Es war ein leises Servus. Mitten im zweiten Lockdown verabschiedete sich das FFT nach mehr als 20 Jahren von seinen beiden alten Spielstätten, dem Juta und den Kammerspielen. Die neuen Räume im KAP1 am Konrad-Adenauer-Platz sollen im Mai übergeben werden. Bis dahin ist das FFT ein Theater ohne Haus, was nicht heißt, dass die theatrale Küche in der Zwischenzeit kalt bleibt. Vielmehr möchte man sich mit diversen Ideen und Produktionen den öffentlichen Raum aneignen, aber auch andere Spielstätten erkunden. Immer vorausgesetzt, die Pandemie lässt es zu. theycallitkleinparis hat mit Kathrin Tiedemann, Geschäftsführerin und Künstlerische Leiterin des FFT, gesprochen.
Frau Tiedemann, wann fand die letzte Vorstellung mit Publikum im Juta beziehungsweise in den Kammerspielen statt?
Im Juta haben wir Ende Oktober zuletzt „Oracle & Sacrifice“ von Claudia Bosse gezeigt, in den Kammerspielen das Tanztheaterstück „Laudatio“ von Morgan Nardi und Kathrin Spaniol. Dann kam der zweite Lockdown und wir mussten den Betrieb einstellen.
Die Phase seit Beginn der Corona-Krise war für Künstler:innen wie Kultureinrichtungen sehr schwierig. Was war die größte Herausforderung für Sie als künstlerische Leiterin des FFT in der Phase? Und gab es trotzdem auch beglückende Momente?
Oh je, die größte Herausforderung… wir haben unser Team umgehend ins Homeoffice geschickt und uns daran gemacht, unser Programm umzustrukturieren: Wir haben in den FFT Kammerspielen ein digitales Studio eingerichtet, das uns anschließend als Plattform zur Verfügung stand, auf der wir eigene Online-Veranstaltungen realisieren, aber auch die von Gästen und Partnern hosten konnten wie zum Beispiel das „Impulse Theater Festival“ oder die „Tanzplattform“. Gruppen wie machina Ex und pulk fiktion haben in kürzester Zeit neue interaktive Produktionen entwickelt, die mit einem Messenger-Dienst beziehungsweise am Telefon gespielt werden konnten. Streaming fanden wir nicht so interessant. Unsere Konferenz On/Live haben wir komplett in den digitalen Raum verlegt. Das waren alles neue Erfahrungen, bei denen wir sehr viel ausprobiert und gelernt haben. Und wir haben mit Antje Pfundtner das Walk&Talk-Format „Willst Du mit mir gehen?“ entwickelt – das uns jetzt Woche für Woche durch die Pandemie begleitet.
Die alten Spielstätten FFT Juta und FFT Kammerspiele sind bereits seit einigen Wochen abgespielt. Unter normalen Umständen hätten Sie doch sicher ein rauschendes Abschiedsfest gefeiert, oder?
Ein Fest war aus den bekannten Gründen nicht möglich. So konnten wir uns leider nicht mehr gebührend von den Räumen verabschieden, an denen wahnsinnig viele Erinnerungen an unvergessliche Theaterabende und Konzerte hängen. Zum Glück hatten wir aber ein sehr schönes Fest im September 2019, zum 20-jährigen Jubiläum des FFT.
Ist man auf der KAP1-Baustelle derzeit im Zeitplan?
Bislang sieht es so aus, als könnten uns die Räume wie geplant im Mai übergeben werden. Im vergangenen Sommer waren wir mit dem gesamten Team vor Ort. Seitdem hat die Baustelle auf jeden Fall große Fortschritte gemacht. Zurzeit können wir allerdings nur zu zweit oder dritt dorthin.
Worauf freuen Sie sich in den neuen Räumen besonders?
Da gibt es vieles. Am meisten freue ich mich auf das neue große Foyer, das wir bekommen werden, denn so etwas hatten wir bisher nicht. Es soll zu einem Treffpunkt und zu einem Ort der Begegnung werden, also auch tagsüber zugänglich und nutzbar sein. Abends wird er sich in eine Bar verwandeln. Außerdem ist der Theatersaal um einiges größer als unsere bisherigen Bühnen. Dadurch, dass die Zuschauerbühne eingefahren werden kann, bietet der Raum vielfältige, flexible Nutzungsmöglichkeiten. Er wird sich immer wieder verwandeln können. Das entspricht vielmehr den aktuellen künstlerischen Praktiken und wird auch den Zuschauer:innen die unterschiedlichsten Theatererfahrungen ermöglichen. Außerdem freue ich mich, dass das Team des FFT endlich einen gemeinsamen Einsatzort haben wird und auf die Nachbarschaft mit der Zentralbibliothek, die uns spannende Perspektiven der Kooperation eröffnet.
