weiteres, extrem spannendes Projekt erdacht und erfolgreich erarbeitet worden, das im Oktober, parallel zu unseren übrigen Aktionen, an den Start gehen wird. Details darf ich allerdings noch nicht verraten.
Michael: Die erzwungene Entschleunigung im Zuge von Corona ließ natürlich Zeit für das Schreiben. Kreativ war ich aber auch in der Küche und habe neue Kochrezepte ausprobiert.
Ihr beide macht seit vielen Jahren gemeinsame Projekte. Bei den Lesebühnen „Sonny Wenzel & Freunde“ und „Text, Ton, Applaus“. Ihr habt unter dem Titel „Keine Atempause“ ein Buch über die hiesige Musikszene geschrieben und habt mit „The Sound of Düsseldorf“ einen gemeinsamen Stadtrundgang. Klingt so, als würdet ihr euch in- und auswendig kennen. Wann wart ihr zuletzt überrascht vom jeweils anderen?
Sven: Tatsächlich kennen wir uns schon ewig und wissen, so denke ich, ziemlich genau, wie der jeweils andere drauf ist. Dennoch überrascht mich Michael schon seit vielen Jahren immer wieder neu mit seiner unglaublichen Gelassenheit. Die See mag rau sein, der Mastbruch droht und dennoch besitzt er diese Bedächtigkeit, die Umsicht und freundliche Contenance, an der ich mir unbedingt und immer wieder ein Beispiel nehmen darf.
Michael: Ich bin immer wieder von Sven überrascht, wie sehr er für die gleichen Dinge brennt wie ich. Die Power, die er dabei an den Tag legt, ist enorm und dabei hat er nicht nur einen Vollzeitjob wie ich, sondern gleich zwei: Denn obendrein ist er auch noch Familienvater!
Am 25. September findet nun die erste Ausgabe von „Off Church Dialog“ in der Oberbilker Christuskirche statt. Mit wem möchtet ihr dabei denn in Dialog treten?
Sven: Wir erwarten zu jeder Ausgabe Gäste, entweder aus dem musikalischen, aus dem literarischen oder gar aus beiden Bereichen. Die werden neben ihrer eigenen Kunst eben auch unsere Gesprächspartner zu einem vorgegebenen Thema sein. Gleichzeitig lädt das Konzept aber auch dazu ein, mit den Zuschauenden und -hörenden ins Gespräch zu kommen. Wir hätten – insbesondere in diesen Zeiten – gerne mehr Austausch mit- und untereinander.
Michael: Absolut! Denn das fehlt doch: Die Veranstaltungen von „Off Church“ waren von jeher ein Gegengewicht zu den sozialen Medien, wo alle drauflos posten und hoffen, gelesen zu werden. Dialog heißt, dass man einander zuhört. Und deshalb soll „Off Church Dialog“ keine einseitige Beschallung sein.
Nach dem Ende von „Sonny Wenzel & Freunde“ beziehungsweise von „Text, Ton, Applaus“ habt ihr beide euch eine lange Auszeit genommen, seid als Literaten in der Stadt kaum in Erscheinung getreten. Warum?
Sven: Bei mir hatte das gleich zwei Gründe: Einerseits begannen kurz nach dem Beenden der Lesebühnen die Vorarbeiten für unser gemeinsames Buch „Keine Atempause“. An dem haben wir, inklusive Recherche-, Interview-, Foto- und Schreibarbeiten, weit über zwei Jahre gearbeitet. Andererseits wollte ich aus der Distanz zum Literaturbetrieb, denn auch meine eigene Reihe „Lies, Du Sau!“ hatte ich ja eingestellt, ganz unbefangen schauen, wie es in der Stadt literarisch weitergeht. Die Realität hat meine Befürchtungen allerdings übertroffen.
Michael: Bei mir war es ähnlich: Das Buch und das Projekt #TONTRÄGER gemeinsam mit dem Fotografen Thomas Stelzmann kulminierten plötzlich in einer irren Woche mit Lesung, Ausstellung und Konzertabenden im KIT. Für mich stand fest, danach erst mal ein Jahr Pause zu machen, um mich auf das Private zu konzentrieren und Ideen für neue Geschichten zu sammeln. Mein Freund Tarek El-Bahay und ich erfüllten uns einen Jugendtraum: Einen Abend veranstalteten wir im kleinen Kreis eine Lesung mit eigenen Science-Fiction-Stories in einem Co-Working-Space. Zwei Stunden Mash-up aus „Star Wars“ und den „Simpsons“ als Hommage an Genre-Pioniere wie Robert Sheckley. Nerd-Kram pur! Nur wenige Gäste blickten das, aber alle hatten Spaß.
