Judith Samen im Interview – „Wenn mir ein Pfannkuchen anbrennt, kann daraus ein Bild werden“

Die Künstlerin Judith Samen möchte der Krise etwas entgegensetzen. Derzeit startet in ihrer Düsseldorfer Küche unter dem Titel „thekitchenhappening21“ jede Woche eine neue Ausstellung. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit, natürlich. theycallitkleinparis hat mit Samen gesprochen.

Am 22. Januar haben Sie in der Küche Ihrer Wohnung „thekitchenhappening21“ gestartet, eine Wechsel-Ausstellung mit Happening-Charakter. Die Idee greift zurück auf Ihre Ausstellung „Küchen-Bilder“, die im Jahr 1993 in Düsseldorf stattfand. Wie war das Konzept?
Die Ausstellung fand genauso wie jetzt „thekitchenhappening21“ im privaten Raum statt. Über eine Zeitungsannonce habe ich damals fünf Düsseldorfer:innen gefunden, die bereit waren, ihre Küchen für eine Ausstellung mit Publikum zur Verfügung zu stellen. Innerhalb einer Woche gab es fünf Abende, an jedem wurde ein Bild von mir gezeigt. Und passend zu der gezeigten Arbeit wurde für die Besucher:innen gekocht.

Sie haben an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Fritz Schwegler studiert. Neben der Fotografie nutzen Sie unterschiedliche Medien wie Zeichnung, Rauminstallation, Performance und Video. Die „Küchen-Bilder“ sind eine Serie mit inszenierten Fotografien aus Ihrem Frühwerk. Können Sie die Serie anhand eines Beispiels beschreiben?
Eins der damals ausgestellten Fotos war zum Beispiel ein Akt, eine ältere nackte Frau mit riesigen Wirsing-Köpfen. An dem Abend, an dem das Bild gezeigt wurde, habe ich naheliegenderweise Wirsing gekocht. Die Gastgeberinnen, in deren Wohnung das Ganze stattfand, hatten allerdings kein normales Salz, sondern lediglich Kräutersalz. Der Wirsing schmeckte daher etwas eigenartig. Darüber hinaus hat das Format viele Überraschungen bereitgehalten. Es war sehr leicht und humorvoll. Das ist mir generell in meiner Arbeit wichtig, auch bei dem aktuellen Projekt. An Bildende Kunst gibt es ja häufig eine Erwartung von Ernsthaftigkeit, von Schwere und Wichtigkeit. Sie soll den Betrachtenden Fragen beantworten. Diese Schubladen im Kopf möchte ich gerne durcheinander rütteln. Bei mir bleiben die Fragen offen, sodass das Denken in Bewegung bleibt.

Die Idee zu „thekitchenhappening21“ ist während des zweiten Lockdowns entstanden, einer Phase, in der man im Rahmen von Videokonferenzen zwangsläufig Einblicke in den privaten Raum von anderen Menschen bekam.
Das Thema finde ich sehr spannend. Plötzlich erfährt man über Leute, die man sonst ausschließlich aus dem beruflichen Kontext kennt, in den entsprechenden Rollen erlebt, viel mehr. Man sieht, dass sich der eine geplant hingesetzt, seinen Hintergrund mitgedacht hat – und der andere gar nicht. Das Thema Privatheit/Öffentlichkeit ist derzeit ziemlich aktuell. Mein Konzept ist im Dezember entstanden – und im Anschluss auch sehr schnell umgesetzt worden. Insofern kann sich das Ganze in Details durchaus noch verändern oder weiterentwickeln. Es gibt kein steifes Korsett, das abgearbeitet werden muss. Es ist ein offener Prozess, der weiter wächst.

