Tom Blankenberg im Interview – „Der Mikrokosmos meines eigenen Umfelds“

Sein erstes Klavieralbum „atermus“ stieß nach der Veröffentlichung im Jahr 2019 auf reichlich Gegenliebe. Nun legt Tom Blankenberg den Nachfolger vor. Ein Teil der neun Kompositionen auf seinem neuen Werk „et“ ist während der Pandemie entstanden. Wie sich das auf die Stücke ausgewirkt hat, wie Corona seinen persönlichen Alltag verändert hat und wie ihn die Zeit im Schulchor bis heute musikalisch beeinflusst, hat der Düsseldorfer Musiker theycallitkleinparis im Interview verraten.

Tom, hast du in der Schule Latein gehabt?
Ja, hatte ich, sogar schon ab der fünften Klasse und dann bis zur zehnten. Aber ich war immer schlecht. Doch irgendwie fasziniert mich die Sprache wohl.

Ich hatte auf dem Gymnasium Gerresheim eine sehr strenge Lateinlehrerin, vor der ich regelrecht Angst hatte. Bis heute kann ich noch lateinische Verse auswendig. Wie ist das bei dir?
Es sind noch Fragmente vorhanden, aber nicht der Rede wert. Doch ich denke, ich profitiere davon schon, ich nutze es in gewisser Weise. „atermus“, der Titel meines ersten Albums, ist trotzdem kein lateinisches Wort, auch wenn es so klingt.

Dein neues Album heißt „et“, lateinisch für „und“. Warum hast du dich dafür entschieden?
Das war wieder so ein Titel, der zu mir kam und das schon relativ früh im Entstehungsprozess des Albums. Da sinnierte ich einmal so vor mich hin, gar nicht unbedingt auf Albumtitelsuche, und dachte, es gibt da diese Buch- und Filmtitel „Krieg und Frieden“, „Romeo und Julia“, „ Dr. Jekyll und Mr. Hyde“. Das Spannungsfeld dabei ist dieses kleine, wenig beachtete Wort „und“. Das „und“ erzählt die Geschichte, das „und“ stiftet die Beziehungen. Geschichten und Beziehungen sind wichtig für mich und die Idee, dem „und“ seinen Raum zu geben, ihm Bedeutung zu verleihen, gefiel mir. Aber das deutsche Wort „und“ war für mich kein Albumtitel, es sollte universeller klingen und sein. Für einen kurzen Augenblick habe ich mit dem kaufmännischen Und-Zeichen geliebäugelt, aber das hat ja seinen Ursprung in dem lateinischen „et“ … und da war es. „et“ blieb dann – wieder unbeachtet – die ganze weitere Zeit im Hintergrund bei mir. Bis zum Schluss. Und ich empfinde das Album jetzt auch als „et“. Es enthält für mich dies und das und jenes und und und…

Das Klavier ist seit jeher dein Instrument. Du hast als Jugendlicher eine Zeit lang klassischen Unterricht gehabt, bei Subterfuge Tasteninstrumente bedient, auch deine eigenen Kompositionen entstehen am Klavier. Trotzdem bezeichnest du dich selbst nicht als Pianist. Warum nicht?
Ich kann nicht wirklich Noten lesen oder Musik von anderen Komponisten spielen. Deshalb würde ich mich lieber als Musiker bezeichnen.

Als wir Anfang 2019 kurz vor dem Erscheinen deines ersten Soloalbums „atermus“ sprachen, erzähltest du, dass du dich sehr verletzlich fühltest. Nun, zwei Jahre später, steht die VÖ deines zweiten Albums kurz bevor. Wie würdest du deine aktuelle Gefühlslage beschreiben?
Selbstbewusster, aber genauso verletzlich, genauso nackt. Aber vielleicht habe ich jetzt ein wenig mehr Vertrauen und Sicherheit durch die Beobachtung, dass wir alle verletzlich und nackt sind. Meine aktuelle Gefühlslage mäandert zwischen Erschöpft-sein und Aufbruchsstimmung hin und her. Neues Album eben.

Foto: Arne Schramm

Du warst im Februar 2020, also kurz vor dem ersten Lockdown, im Studio, um das Material für das Album einzuspielen. Als du damit fertig warst, erschienen dir die Aufnahmen plötzlich nicht mehr zeitgemäß. Warum nicht? Und wie ging der Entstehungsprozess des Albums weiter?
Ich hatte ein paar lautere Sachen dabei. Manches war zu schnell. Auch gab es da noch ein beschaulicheres Stück. Die Aufnahmen fühlten sich dann einfach nicht richtig an, als ich sie im März und April 2020 finalisieren wollte. In der Folge musste ich ein klein wenig runterkommen. Ich habe bestehende Stück teilweise verändert oder auch nur leiser und langsamer eingespielt und auch noch Neues geschrieben. Dann war ich im Sommer 2020 wieder im Studio und habe alles neu aufgenommen. Um dann herauszufinden, dass sich wieder etwas nicht ganz richtig anfühlte. So habe ich noch das letzte Stück geschrieben und nachträglich aufgenommen. Dann war es für mich fertig und abgeschlossen.

Die Songs des neuen Albums, so ist es auf deiner Webseite zu lesen, erzählen von einem neuen Alltag. Wie genau hat sich dein persönlicher Alltag verändert? Und wie hat sich das auf deine künstlerische Arbeit ausgewirkt?
Ich sehe sehr, sehr, sehr viel weniger Menschen als früher, aber das wird ja allen so gehen. Gleichzeitig habe ich meine Umwelt im Frühling 2020 intensiver wahrgenommen, das Umland, das Viertel, in dem ich wohne, meine Wohnung. Laute oder Bilder aus meiner Wohnung waren Impulsgeber. Ich habe mir erlaubt, das Album in dem Mikrokosmos meines direkten Umfelds spielen zu lassen. Die fremden Orte oder Länder des letzten Albums sind da nicht darauf.

