Die Corona-Tagebücher #19: Hier spricht der Gastronom

Im November 2019 eröffnete Khanh Huy Nguyen zusammen mit seinem Schwager Hung Nguyen das Phox Pho. Ein Jahr später gibt es das kleine Restaurant, das sich auf die vietnamesischen Nudelsuppen Pho spezialisiert hat, immer noch. Aber es ist ein harter Kampf. theycallitkleinparis hat mit Khanh Huy Nguyen über Gastronomie in Corona-Zeiten gesprochen.

Khanh, seit einem Jahr seid ihr Gastronomen. Hattet ihr zuvor bereits Erfahrung in der Branche sammeln können?
Ich selbst nicht, nein. Ich hatte bis dahin als Art Director gearbeitet. Hung hatte in mehreren Restaurants und Bars gekellnert. Auch wenn das natürlich nicht das Gleiche ist, wie ein Restaurant zu betreiben. Im Frühjahr 2019 sind wir auf die leerstehenden Räume des ehemaligen Café de Paris an der Stresemannstraße aufmerksam geworden. Wir haben unsere Eröffnung dann fast ein dreiviertel Jahr vorbereitet. Am 15. November haben wir das Phox Pho eröffnet.

In den ersten Tagen und Wochen gibt es ja oft noch Kinderkrankheiten. Wie war das bei euch?
In der Küche war es anfangs noch ziemlich chaotisch. Es gibt einfach zahlreiche Fallen, die man nicht kennt, wenn man nie in der Gastronomie gearbeitet hat. Wenn du sechs Tupperdosen im Kühlschrank stehen hast, macht es beispielsweise Sinn, sie in unterschiedlichen Farben zu markieren. Damit man immer sofort weiß, was drin ist. Das spart Zeit. Im laufenden Betrieb muss ja immer alles schnell gehen. Mittlerweile haben wir natürlich viel dazu gelernt. Dennoch gibt es auch heute noch Arbeitsprozesse, die optimierbar sind.

Pho, Foto: Lars Neill

Wie ist das Konzept des Phox Pho?
Wir wollten einen Laden eröffnen, in dem ausschließlich vietnamesische Pho angeboten wird. In Vietnam gibt es solche Läden ohne Ende. Mittlerweile wurde die Idee auch in alle möglichen Länder exportiert. Man findet sie überall dort, wo es eine große vietnamesische Community gibt. In Australien zum Beispiel. Oder in Berlin. Auch in den USA sind Pho-Restaurants weit verbreitet.

Aber mir würden auch in Düsseldorf mehrere vietnamesische Restaurants einfallen, die Pho auf der Karte haben.
Das stimmt, aber sie sind halt nicht darauf spezialisiert. Sie bieten auch gebratenen Reis an. Und Ente süß-sauer.

In Vietnam wird Pho meist schon zum Frühstück genossen.
Ja, das stimmt. Man isst sie übrigens fast nie zuhause, sondern eher in einer der zahllosen Garküchen, die es überall im Land gibt. Die meisten Vietnamesen finden es zu aufwendig, sie selber zuzubereiten.

Ihr habt euch trotzdem dafür entschieden. Was macht das Ganze so aufwendig?
Das ist in erster Linie die Basis, die Brühe. Die Knochen beziehungsweise das Gemüse kochen wir 24 bis 48 Stunden aus. Pho gibt es bei uns in drei Varianten: mit Huhn, mit Rind und vegan.

Mini-Pancakes, Foto: Lars Neill

Was habt ihr außerdem noch auf der Karte?
Eigentlich wollten wir tatsächlich nur Pho machen. Aber das klappt hier in Deutschland nicht so gut. Die Gäste fragten nach Vorspeisen, sie wollten gerne länger bei uns im Laden verweilen. Also haben wir ein paar Side Dishes zusätzlich auf die Karte genommen. Rindfleischsalat, Mini-Pancakes, Sommerrollen. Sogar Frühlingsrollen bieten wir jetzt an, weil die Leute danach verlangt haben. Bei all dem legen wir viel Wert auf gute Zutaten. Entsprechend gering ist unsere Marge. Wir leben in erster Linie von den Getränken.

Was macht die vietnamesische Küche generell aus?
Garzeiten sind sehr wichtig. Und frische Kräuter. Koriander, Europagras oder Thai-Basilikum. Ohne Laksa-Blätter und Schwarznessel würde meine Mutter nicht auf die Idee kommen, Sommerrollen zu machen. Das ist übrigens immer die Referenz. Wie zuhause gekocht wird. Das größte Lob, das wir bekommen können, ist „Schmeckt wie bei meiner Mutter“.

Bietet ihr auch einen Lieferservice an?
Nein. Lieferando nimmt 30 Prozent. Das ist ein No-Go für uns.