Wie muss man sich Ihre Küche vorstellen?
Wir haben das Glück, eine Wohnküche zu haben. Das Modell der sogenannten „Frankfurter Küche“, in der die Frau isoliert das Essen zubereitet, hat mir nie zugesagt. Unsere Küche ist das Herz der Wohnung. Sie ist vielleicht 20 Quadratmeter groß. In der Mitte steht ein Tisch, an dem die ganze Familie Platz findet. Auf der einen Seite gibt es eine klassische Küchenzeile mit Gerätebatterie und Kochutensilien, die an der Wand hängen. An der gegenüberliegenden Wand stehen keine Möbel. Da hingen in der Vergangenheit immer Bilder von mir, die alle paar Jahre ausgetauscht wurden. Vor dem Start von „thekitchenhappening21“ war die Wand aber längere Zeit leer.

In der Wohnung leben Sie gemeinsam mit Ihrem Mann und zwei Kindern. Wie wird die Küche von Ihnen als Familie genutzt?
Zunächst mal versuchen wir, unsere Mahlzeiten dort gemeinsam einzunehmen, was naturgemäß nicht immer klappt. Die Küche ist für uns ein Ort mit hoher Aufenthaltsqualität. Wenn wir Besuch haben, sind wir meistens in der Küche. Viele gehen ja dann ins Wohnzimmer. Das wäre bei uns auch möglich, wird aber nicht so praktiziert. Die Küche ist also ein ganz zentraler Ort.

Wonach suchen Sie die Künstler:innen für „thekitchenhappening21“ aus?
Es handelt sich überwiegend um Künstler:innen, die ich persönlich kenne oder deren Arbeiten ich mag oder jetzt hier passend finde. Gleichzeitig muss ich mir vorstellen können, dass die Person, die sie geschaffen hat, in meiner Küche zu Gast sein könnte. Das ist Grundvoraussetzung. Die Künstler:innen haben übrigens sehr positiv auf mein Konzept reagiert. Viele haben direkt zugesagt. Sie fanden, dass die Idee gut in die momentane Zeit passt.

Wer sucht die Arbeiten aus, die gezeigt werden?
Was letzten Endes an der Wand gemacht wird, überlasse ich den Künstlern:innen. Ich bin grundsätzlich für Überraschungen immer zu haben und finde es total spannend, wie sie auf die Raumsituation eingehen.

Kunst von Michel Sauer, Foto: Judith Samen

Zuletzt hingen zwei Werke des Bildhauers Michel Sauer in Ihrer Küche. Was zeichnet seine Arbeiten aus?
Michel Sauer zeichnet aus, dass er neben Bildhauerei und Plastik auch immer wieder andere Medien experimentell nutzt. Im Moment bemalt er MDF-Lochplatten mit Mustern. Die Arbeiten hat Sauer deshalb ausgesucht, weil er meinen Hang zum gemusterten Haushaltskittel kennt. Tatsächlich habe ich einen riesigen Fundus an Haushaltskitteln, weil die früher in meinen Arbeiten mal wichtig waren. Sauer hatte also bei der Auswahl schon im Kopf, dass ich auf seine Arbeit künstlerisch reagieren könnte.

Den Auftakt zu „thekitchenhappening21“ markierte vor Michel Sauer die Fotokünstlerin Claudia van Koolwiijk, die im Jahr 1993 selbst Besucherin der Ausstellung „Küchen-Bilder“ war. Wie hat van Koolwijks Kunst Ihre Küche verändert? Welche Impulse haben Sie und Ihre Familie durch die Arbeiten bekommen?
Claudia van Koolwijk hatte als eine von zwei gezeigten Arbeiten eine Fotografie mit aufgeschlagenen Eierschalen ausgewählt. In der Woche, in der sie hingen, gab es bei uns ziemlich viele Eierspeisen. Das geschah völlig ungeplant, aber trotzdem eben als Reaktion auf die Arbeit, sodass Leben und Kunst miteinander schwingen. Diese offenen Prozesse des gegenseitigen Anregens finde ich sehr spannend. Als Künstlerin interessiert mich generell die Verbindung zwischen Kunst und Leben, die Verschmelzung von beidem. In meinen eigenen Arbeiten entsteht häufig aus einer Alltagshandlung ein Foto. Wenn mir ein Pfannkuchen anbrennt, kann daraus ein Bild werden. Das ist bewusst nicht planbar und ich bin auf meine Intuition angewiesen.