Inwiefern unterscheiden sich die Stücke, die in Corona-Zeiten entstanden sind, von dem Material, das du vorher komponiert hast?
Es ist schwerer oder ernster geworden, finde ich. Ich habe auf dem Album Stellen, die schmerzen sollen. Aber es kann auch sein, dass das nur für mich zutrifft, dass das außer mir keiner hört oder versteht. Doch wer sie identifizieren kann, der melde sich gern bei mir. Das Augenzwinkern fehlte mir dann aber doch, deshalb gibt es dieses letzte Stück auf der Platte.

Zwei Singles aus dem Album „et“ hast du bereits vorab als Videos veröffentlicht, zum einen den Song „less“ und zum anderen „kaschmir“. Wie ist das Feedback darauf?
Das Video zu „less“ ist quasi aus Versehen entstanden, ein Schnellschuss. Aber das Video zu „kaschmir“ war echt viel Arbeit. Ich habe auf insgesamt sechs verschiedenen Klavieren, ein Flügel war auch dabei, gedreht, circa 80 Takes plus diverses Material drumherum, immer nachts, weil ich Dunkelheit brauchte. Der Aufwand hat sich gelohnt. Es ist ein sehr schönes Video geworden und das Feedback war teilweise enthusiastisch „Der beste Klavier-Videoclip, den ich je gesehen habe. Und ich hab hunderte gesehen“, schrieb da zum Beispiel ein Pianist oder „Poetry in motion“. Da habe ich mich schon sehr gefreut.

Auf dem Album findet sich auch ein Stück namens „W123“. Der Titel ist von einem Mercedes-Modell entliehen, den deine Eltern fuhren, als du ein Kind warst. Was haben Auto und Song miteinander zu tun?
Ich saß daheim am Klavier und spielte dieses Intervall, eine große Terz, G und H. Ich war in Schreiblaune und das Stück sollte so beginnen, das war meine Prämisse. Da hörte ich das Echo von draußen, eine Hupe. Besser gesagt, eine Zweitonhupe. Es waren die gleichen Töne. Spielt man dieses Intervall zweimal kurz, kann man sie hören – die Zweitonhupe. Da ich diesen Sound mit dem Auto meiner Eltern verbinde, hieß das Stück dann am Ende „W123“.

Wenn man gerade ein Album veröffentlicht hat, brennt man als Musiker:in gemeinhin darauf, das Material live vor Publikum darzubieten. Das scheint in absehbarer Zeit allerdings nicht möglich. Wie ist das für dich persönlich?
Ich habe keine Booking-Agentur, ich muss mich um meine Konzerte selber kümmern. Aber ich bin gerade ganz schön fertig von Albumdingen, Promo und Videos… Also finde ich im Moment wenig Zeit und habe vor allem auch keine Energie, mich um Konzerte zu bemühen. Ich erinnere mich noch an die Absagewelle im vergangenen Jahr, als ich mit viel Arbeit und mit viel Liebe eine Tour durch fast ganz Europa gebucht hatte, die dann platzte. Das war eine sehr nervenaufreibende Zeit. Bevor ich mich wieder daran mache, Konzerte zu buchen, brauche ich ein wenig mehr Planungssicherheit oder Weltstabilität. Also verschwende ich da gerade keine Gedanken daran. Aber wenn das Album erst einmal draußen ist, wird mir das Spielen wahrscheinlich doch sehr fehlen.

Was genau ist auf dem Coverfoto von „et“ zu sehen?
Das Bild zeigt den Sicherungskasten in meiner Wohnung. Wie ich eben schon erzählte, hat das Album sehr viel mit dem Mikrokosmos meines direkten Umfelds zu tun. Und es gibt für mich sehr viele und-Assoziationen in dem Bild.

Du hast in einem Interview erzählt, dass du gerade an einer Reihe von Kurzfilmen schneidest. Was sind das für Filme?
Ich habe viel gedreht im Jahr 2020, eine Idee kam zur anderen. Es werden also mehrere Kurzfilme werden. Und auch hier taucht er wieder auf, der Mikrokosmos meines direkten Umfelds. Es soll eine kleine Reihe von Filmen werden, die mehr oder minder mit Corona und dem Zurückgeworfen-sein auf den eigenen Mikrokosmos zu tun haben.

Zum Schluss noch ein ganz anderes Thema: Du warst in deiner Schulzeit ein paar Jahre im Chor des Görres-Gymnasiums, ihr seid durch ganz Europa getourt. Was hast du davon mitgenommen?
Unser Schulchor hat gemeinsam mit dem Chor von St. Andreas viele Bach-Werke aufgeführt. Mir ging es beim Chor allerdings vor allem um das Gemeinschaftliche, darum, Zeit mit Schulfreund:innen zu verbringen, darum, die Mädchen aus der Parallelklasse kennenzulernen, und dann später auch darum, auf den Chorfahrten mal für zwei Wochen von den Eltern wegzukommen und trinken und feiern zu können. Die Musik hätte ich damals nicht als Motiv genannt. Aber jetzt, 40 Jahre später, merke ich, wie tief sich zum Beispiel Bach in meine Seele gefressen hat. Ich würde heute ganz andere Musik machen ohne diesen Chor. Die eben erwähnten Stellen auf meinem Album, die schmerzen sollen, habe ich dort kennengelernt und sie wirken fort. Und vielleicht hätte ich ohne Bach auch keinen lateinischen Albumtitel ausgewählt.

„et“ von Tom Blankenberg erscheint am 16. April bei Less Records.

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