Der Fotograf Markus Hoffmann hat die Motive für seinen jüngst erschienenen Bildband direkt vor seiner Haustür gefunden: am Niederrhein. Das 116 Seiten starke Buch „Zwischen den großen Städten“ zeigt 63 Aufnahmen aus der Region. Dabei interessieren Hoffmann eher die Ortschaften als die Landschaft. theycallitkleinparis hat mit dem 54-Jährigen gesprochen.
Markus, du hast 45 Jahre in Düsseldorf gelebt. Vor zehn Jahren bist du nach Meerbusch gezogen. Was hat dich dorthin verschlagen?
Schon ohne Kinder fanden wir die Stadt irgendwann voll und anstrengend. Mit den Kindern verstärkte sich der Wunsch nach einem entschleunigteren und beschaulicheren Ort und diesen haben wir in Meerbusch-Osterath gefunden. Uns erschien auch das Leben für unsere Kinder im ländlicheren Umfeld kindgerechter. Wir hatten erst großen Respekt vor der Entscheidung, haben uns dann aber schnell gefragt, warum wir diesen Schritt nicht schon viel früher gegangen sind. Du bist hier näher an den Jahreszeiten und bekommst zum Beispiel hautnah mit, wenn die Bauern die Heuernte hereinfahren oder den Spargel stechen. Du hörst die Kirchenglocken und samstags natürlich alle Rasenmäher deiner Nachbarn. Die Kinder spielen auf der Straße. Der Asphalt riecht im Sommer wie früher in den Siebziger Jahren. Und du hast diesen herrlichen weiten Himmel, den du in der Stadt nicht hast.
Wie würdest du jemandem, der die Region nicht kennt, den Niederrhein und die Niederrheiner beschreiben?
Ich denke, es braucht Zeit, den Niederrhein zu entdecken und sich auf ihn einzulassen. Aber dann lässt er einen nicht mehr los, da er so schön und vielfältig ist. Es überrascht mich immer, dass die meisten den Niederrhein mit plattem Land in Verbindung bringen. Dem ist gar nicht so. Es gibt wunderbare Anhöhen, Moorlandschaften, zahlreiche Seen, dichte Wälder und dazwischen diese unzähligen kleinen Dörfer und natürlich den Rhein, der den Großteil der Region verbindet. Der Niederrhein zeigt sich dann als Idyll. Wenn der Rhein allerdings Hochwasser hat und der Nebel über dem Land liegt, präsentiert sich der Niederrhein von seiner rauen, kalten Seite. So ähnlich schätze ich auch die Niederrheiner ein: Du brauchst etwas, um an sie heranzukommen. Und dann schließen sie dich in ihre Arme. Sie haben – wie die Landschaft, in der sie leben – ein sonniges Gemüt mit einem leichten Hang zur Melancholie.
Menschen fotografieren in aller Regel besonders viel, wenn sie an dem Vernehmen nach „besonderen“ Orten sind. Orte, an die sie extra gereist sind. Orte, die weit entfernt von ihrer alltäglichen Umgebung sind und sich von der Heimat möglichst stark unterscheiden. Du hast für deinen neuen Bildband „Zwischen den großen Städten“ direkt vor deiner Haustür fotografiert, in kleinen Ortschaften am Niederrhein. Warum gerade dort?
Weil die Dinge, um die es mir geht und mit denen ich mich thematisch beschäftige, schon ganz nah zu finden sind. Wir müssen sie nur sehen und Antennen dafür entwickeln. Vor meiner Haustüre zu fotografieren bedeutet für mich auch Identifikation mit der eigenen Heimat, meinem Zuhause. Es geht auch um Erinnerungen an die eigene Vergangenheit und die Auseinandersetzung damit.
Du schreibst im Vorwort, du magst diese Orte, weil du sie als ehrlich empfindest. Kannst du das ein bisschen näher erläutern?
Mit ehrlich meine ich so etwas wie unverfälscht und geradeaus. Die Struktur eines Dorfes oder Kleinstadt bedingt schon, dass du näher an die Menschen herankommst. Die Gemeinschaften sind kleiner, wie ein Mikrokosmos. Jeder kennt jeden und jeder ist über jeden informiert. Man trifft sich sonntags zur Messe, zum Schützen- oder Dorffest. Auf dem Land gibt es weniger Fassaden, im doppelten Sinne, als in der Stadt, deshalb ist alles sichtbarer und spürbarer. In der Stadt dagegen bleibt vieles hinter Fassaden verborgen und kommt nicht zum Vorschein.