Ich war bereits mehrfach bei euch zu Gast. Dabei ist mir aufgefallen, dass ihr die Gäste, auch die, die ihr nicht kennt, wie Freunde behandelt. Das erlebt man hier in der Stadt nicht oft. Man hat jede Minute gemerkt, dass ihr Spaß an eurem Job habt. Dass das, was ihr macht, genau euer Ding ist.
Wir nehmen gerne eine Beziehung zu unseren Gästen auf. Wenn wir das nicht wollten, wären wir nicht in die Gastronomie gegangen. Geld zu verdienen war für uns nicht das wichtigste Motiv.

Darüber hinaus ist mir die ungewöhnliche Musik aufgefallen. Viele andere Restaurants sind ja um Sound bemüht, der nicht weiter stört. Bei euch lief zum Beispiel Nick Cave.
Musik ist uns sehr wichtig. Weil Musik Kommunikation bedeutet. Das kann Nick Cave sein, Katy Perry oder total asozialer Rap. Der allerdings dann auf Englisch, damit man nicht sofort alles versteht.

Und vietnamesische Musik?
Kommt auch mal vor, aber eher selten. Von derzeit 1.200 Liedern in unserer Playlist sind gerade mal drei vietnamesisch.

Lass uns noch mal über die Pandemie sprechen. Vier Monate nach der Eröffnung, Mitte März 2020, wurde der erste Lockdown verhängt.
Wir haben allerdings schon zwei Wochen vorher zugemacht. Da hatten wir schon einen starken Umsatzeinbruch zu verzeichnen. Als die Berichterstattung über das Virus aus dem chinesischen Wuhan losging, haben die Gäste asiatische Läden und asiatische Menschen gemieden. Das war nicht nur bei uns so, wir haben es auch von anderen asiatischen Restaurantbetreibern gehört.

Wie viele andere Gastronomen habt ihr 9.000 Euro Soforthilfe bekommen. Wie ging es nach dem Lockdown für euch weiter?
Wir haben mit 50 Euro Umsatz am Tag wieder angefangen und uns dann Stück für Stück gesteigert. Im September 2020 konnten wir erstmals überhaupt, seit wir den Laden machen, die Betriebskosten stemmen. Wir haben sogar ein kleines Plus erwirtschaftet. Und jetzt kommt der zweite Lockdown. Aber das war ja abzusehen. Wir haben uns keine großen Hoffnungen gemacht, dass wir daran vorbeikommen.

Gab es solidarische Aktionen von Gästen?
Wir hatten während des Lockdown eins zu einer Spendenaktion aufgerufen. Innerhalb von kurzer Zeit kamen 6.000 Euro zusammen. Das Geld stammte zum Teil von Verwandten und Freunden von uns. Aber der Großteil der Spender waren Gäste. Über die Monate hatten sich bei uns Mietschulden angehäuft. Vier Monatsmieten waren wir im Rückstand. Das hat eine junge Frau, die Stammgast bei uns ist, mitbekommen. Sie gehört quasi zur Familie, weil sie dauernd bei uns im Laden abhängt. „Wie viel Geld braucht ihr?“ hat sie gefragt. „10.000 Euro“ haben wir gesagt. Sie hat uns dann 10.000 Euro überwiesen. Das sind so Storys, die erlebst du nur in der Gastronomie.

Gab es trotzdem Momente, in denen ihr überlegt habt, aufzugeben?
Der Gedanke, aufzugeben, hat uns immer begleitet. Jeden Tag. Die Aussichten sind einfach nicht gut.

Das Phox Pho bleibt ab dem 2.11. zunächst für eine Woche geschlossen. Wie es danach weitergeht, stand zum Zeitpunkt unseres Gesprächs noch nicht fest.

In dieser Reihe bereits erschienen:

Die Corona-Tagebücher #1: Solidarische Nachbarschaft Düsseldorf

Die Corona-Tagebücher #2: It’s oh so quiet

Die Corona-Tagebücher #3: Falsche Verknüpfungen

Die Corona-Tagebücher #4: Vom Geben und Nehmen

Die Corona-Tagebücher #5: Der Radius wird kleiner

Die Corona-Tagebücher #6: Kunst & Quarantäne

Die Corona-Tagebücher #7: Hausmusik

Die Corona-Tagebücher #8: In die Leere

Die Corona-Tagebücher #9: Virologen-Merchandise

Die Corona-Tagebücher #10: Was heißt hier sofort?

Die Corona-Tagebücher #11: Unfrisur

Die Corona-Tagebücher #12: Was heißt hier sofort? (2)

Die Corona-Tagebücher #13: Fußmatten-Genießertresen

Die Corona-Tagebücher #14: Unter erschwerten Bedingungen

Die Corona-Tagebücher #15: Hilft Humor?

Die Corona-Tagebücher #16: Yoga der Ungelenken

Die Corona-Tagebücher #17: Persönliche Einblicke

Die Corona-Tagebücher #18: Jenseits der Grenze

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