Markus Ambach hat in den Jahren 2017 und 2018 im Düsseldorfer Bahnhofsviertel das Projekt „Von fremden Ländern in eigenen Städten“ organisiert. Seit dessen Abschluss recherchiert der Künstler zur Graf-Adolf-Straße. Bevor 2024 ein umfangreiches Ausstellungsprojekt rund um den Boulevard im öffentlichen Raum startet, findet zwischen dem 24. September und 24. Oktober zunächst mal der sogenannte Prolog statt. Zehn Veranstaltungen hat Ambach dafür vorgesehen, darunter Stadtrundgänge, Lesungen und Performances. theycallitkleinparis hat mit Markus Ambach gesprochen.
Markus, wie würdest du jemandem, der sie nicht kennt, die Graf-Adolf-Straße beschreiben?
Die Graf-Adolf-Straße ist ein sehr heterogenes Raumgeflecht. Auf der Straße gibt es unterschiedliche Abschnitte, die sich sehr stark voneinander unterscheiden. Das reicht von sozial eher problematischen Räumen wie dem Stresemannplatz bis hin zu Luxuslagen an der Kreuzung zur Königsallee. Früher war die Straße eine klassische Magistrale, die vom Bahnhof bis zum Rhein führte. Durch die Verkehrspolitik der Sechziger Jahre, Stichwort autogerechte Stadt, wurde sie dann stark fragmentiert. Heute ist sie in erster Linie eine Hauptverkehrsachse.
Wie kam es dazu, dass du dich als Künstler mit der Straße beschäftigt hast?
Ich fand den Kontrast zum Bahnhofsviertel, in dem wir ja 2018 gearbeitet haben und in dem sie beginnt, schon immer spannend. In dem Fall ist die ISG Graf-Adolf-Straße auf mich zugekommen, die Immobilien- und Standortgemeinschaft Graf-Adolf-Straße, die bereits Teil des MAP-Projekts „Von fremden Ländern in eigenen Städten“, das wir in den Jahren 2017 und 2018 im Düsseldorfer Bahnhofsviertel realisiert haben. Auf die Anfrage der ISG hin habe ich mir den Raum Graf-Adolf-Straße genauer angeschaut – und im Anschluss entschieden, dass es eine spannende Fortsetzung dessen ist, was wir im Bahnhofsviertel mit dem Vorgängerprojekt bereits begonnen hatten – eine Auseinandersetzung mit sehr heterogenen Stadträumen. Mich interessierten dabei unter anderem die Fragen: Wie organisiert sich ein bürgerlicher Boulevard? Was hat er heute für eine Bedeutung? Wie zeigt sich bürgerschaftliches Engagement in einer Stadt?
Seit wann laufen die Recherchen für das Projekt?
Die Recherchen haben unmittelbar nach dem Bahnhofsprojekt angefangen, im Jahr 2018. Mir ist es grundsätzlich wichtig, eine lange Vorbereitungszeit zu haben, damit ich mich langsam an den Stadtraum herantasten kann.
Wie gehst du bei der Arbeit konkret vor?
Zunächst mal erkunde ich den Ort zu Fuß. Die Graf-Adolf-Straße bin ich immer wieder hoch und runter gelaufen. Zu verschiedenen Tageszeiten, zu verschiedenen Jahreszeiten. Über eine ganz normale Alltagspraxis ergibt sich ein Verhältnis zu den Menschen, die den entsprechenden Raum bewohnen, dort arbeiten oder sich aufhalten. Über einen längeren Zeitraum entwickelt sich ein immer dichteres Geflecht. Wie handeln Menschen in bestimmten Räumen? Das ist ja eine unserer zentralen Fragen. Die konkreten Themen spezifizieren sich oft durch Zufälle. Wen trifft man auf der Straße? Während der Pandemie war die Kontaktaufnahme natürlich oft schwierig.
Wer oder was kann Teil des Projekts werden?
Im Fall der Graf-Adolf-Straße können es zum Beispiel Gastronomen sein, Einzelhändler, aber auch Kulturinstitutionen wie das K21, das Atelier-Kino oder das Heinrich-Heine-Institut. Aber auch verborgene Orte wie das Globus Kino – ein merkwürdiges Porno-Kino in direkter Bahnhofsnähe – interessieren mich sehr. Bisher habe ich den Betreiber des Globus Kinos noch nicht getroffen. Das möchte ich aber auf jeden Fall noch nachholen.