Bis zum Einzug in das KAP1 ist das FFT nun gezwungenermaßen ein Theater ohne Haus. In dieser Zeit bis zum Juli 2021 weichen Sie in andere Räumlichkeiten aus. In die Kunsthalle zum Beispiel. In die Planwerkstatt 378 oder ins Ergo Ipsum. Darüber hinaus möchten Sie sich den öffentlichen Raum aneignen. Dabei wollen Sie nicht nur das Bahnhofsviertel erkunden, sondern auch an die Peripherie der Stadt und darüber hinaus vordringen. Welche Orte schweben Ihnen beziehungsweise den Künstlern konkret vor?
Wir werden uns in ein temporär nomadisches Theater verwandeln und an unterschiedlichen Orten auftauchen. Unter anderem kooperieren wir mit der Künstlerin Anja Vormann und ihrem Team, sie haben einen Ü-Wagen, der künstlerische, mediale und soziale Praktiken verbindet und als fahrendes Labor öffentliche Plätze in einen temporären „Paradise Park“ verwandeln kann. Der japanische Sound- und Performance-Künstler miu wird eine performative Installation in den Räumen der Zentralbibliothek am Bertha-von-Suttner-Platz entwickeln, die besucht werden kann, wenn die Bibliothek dort ausgezogen ist. Und mit der Gruppe subbotnik wollen wir leerstehende Ladenlokale bespielen.
Welchen Themen widmen sich die geplanten Produktionen? Und inwiefern haben sich die Themen, die das FFT verhandelt, durch die Pandemie verändert?
Unser „Theater ohne Haus“-Programm legt den Schwerpunkt auf unterschiedliche Raumerfahrungen und künstlerische Interventionen an den Schnittstellen des Theaters zum städtischen, öffentlichen und digitalen Raum. Wir hoffen sehr, dass die Beschränkungen durch die Pandemie sich im Laufe des Frühjahrs soweit lockern werden, dass wir die geplanten Projekte realisieren können. Alle Vorhaben beziehen jedoch die Erfahrungen der vergangenen Monate im Lockdown mit ein und basieren auf der Annahme, dass größere Versammlungen in geschlossenen Räumen weiterhin Beschränkungen unterliegen werden.
Wie viele andere Theater hat auch das FFT seit Beginn der Pandemie mit digitalen Formaten experimentiert, wir sprachen ja schon darüber. Wie gut hat das funktioniert? Und welche Rolle werden solche Formate spielen, wenn wir Corona irgendwann hinter uns gelassen haben?
Diejenigen Künstler:innen und Gruppen, die schon vor der Pandemie performative Formate für den digitalen Raum entwickelt haben, konnten am besten auf die Situation reagieren, wie etwa die Gruppe machina Ex mit ihren Games „Lockdown“ und „Homecoming“, die in einem Messenger-Dienst gespielt wurden. Aber sogar das Seniorentheater SeTa hat seine Proben in den digitalen Raum verlegt und ein Stück online zur Premiere gebracht. Es sind auch spannende hybride Formate entstanden, die Live-Performance und eine digitale Teilnahme der Zuschauer miteinander verbinden wie zum Beispiel „Boys Space“ von The Agency. Die Resonanz der Zuschauer:innen war sehr gut, nicht zuletzt ermöglichen die digitalen Formate eine Teilnahme von überall, so dass sich eine größere Reichweite erzielen lässt. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich so etwas wie ein neues Genre daraus entwickeln wird, dass auch im post-pandemischen Theater eine Rolle spielen wird.
Der Choreograf Raimund Hoghe äußerte zuletzt in einem Interview die Sorge, dass Streamen das Theater bedrohe. Wie denken Sie darüber?
Gerade lässt sich noch nicht so richtig absehen, wie sich die Pandemie entwickelt und wie die Situation aussehen wird, wenn wir sie überwunden haben werden. Ich denke eher mittel- und langfristig und frage mich beispielsweise, wie sich unsere Innenstädte verändern werden, wenn der E-Commerce den Einzelhandel verdrängt. Wie werden wir mit den gesellschaftlichen Folgen der Pandemie umgehen? Wie verändern sich die internationalen oder globalen Zusammenhänge?
Letzte Frage: Wo sehen Sie das FFT in einem Jahr?
In einem Jahr dürfen schon eine Weile wieder größere Veranstaltungen stattfinden und das FFT am Hauptbahnhof kann dem aufgestauten Bedürfnis der Menschen nach Begegnung, Austausch, Gemeinschaft und Kunst an einem einladenden, freundlichen und aufregenden Ort entgegenkommen. Es brummt!