Lassen Sie uns noch mal kurz bei den begleitenden Speisen bleiben. Auch Michel Sauer hat diesbezüglich einen Wunsch geäußert.
Ja, das stimmt. Er hat sich Ragout fin in Königinnenpastete gewünscht. Das ist allerdings ein Detail, das nicht unbedingt im Netz landen muss. Obwohl in den Sozialen Medien ein großer visueller Hunger vorhanden ist. Und der Impuls, den bedienen zu wollen, ist natürlich stark. Ich würde aber trotzdem schauen wollen, wie gut so ein Bild ist. Und wie privat. Insofern ist es auch ein Experiment im Hinblick auf Soziale Medien. Es muss nicht jede private Handlung direkt und ungefiltert ausgebreitet werden.

Nun gibt es ja einen entscheidenden Unterschied zwischen 1993 und heute. Wir sind mitten im Lockdown, mitten in einer Pandemie. Das heißt, das Miteinander der Besucher:innen, die Begegnung, der Austausch fällt weg. Wie empfinden Sie das?
Als ich das Konzept erarbeitete, war mir klar, dass dieser Winter unheimlich lang werden würde und die Laune bei vielen Menschen, gerade Künstler:innen, dementsprechend schlecht sein würde. Mir persönlich fehlt die Begegnung mit Kultur sehr. Dass Museen geschlossen sind, empfinde ich als schwierig. Mir war es wichtig, dieser herausfordernden Situation mit einer künstlerischen Haltung zu begegnen. Ich wollte dem Ganzen etwas Positives entgegensetzen, einen Weg finden, trotzdem etwas Cooles zu machen. „thekitchenhappening21“ soll über einen längeren Zeitraum laufen, mindestens bis zum Frühsommer dieses Jahres. Ich hoffe natürlich, dass es irgendwann wieder möglich ist, Besucher:innen in unsere Küche zu lassen. Denkbar wäre ansonsten aber auch, dass man als Abschluss alle Arbeiten, die in unserer Küche hingen, zusammen an einem anderen Ort zeigt.

Die Eröffnungen sind immer freitags um 18 Uhr. Sie nennen das passenderweise Silent Opening. Gibt es dafür ein Ritual?
Ein echtes Eröffnungsritual gibt es noch nicht, nein. Darüber denke ich aber noch nach, da kann sich also durchaus noch etwas entwickeln. Momentan ist es so, dass wir als Familie abends in der Küche zusammenkommen und uns gemeinsam über unseren neuen Gast freuen. Es wird aber nicht mit Sekt angestoßen oder so. Das Ganze wird auf eine möglichst natürliche Weise in unseren Alltag eingebunden.

Und wie können Menschen, die nicht zu Ihrer Familie gehören, „thekitchenhappening21“ verfolgen?
Über meine Kanäle auf Facebook und Instagram sowie über meine Homepage. Dort werden jeden Freitag gegen 18 Uhr Fotos von der neuen Ausstellungssituation in unserer Küche veröffentlicht. Einen Newsletter verschicke ich auch. Bestenfalls funktioniert das Ganze wie eine Fernsehserie, auf deren Fortsetzung man sich jede Woche freut. Damit der Überraschungseffekt möglichst groß ist, wird vorab nicht bekannt gegeben, wer wann gezeigt wird.

Welche Künstler:innen werden in Zukunft in Ihrer Küche zu Gast sein?
Katharina Maderthaner, Arpad Dobriban, Martina Sauter, Juergen Staack und viele mehr.

Mehr Informationen zu „thekitchenhappening21“ gibt es hier.

Schreibe einen Kommentar

*