Deine Aufnahmen kommen komplett ohne Menschen aus. Trotzdem erzählen sie viel über Menschen, zum Beispiel darüber, wie Menschen versuchen, sich durch Individualität von anderen abzugrenzen. Welche sind die kleinen Details, die dich als Fotograf in dem Zusammenhang interessieren?
Ich suche die Fingerabdrücke der Menschen und ich finde sie in den Dingen, die sie mir mitteilen. Das können Vorgärten und geschmückte Hauseingänge sein, aber auch Spuren struktureller Veränderungen in den Dörfern und Gemeinden.
Wie muss man sich deine Arbeitsweise konkret vorstellen. Hast du jeweils einen Ort gezielt angefahren, um dort zu fotografieren? Oder ziehst du eher ohne konkretes Ziel los und lässt die Motive dich finden?
Bei mir findet beides statt. Da ich häufig eine Kamera dabei habe, sind viele Aufnahmen bereits bei Ausflügen entstanden. Dann bin ich auch gezielt in bestimmte Regionen gefahren, um diese auf mich wirken zu lassen. Sehr viele Ortschaften waren mir bereits bekannt. Es gab aber auch zahlreiche, die ich noch nicht kannte und die mich neugierig gemacht haben. Auch wenn das Projekt abgeschlossen ist, entdecke ich immer wieder neue Winkel und Ecken, die ich noch besuchen möchte. Vielleicht gibt es ja irgendwann eine Fortsetzung des Buches.
Hast du als Fotograf einen Ort am Niederrhein gefunden, der für dich besonders spannend und ergiebig war?
Jeder Ort hatte seine Besonderheiten. Heute muss ich feststellen, dass der Zeitrahmen, der mir für dieses Buch zur Verfügung stand, zu knapp war, um wirklich den gesamten Niederrhein zu erfassen. Was mir allerdings stark in Erinnerung geblieben ist, ist der Ort Hochneukirch (Jüchen) im Rhein-Kreis Neuss. Dort führt eine Straße unmittelbar aus dem Ort hinaus an die Kante des gewaltigen Braunkohle-Tagebaus. An dem Tag, an dem ich dort war, war es sehr windig und Sand und Staub zogen durch die tiefen Täler des Tagebaus. Es war eine sehr seltsame, fast schwermütige Stimmung, die ich später im Ort auch nicht ablegen konnte. Es hatte so etwas von Endlichkeit – etwas Unaufhaltsames, was sich über den Ort zu legen schien.
Welche Aufnahme in dem Buch ist deinem Wohnort am nächsten?
Das nächstgelegene Motiv ist der Hausgiebel mit der leicht verwitterten Aufschrift „Mit der Zeit gehen … Sparkasse Neuss“. Ich brauchte etwas, um die Zweideutigkeit dieses Satzes zu erkennen, obwohl er circa 20 Meter von meinem Atelier entfernt hoch über einem Parkplatz prangt.
Erfährt der Betrachter, welche Aufnahme wo entstanden ist?
Ja, ich nenne jeweils den Bildtitel und den Ort der Aufnahme.
Wo hast du das Titelmotiv aufgenommen?
Es ist am Ortsrand von Willich nahe Schiefbahn entstanden.
Auf dem Bild wehen gleich drei Deutschlandfahnen. Das passt im Moment ganz gut wegen der laufenden Fußball-EM. Ich vermute aber mal, dass du es nicht während eines Turniers aufgenommen hast. Warum hast du gerade dieses Motiv für den Titel ausgesucht?
Nein, die Fahnen wehen fast immer dort. Es gab zum Zeitpunkt der Aufnahme auch keinen besonderen Anlass. Für den Titel hätte es allerdings auch jedes andere Motiv aus dem Buch sein können. Ich habe mich dennoch für dieses Motiv entschieden, weil es eine Art ländliche Idylle zeigt – die kleine unbefestigte Straße, die Mülltonnen am Straßenrand, die Überlandleitungen und die Fahnen, die wie auf einem Campingplatz die Parzellen der Anwohner markieren. Es geht mir am Ende aber nicht darum, etwas zu bewerten. Auch geht es mir nicht darum, was ich auf den Bildern zeige, sondern, was die Menschen beim Betrachten meiner Bilder selbst sehen. Ich möchte den Betrachter in einen Dialog mit meinen Bildern treten lassen.
Das Buch kostet 40 Euro bzw. 65 Euro mit einem Print des Fotos „Hurensohn“. Es ist hier zu bestellen. Während der Sommerferien werden allerdings keine Bücher versendet.