Du hast mit vielen Menschen über die Graf-Adolf-Straße gesprochen. Welches Meinungsbild hat sich dabei ergeben?
Die Meinungen sind sehr unterschiedlich und hängen stark vom jeweiligen Straßenabschnitt ab. Der vordere Teil zwischen Harkortstraße und Stresemannplatz ist ja verkehrsberuhigt, hat fast schon den Charakter einer Fußgängerzone. Dieses Stück müsste meiner Meinung nach komplett neu gedacht werden – und zwar zusammen mit dem Konrad-Adenauer-Platz. Das scheint die Stadtplanung aber noch nicht erkannt zu haben. Ein harter Bruch ist dann der Stresemannplatz mit der dort ansässigen Notschlafstelle. Deren Klientel trifft sich auch auf dem Platz und vor der ehemaligen Tankstelle, was für die umliegenden Geschäftsleute natürlich ein Problem darstellt. Trotzdem hat der Platz, mit den Palmen von Tita Giese, aus meiner Sicht viel Potenzial. Wir sollten dahin kommen, dass wir Heterogenität und Widersprüchlichkeit nicht immer negativ bewerten. Kein Mensch möchte in einer Gated Community leben! Die Stadt gehört nun mal allen. Den Hotel- und Cafébetreibern, aber auch den Wohnungslosen. So muss man das denken. Ich möchte jetzt nicht sagen, das ist eine Chance, das ist mir zu abgegriffen. Aber es ist vielleicht die einzige Möglichkeit, Innenstädte zu regenerieren. Hinter dem Stresemannplatz dominiert der Verkehr die Graf-Adolf-Straße. Die Bürgersteige sind im Verhältnis zur Fahrbahn viel zu schmal. Dieses Stück hat wenig Aufenthaltsqualität. Da müsste man mal über andere Konzepte nachdenken. Parkplätze zu Restaurant-Terrassen umfunktionieren zum Beispiel. Das ist ja während der Corona-Zeit schon vielerorts passiert – und hat die Stadt zum Positiven hin verändert.
Welche Erkenntnis, die deine Recherchen zutage gebracht haben, hat dich besonders überrascht?
Überraschungen gibt es bei solchen Projekten immer. Im Fall der Graf-Adolf-Straße hat mich überrascht, wie viele kleine Plätze es gibt. Zum Beispiel den an der Bahnstraße Ecke Graf-Adolf-Straße. Dort habe ich ein kulinarisches Dreieck ausgemacht. An der Ecke ist das Sila Thai. Auf der Bahnstraße das Tsun Gai, ein legendärer Dim-Sum-Laden. In direkter Nähe gibt es ein indisches Restaurant mit angeschlossener Kochschule, ein uigurisches Restaurant und das Finanzämtche. Und am unteren Ende der Bahnstraße dann Zurheide. Es existiert also auf sehr engem Raum sehr viel Unterschiedliches. Dazu gehört auch die erste McDonalds-Filiale in Düsseldorf, an der Oststraße Ecke Graf-Adolf-Straße. Da waren wir auch drin, die Räume stehen ja seit einiger Zeit leer. In der oberen Etage finden sich noch Wandmalereien aus dem Brauhaus, das hier vor der McDonalds-Eröffnung einmal ansässig war. Ein sehr spannender Ort.
Macht es für dich als Künstler eigentlich einen Unterschied, ob du in und mit der eigenen Stadt arbeitest oder in einer dir zunächst fremden?
