Helmut Schneider (Bündnis für bezahlbaren Wohnraum) im Interview – „Die Kluft zwischen Arm und Reich ist in Düsseldorf ziemlich groß“ (1)

Auf dem Düsseldorfer Immobilienmarkt ist schon seit geraumer Zeit vieles im Argen. Die Stadt hat es bisher nicht geschafft, gierige Investoren in ihre Schranken zu verweisen. Das Bündnis für bezahlbaren Wohnraum möchte betroffene Mieter:innen befähigen, sich selbst gegen Ungerechtigkeiten auf dem Wohnungsmarkt zur Wehr zu setzen. theycallitkleinparis hat mit einem der Mitstreiter:innen, mit Helmut Schneider, gesprochen.

Helmut, seit wann gibt es das „Bündnis für bezahlbaren Wohnraum“?
In der jetzigen Form gibt es das Bündnis seit Anfang 2019. Es gab aber schon vor einigen Jahren einen Vorläufer.

Wer sind eure Mitstreiter:innen?
Den aktiven Kern bilden vielleicht 15 bis 20 Personen, zu bestimmten Anlässen oder Aktionen kommen aber auch schon mal 100 bis 150 zusammen. Im Bündnis engagieren sich Einzelpersonen, von denen sind aber viele auch Mitglieder in anderen Initiativen, Gruppierungen, zum Beispiel bei fiftyfifty und attac oder auch in politischen Parteien. Wichtig ist uns, dass Parteimitglieder nicht als Vertreter ihrer Parteien auftreten. Wir verstehen uns als parteiunabhängig, aber keineswegs als unpolitisch.

Wie stellt sich die Situation auf dem Düsseldorfer Immobilienmarkt dar?
Seit 2008 strömt in großem Umfang Investitionskapital in die großen Städte, auch nach Düsseldorf. Die Stadt ist mittlerweile für Investoren der viertwichtigste Standort in Deutschland. Und das treibt die Preise nach oben. Zunächst mal bei Grundstücken, dann bei Neubauten, aber in der Folge auch beim Wohnungsbestand. Wir haben das, was da entsteht, einen spekulativen Erwartungshorizont genannt. Das funktioniert ähnlich wie an der Börse: Investoren, die Grundstücke kaufen oder weiterverkaufen, haben eine bestimmte, auf zukünftige Entwicklungen gerichtete Erwartungshaltung, was die Höhe von Preisen und Renditen betrifft. Und diese Erwartungen sind immer weiter nach oben gegangen. Das hat eben auch Auswirkungen auf den Wohnungsbestand. Viele Eigentümer:innen denken: Wenn der Nachbar höhere Renditen realisieren kann, dann kann ich das auch. Investoren machen gezielt Hauseigentümer:innen Angebote, die sie nicht ablehnen können. Viele Eigentümer:innen sind schon älter und die Summen, die ihnen angeboten werden, sind oft jenseits von dem, was sie sich jemals vorstellen konnten. Wenn dann erst mal verkauft ist, fangen meist die Schwierigkeiten an.

Welche Aktionen habt ihr als Bündnis bisher realisiert?
Wir haben uns zunächst mal lange darüber unterhalten, wie wir uns selbst verstehen wollen. Ein wichtiges Ergebnis war: Wir wollen nicht stellvertretend für Betroffene irgendetwas machen. Wir sind keine Gewerkschaft, sondern möchten Betroffene vielmehr ermutigen, befähigen, unterstützen, sich selbst gegen Ungerechtigkeiten auf dem Wohnungsmarkt zu wehren.
Die erste Aktion, die wir realisiert haben, war in erster Linie von fiftyfifty getragen. Es ging um ein Haus auf der Lessingstraße, in dem ehemalige Obdachlose wohnten und das einer kirchlichen Gruppe gehörte. Die musste es verkaufen – und damit gingen die Probleme los. Der neue Eigentümer war ein Berliner Immobilienunternehmen. Das hat die Wohnungen mit ziemlich rabiaten Methoden in Eigentumswohnungen umgewandelt. Die Bewohner sie dadurch losgeworden, dass sie mit dem Umbau begonnen haben, während noch Mieter im Haus wohnten. Diese Vorgehensweise wird von Immobilienbesitzer:innen übrigens immer häufiger angewendet. Auch die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen ist in Düsseldorf ein gängiges Geschäftsmodell.
Generell greifen wir als Bündnis exemplarisch Fälle auf, von denen wir denken, dass sie keine Einzelfälle sind. Wir stellen Öffentlichkeit her und bemühen uns, die Betroffenen zu ermutigen, sich zur Wehr zu setzen. Dazu gehört auch, dass man selbst dazu bereit ist, sich öffentlich zu äußern. Wir weisen auf die Missstände hin, erklären die Hintergründe. Aber wir können uns natürlich nicht um alles kümmern.