Für die Premiere von „Off Church Dialog“ kündigt ihr nun neue eigene Texte an. Welche Themen bewegen euch derzeit?
Sven: Ich bin seit langer Zeit fasziniert davon, wie sehr sich die Menschen voneinander entfernen, entfremden. Isolation, obwohl wir heute so gut miteinander vernetzt sind wie niemals zuvor. Unter anderem die immer weiter zunehmende Digitalisierung führt seltsamerweise zu einer Oberflächlich- und Unverbindlichkeit, aber auch zu einer Zunahme verbaler Verrohung und Gewalt, die beängstigend und mittlerweile auch in der physischen Welt angekommen ist. Hinzu kommen Ängste durch die Wahrnehmung politischer und klimatischer Kapriolen und Katastrophen, Unbeständigkeiten, steigender Druck im Privat- und Berufsleben und die latente Angst vor Veränderung. Man konnte die Anfänge schon vor Jahren beobachten, die Auswirkungen sind mittlerweile allerdings haarsträubend. Und das Schlimmste: Es ist kein Ende in Sicht.
Michael: Ich möchte das Thema Science-Fiction nochmal aufnehmen: Als Kids träumten wir vom Leben im All, als Erwachsene merken wir, dass die Leute ins Internet geflüchtet sind. Zeit und Wandel sind Themen, die ich faszinierend finde, vor allem den Wandel vor der eigenen Haustür und was er mit den Menschen macht. Zugegeben: Vieles, was aktuell passiert, ist Realsatire und Dystopie, aber die Magie des Schreibens ist ja, als Autor bestimmen zu können, wohin die Reise geht.
Im Gegensatz zur Musik oder der Bildenden Kunst ist die Sparte Literatur in Düsseldorf schon seit vielen Jahren schwach auf der Brust. Gerade in puncto Nachwuchs scheint sich da gar nichts zu tun. Wie kommt das? Und wie kann man dem eures Erachtens entgegen wirken?
Sven: Wie immer braucht es innovative und mutige Menschen, die einfach etwas machen. Weil sie, der übrigen Angebote überdrüssig oder nicht fündig werdend, vielleicht sogar aus einer gewissen Unzufriedenheit heraus etwas Neues auf den Weg bringen wollen. Und sie benötigen ein schönes Konzept, ein unprätentiöses, verbindliches Auftreten und, nicht zu verachten, Geduld. Bis sich „Lesen in der Klause“, später „Lies, Du Sau!“ etabliert hatte, vergingen Jahre ehrenamtlicher Arbeit. Eine Zeit, in der ich viel – insbesondere über Menschen – gelernt habe. Nicht zu verachten ist sicherlich auch ein grundsätzlicher Kollektivgedanke, gute Leute, die Seite an Seite gemeinsam etwas auf die Beine stellen wollen. Und auch hier helfen sicherlich verbindliche Gespräche weiter, ein bindender Austausch der Szene, ein Rahmen, der viele eint.
Michael: Wer eine gute Geschichte zu erzählen hat, wird immer erzählen wollen. Erzählkunst, das Kreative Schreiben, sollte Teil des Schulunterrichts sein, wie Kunst und Werken. Talente sollten von früh auf Möglichkeiten bekommen, sich zu entwickeln – bis zur Bühnenreife, wer will. Düsseldorf hat es nicht geschafft, seine Talente zu halten. Auch weil es hier zu wenige Jobs gibt, um vom Schreiben leben zu können. Das ist keine Frage der Kulturpolitik, sondern ein strukturelles Problem.
In welchem Turnus soll „Off Church Dialog“ in Zukunft stattfinden?
Sven: Wir planen, die Ausgaben einmal pro Quartal stattfinden zu lassen und hoffen sehr, dass sich dies unter den gegebenen Umständen realisieren lässt.
Und welche Gäste möchtet ihr in Zukunft unbedingt in die Christuskirche einladen?
Michael: Unsere literarischen Gäste sollen Talente aus Düsseldorf sein, die noch nicht allzu präsent sind oder den meisten noch gänzlich unbekannt. Zu nennen wären zum Beispiel unsere Freundin, die Autorin Feride Mehmetaj, oder Bunny Holzmann, ein literarischer Gratwanderer zwischen Bukowski und Murakami. Wer uns kennt, der weiß, dass wir unser Publikum gerne überraschen – und das ist Programm!
25.9., 20 Uhr, Christuskirche, Düsseldorf
Wegen Corona ist auch diese Veranstaltung nur nach vorheriger Anmeldung zu besuchen. Anmelden könnt ihr euch hier.