Das macht natürlich einen Unterschied. Das habe ich beim Bahnhofsprojekt gemerkt. Ich habe ja in der Vergangenheit auch viel im Ruhrgebiet gearbeitet. Da kam ich abends aus dem Raum raus, mit dem ich mich beschäftigte. Beim aktuellen Projekt ist das anders. Ich lebe gleichzeitig in dem Raum, zu dem ich arbeite. Dementsprechend trifft man natürlich auch dauernd jemanden. Am Anfang war ich, was das angeht, ein bisschen skeptisch. Mittlerweile empfinde ich es aber als angenehm. Die Umgebung funktioniert ein bisschen wie ein Dorf. Generell finde ich das lokale Arbeiten unglaublich wichtig. Bei unserer Arbeit geht es immer um das Thema „Lokales Wissen“. Das, was die Leute vor Ort in einer unglaublichen Detailgenauigkeit wissen, kann niemand von außen generieren. Man kann es nur finden. Und das braucht Zeit. Die nehmen wir uns.
Ähnlich wie bei deinem Projekt „Von fremden Ländern in eigenen Städten“ ist auch „Eine Straße“ zweigeteilt. Zwischen dem 24. September und 24. Oktober 2021 findet zunächst der Prolog statt. Was erwartet die Besucher programmatisch?
In diesem Herbst machen wir insgesamt zehn Veranstaltungen. Da sind Lesungen dabei, aber auch Konzerte und Stadtrundgänge. Barbara Kempnich von der Bahnhofsmission wird beispielsweise einen Rundgang zur „Heimat Graf-Adolf-Straße“ machen. Dirk Sauerborn lädt unter dem Titel „Zeugnisse der Demokratie – Von Legalisierung und Exekutive“ zu einem kritischen Rundgang durchs Regierungsviertel ein. Außerdem werden wir im GAP15, hoch über den Dächern der Stadt, gemeinsam mit Clara Gerlach, Miriam Koch, Mischa Kuball und anderen über „Die Zukunft der Innenstädte“ diskutieren. Die Nachfrage nach Plätzen für die Veranstaltungen ist schon ziemlich hoch. Wer kommen möchte, sollte sich also schnell anmelden. Sämtliche Veranstaltungen des Prologs sind nämlich nur nach Anmeldung zu besuchen.
2024 folgt dann ein umfangreiches Ausstellungsprojekt im öffentlichen Raum. Was kannst du zu Künstlern und Arbeiten schon verraten?
Noch gar nicht so wahnsinnig viel, zumal unser Budget natürlich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht feststeht. Ich gehe aber davon aus, dass es ähnlich hoch ausfallen wird wie bei „Von fremden Ländern in eigenen Städten“. Damals hatten wir insgesamt 800.000 Euro zur Verfügung. Mischa Kuball wird ein Projekt entwickeln, dass sich mit einem Gebäudeensemble auf der Kasernenstraße beschäftigt, und ebenda jenem Ort, an dem früher die jüdische Synagoge stand. An die erinnert heute nur noch ein kaum wahrgenommenes Denkmal. Alexandra Birken, die ich sehr schätze, wird ebenfalls beteiligt sein. Und Mira Mann, eine junge Düsseldorfer Künstlerin. Mira möchte hinterfragen, wie eine jüngere Generation mit Schwerpunkt auf der LGBTQ-Szene über den Heimatbegriff denkt.
Derzeit wird viel gesprochen über die Zukunft der Innenstädte. Corona hat den Trend, der ohnehin schon bestand, beschleunigt. Der Handel verlagert sich ins Digitale, die Innenstädte drohen zu verwaisen. Was braucht es deiner Meinung nach, um sie neu zu beleben?
Ich höre in dem Zusammenhang immer wieder die Frage: Wie können wir den lokalen Einzelhandel wieder ankurbeln? Die stellt sich aus meiner Sicht gar nicht mehr, der Zug ist längst abgefahren. Wir müssen diese Problematik ganz neu denken, uns von einer rein ökonomischen Nutzung der Innenstädte verabschieden. Es war ja schon vor Corona klar, dass es sich, bedingt durch digitale Einkaufsmöglichkeiten, für viele nicht mehr lohnen wird, ein Ladenlokal zu unterhalten. Durch die Pandemie ist diese Entwicklung zusätzlich beschleunigt worden. Nun stellt sich also die Frage: Wie kann man die Innenstadt wieder heterogenisieren und zu einem komplexen Lebensraum der ganzen Stadtgesellschaft machen? Und dazu gehört nun mal nicht nur Shoppen, sondern auch Kultur, Arbeit und Wohnen . Gerade was letzteres angeht, bietet die Graf-Adolf-Straße viele Möglichkeiten, weil es dort immer noch viel Wohnraum gibt. Die Stadt muss sich überlegen, wie sie deökonomisierte Räume wieder für soziale Gemeinschaften öffnet. Für kollaborative Projekte, für nicht-kommerzielle Projekte. Es reicht keinesfalls, Künstler in leere Ladenlokale zu setzen. Das könnte höchstens ein Element sein.