Wie würdet ihr „bezahlbar“ genau definieren?
Das ist eine ganz wichtige Frage. Es gibt eine Erfahrungsgröße, von der man auch in anderen Ländern ausgeht: Ein Haushalt sollte nicht mehr als ein Drittel seines Nettoeinkommens für das Wohnen, gemeint ist hier die Warmmiete, ausgeben. Wenn es mehr ist, ist die Wohnung zu teuer, weil die betreffenden Haushalte dann Einsparungen bei ihrer sonstigen Lebensführung machen müssen.

Und wie viele Menschen in Düsseldorf zahlen mehr als diese 30 Prozent?
Das ist in allen Großstädten, auch in Düsseldorf ziemlich dramatisch. Laut der letzten Studie der Hans-Böckler-Stiftung, für die sie 77 Städte in ganz Deutschland untersucht haben, wohnen 60 Prozent aller Miethaushalte hier in der Stadt entweder zu teuer oder sie müssen mit zu kleinen Wohnungen vorliebnehmen. Wenn fünf Menschen in einer Zweizimmerwohnung wohnen müssen, dann mag die vielleicht, was den Preis angeht, bezahlbar sein. Trotzdem ist sie den Bedürfnissen der Menschen natürlich nicht angemessen. Davon betroffen sind 130.000 Haushalte in Düsseldorf, die in zu teuren oder zu kleinen Wohnungen leben. Das ist gewaltig.

Wie viele Mietwohnungen gibt es insgesamt in der Stadt?
Es gibt insgesamt ungefähr 358.000 Wohnungen in Düsseldorf, davon sind rund 75 Prozent Mietwohnungen, das sind circa 270.000. Die Mehrheit der Düsseldorfer:innen wohnt also zur Miete.

Helmut Schneider, Foto: Markus Luigs

Und wie hoch ist die durchschnittliche Quadratmetermiete derzeit in Düsseldorf?
Im Wohnungsbestand liegt die Durchschnittsmiete derzeit bei 10,29 Euro pro Quadratmeter, aber das kann je nach Lage stark variieren. Bei Neubauwohnungen sind im Schnitt 13,20 Euro zu zahlen, es können aber in Einzelfällen auch schon mal 15 Euro und mehr sein. In öffentlich geförderten oder Sozialwohnungen zahlt man für die Miete ab 6 Euro pro Quadratmeter aufwärts bis zu einer gesetzlich festgelegten Obergrenze.

Lass uns zunächst mal über Sozialwohnungen sprechen, das ist ja vermutlich der günstigste Wohnraum, der in der Stadt zur Verfügung steht. Um eine solche Wohnungen zu bekommen, braucht man einen sogenannten Wohnberechtigungsschein. Wer hat darauf Anspruch?
Ungefähr die Hälfte der Haushalte, die in Düsseldorf zur Miete wohnen, hat Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein. Ob die Voraussetzungen dafür vorliegen, wird vom Wohnungsamt geprüft. Wichtig ist dabei, dass man als Haushalt eine bestimmte Einkommensgrenze nicht überschreiten darf: In Düsseldorf liegt die zum Beispiel für eine Kleinfamilie mit zwei Erwachsenen und einem Kind bei jährlich 24.000 Euro. Leider gibt es einen großen Haken: Mit dem Wohnberechtigungsschein ist kein gesetzlicher Anspruch auf eine Sozialwohnung verbunden. Und man muss sich selbst auf die Suche nach einer der wenigen gerade freien Sozialwohnungen machen. Viele verzichten deswegen ganz darauf, überhaupt einen Wohnberechtigungsschein zu beantragen.

