The Pros and Cons of Oberbilk

Oberbilk war schon immer ein Viertel, das polarisiert. Wie stark die Meinungen auseinandergehen, hat auch Angela Hatzel dieser Tage erfahren. Die 59-Jährige interessierte sich für eine Wohnung auf der Eisenstraße und bat in der Facebook-Gruppe „Oberbilker Freunde“ um Meinungen. Die bekam sie. Reichlich.

Am Telefon wirkt Frau Hatzel offen und freundlich. Dass das, was sie erlebt hat, in die Zeitung soll, kann sie sich nicht vorstellen: „Meinen Sie wirklich?“ Gemeinsam mit ihrer Katze Cookie lebt sie seit sieben Jahren in einem Apartmenthaus in Meerbusch, nähe der Haltestelle Landsknecht. Im Haus wohnen „bestimmt fünfzig“ Parteien, schätzt die Verkäuferin. Sie und Cookie teilen sich 36 Quadratmeter mit kleinem Balkon im Erdgeschoss. Für die Katze sei das ideal, weil sie jederzeit nach draußen könne. Auch Frau Hatzel wohnt grundsätzlich gerne in dem Haus, „aber ein Zimmer mehr wäre schon toll“. Das hat die Wohnung auf der Eisenstraße. Doch schon als sie sich mit ihrem direkten Umfeld über die Option austauscht, raten ihr die meisten ab. Direkt hinterm Bahnhof. Kriminalität. Drogen. Soweit die Bedenken.

Die Umzugswillige selbst kennt den Stadtteil hinter dem Düsseldorfer Hauptbahnhof zu dem Zeitpunkt ausschließlich aus den Medien. „Von der Razzia hatte ich natürlich gehört“, sagt sie. Aber eine Gegend könne sich natürlich im Laufe der Zeit auch verändern, und die Razzia liege ja schon Jahre zurück. Überhaupt überwögen in ihren Augen die Argumente pro Oberbilk. Die zentrale Lage, gute Versorgungsmöglichkeiten, „ich bin ja ohne Auto“, und nicht zuletzt die Nähe zu ihrem Sohn, der im benachbarten Bilk wohnt. Angela Hatzel schaut sich die Eisenstraße auf Google Maps an – und findet dort ein realistisches Bild vor, inklusive Sperrmüll auf dem Mittelstreifen. Derartiges kennt sie allerdings auch aus Meerbusch: „Da sieht es manchmal aus, als wären alle Container explodiert.“ Die Wohnung auf der Eisenstraße sieht auf den Fotos, die sie geschickt bekommt, perfekt aus. Zwei Zimmer mit separater Küche, alles gut in Schuss. Zudem liegt sie im Erdgeschoss. Frau Hatzel leidet seit vielen Jahren unter Arthrose und hat zwei künstliche Kniegelenke. Sie war in der Vergangenheit bereits mehrfach auf Krücken oder Rollator angewiesen. Deshalb möchte sie Treppensteigen unbedingt vermeiden.

Eine Woche liegt ihre Anfrage in der geschlossenen Facebook-Gruppe „Oberbilker Freunde“ zum Zeitpunkt unseres Telefonats zurück. 119 Kommentare hat ihr Posting bekommen. „Anfangs waren alle positiv“, erzählt sie. „Ich könnte mich nirgends wohler fühlen“, heißt es im ersten Kommentar. Die Nahversorgung wird gelobt, ebenso die ÖPNV-Anbindung und die Schnitzel in einer Gaststätte am Oberbilker Markt. „Ich liebe Oberbilk und möchte hier nicht mehr weg“, schreibt eine Anwohnerin. Eine andere schildert, dass es ihr, als sie beschloss nach Oberbilk zu ziehen, ähnlich erging wie Hatzel. Sie habe die Bedenken ignoriert. Heute ist sie überzeugte Oberbilkerin: „Hier leben die nettesten Menschen überhaupt! Ich habe schon so viel Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit, Empathie erfahren wie in knapp drei Jahren am Brehmplatz nicht. Hier weht ein anderer Wind, ja. Aber ein sehr herzlicher.“ Bei ihrem Einzug habe zum Beispiel ein türkischer Nachbar spontan beim Tragen der schweren Möbelstücke geholfen.

Zunächst klingt es, als sei der Name der Gruppe Programm, als seien die „Oberbilker Freunde“ auch ausnahmslos Freund:innen Oberbilks. Aber irgendwann wendet sich das Blatt, der Ton wird rauer. Eine Dame beschreibt die Gegend hinter dem Hauptbahnhof wie einen Slum: „Es ist dreckig, stinkt. Junkies und Besoffene vor manchen Kiosken (…) Hundekot überall, Müllberge an jeder Ecke und eine sehr hohe Kriminalität“. Ihr Fazit: „Oberbilk war mal sehr schön und gemütlich… Leider vorbei.“ Eine weitere weiß von einem Vorfall zu berichten, bei dem sie „am helllichten Tag begrapscht und anschließend zu Boden getreten“ worden sei. Eine alteingesessene Oberbilkerin pflichtet ihr bei: „Ich wohne seit 55 Jahren hier und kann dir nur abraten. Es ist dreckig und im Dunkeln unheimlich.“ Angela Hatzel hat irgendwann genug. Nach drei Tagen schaltet sie die Kommentarfunktion ab. Die Heftigkeit der Reaktionen habe sie durchaus überrascht, sagt sie am Telefon. „Damit hatte ich nicht gerechnet.“ Zu dem Zeitpunkt hat sie sich bereits selbst ein Bild gemacht. Zusammen mit ihrem Sohn ist sie nach Oberbilk gefahren, hat sich Wohnung und Umgebung angeschaut. Allen voran die Menschen. Die Menschen seien ihr am wichtigsten, sagt sie. Nach ihrem Besuch kommt die 59-Jährige zu folgendem Schluss: „Also für mich passt das alles.“ Lediglich den Kiez rund um den Dreiecksplatz würde sie als Wohngegend für sich ausschließen.

Die Wohnung auf der Eisenstraße hat Angela Hatzel letzten Endes dann doch nicht genommen. Das lag aber nicht am Stadtteil. Das Bad war einfach zu klein. Und für die Katze sei es auch nicht ideal gewesen. Die Suche geht also weiter. Oberbilk ist dabei nach wie vor eine Option. Die Argumente dafür und dagegen kennt sie ja nun ziemlich genau.

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