Wie erklärst du dir, dass der Prozentsatz der Haushalte, die Anspruch auf eine Sozialwohnung haben, so hoch ist? Düsseldorf ist eine prosperierende Stadt. Das Bruttosozialprodukt pro Kopf ist hier doppelt so hoch wie im NRW-Durchschnitt.
Düsseldorf ist eine reiche Stadt, das stimmt. Aber es ist eben auch eine sozial gespaltene Stadt. Es gibt in Düsseldorf auch arme Menschen, Menschen mit unterdurchschnittlichen Einkommen. Das wird oft übersehen. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist in Düsseldorf ziemlich groß, auch wenn darüber selten gesprochen wird.

Wie viele Sozialwohnungen stehen in Düsseldorf zur Verfügung? Und wie viele bräuchte es eigentlich?
Es gibt in Düsseldorf (Stand 2019) 15.513 Sozialwohnungen, das sind aber nur ungefähr 4,4 Prozent aller Wohnungen in der Stadt. Wie erwähnt, hat aber ungefähr die Hälfte aller Haushalte, die zur Miete wohnen, einen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein, das sind ungefähr 135.000 Haushalte. Das geradezu lächerlich geringe Angebot an Sozialwohnungen wird also diesem großen Bedarf bei Weitem nicht gerecht.

Verteilen sich diese Sozialwohnungen gleichmäßig über die Stadt?
Nein, natürlich nicht. Die Zahl der Sozialwohnungen variiert mit der Einkommensverteilung zwischen den Stadtteilen. In Garath und Hassels wohnen mehr Menschen mit geringen Einkommen als zum Beispiel in Oberkassel. Dementsprechend findet man in diesen Stadtteilen auch mehr Sozialwohnungen, weil dort ein größerer Bedarf herrscht. Es müsste aber nach unserer Meinung eine stärkere Durchmischung geben. Das Bündnis für bezahlbaren Wohnraum hat als Ziel formuliert, dass in jedem Stadtteil mindestens 30 Prozent sämtlicher Mietwohnungen Sozialwohnungen sein sollten. Das ist natürlich ein Fernziel. Bis das erreicht ist, könnte es ziemlich lange dauern. Wenn man es überhaupt jemals erreicht.

Wie hat sich die Anzahl der Sozialwohnungen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten entwickelt?
Der Anteil sinkt kontinuierlich. Es entstehen viel zu wenige neue Sozialwohnungen. Sozialwohnungen werden ja gefördert, vom Land und vom Bund. Durch vergünstigte Kredite oder Zinsvergünstigungen für die Investoren zum Beispiel. Für die Mieten gilt deswegen eine Obergrenze. Diese Mietbindung ist aber zeitlich befristet. Das waren bisher 15 bis 20 Jahre, seit letztem Jahr wurde in NRW diese Frist auf 30 Jahre erweitert. Das Problem ist: Nach Ablauf dieser Frist fallen die Wohnungen aus der Sozialbindung heraus und können zu den Preisen angeboten werden, die der Markt hergibt. Bis zum Jahr 2029 verliert Düsseldorf auf diese Weise 8.000 Sozialwohnungen. Wenn die Stadt nur diesen Verlust ausgleichen wollte, müsste sie jedes Jahr ungefähr 800 neue Sozialwohnungen schaffen.

Und wie viele entstehen tatsächlich?
Von 2014 bis 2019 waren es im Schnitt 413 pro Jahr, in einzelnen Jahren auch nur 150 oder 250. Es werden also durchaus Sozialwohnungen gebaut, aber eben viel zu wenig. Wenn es bei diesem Tempo bleibt, lässt sich nicht verhindern, dass der Anteil der Sozialwohnungen am Wohnungsbestand weiter sinken wird.

Wer sind die Träger der Sozialwohnungen?
Das sind zum einen die Genossenschaften und zum anderen die SWD, die städtische Wohnungsgesellschaft, die halten zusammen aber nur rund 8 Prozent des Wohnungsbestandes, und das sind zudem auch nicht nur bezahlbare Wohnungen. Hinzu kommen die Investoren, die durch das „Handlungskonzept Wohnen“ bei Neubauvorhaben verpflichtet sind, einen bestimmten Anteil für Sozialwohnungen vorzusehen. Übrigens denken auch Investoren mittlerweile immer häufiger darüber nach, einen Teil ihres Investments in Sozialwohnungen anzulegen. So haben sie nämlich die garantierte Miete und wissen trotzdem, dass sie nach Ablauf der Bindungsfrist die Mieten drastisch erhöhen können.

Teil 2 des Interviews folgt in Kürze.

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