Was kann ein Projekt wie „Eine Straße“ bewirken, im Hinblick auf Politik und Stadtplanung?
Da muss ich meiner Enttäuschung mal Luft machen. Wir als MAP haben unsere größten Projekte häufig gemeinsam mit Stadtplanungsämtern realisiert. Bestes Beispiel ist „B1A40 – Die Schönheit der großen Straße“. Da sind die Ergebnisse unserer künstlerischen Arbeit in die Stadtplanung eingeflossen. In Düsseldorf hat das bisher leider gar nicht funktioniert. Dabei ließe sich das lokale Wissen, das wir mit unseren Projekten sichtbar machen, übersetzen in einen regionalen, überregionalen, nationalen, internationalen Maßstab. Wir könnten daraus viel lernen darüber, wie wir in Zukunft Städte so entwickeln, dass sie gemeinwohlorientiert funktionieren. Im Vorfeld des Projekts „Von fremden Ländern in eigenen Städten“ haben wir im Auftrag des Stadtplanungsamts eine Studie von 150 Seiten über das Bahnhofsviertel erstellt. Diese Studie liegt vermutlich immer noch in einer Schublade im Planungsamt – und zwar ungelesen. Im Projekt selbst haben wir dann sehr viel aufgezeigt. Davon ist in die Stadtplanung nichts übergegangen. Wir machen trotzdem weiter. Das hält uns natürlich von nichts ab, zeigt aber, wie schlecht hier in Düsseldorf der interdisziplinäre Austausch funktioniert.
Welche Rolle kann Kultur bei Stadtentwicklungsprozessen spielen?
Die Kultur kann die sozialen Probleme an Orten wie der Graf-Adolf-Straße nicht lösen, das ist Quatsch. Kultur kann mit ihren Mitteln, als ein Teil dieser Gesellschaft, einen Teil dazu beitragen. Das ist es, was viele Akteure, viele Engagierte hier in der Stadt machen. Aber die Stadtplanung und die Politik müssen darauf reagieren. Und wenn sie das nicht machen, so wie das im Moment der Fall ist, dann wird sich auch nichts Wesentliches ändern.
Wo siehst du die Graf-Adolf-Straße in zehn Jahren?
Ich bin ja grundsätzlich ein sehr positiv denkender Mensch. Aber im Moment stelle ich mir die Frage, ob wir in zehn Jahren überhaupt noch über die Graf-Adolf-Straße sprechen oder ob uns die Klimakatastrophe dann derart in Atem hält, dass wir uns mit nichts anderem mehr beschäftigen können. Da bin ich ziemlich skeptisch, dass das Ruder noch rumgerissen wird. Ansonsten setze ich persönlich immer auf Eigenengagement. Das habe ich in meinem Leben immer so gehalten. Wäre ich noch Künstler im klassischen Sinne, dann würde ich heute noch darauf warten, dass ein Galerist oder sonst wer mich abholt. Ich habe aber relativ früh erkannt, dass das wahrscheinlich nicht passieren wird. Selbst aktiv zu werden, ist das Beste, was jedem bleibt. Du kannst immer selbst handeln. Und, ganz wichtig, du kannst auch ohne Raum-Besitz handeln. Es ist erstaunlich, zu sehen, wie Menschen, die vergleichsweise wenig haben, die Kultur der Praxis perfektioniert haben. Weil das ihr Alltag ist. Wenn ich reich bin, gehe ich ins Restaurant. Wenn ich arm bin, muss ich schauen, wie ich aus der Kartoffel etwas Gutes mache. Das war immer kreativer, als viel Geld für etwas auszugeben. Hier in Düsseldorf gibt es sehr viele Menschen, die sich in diesem Sinne engagieren und selbst aktiv werden. Das stimmt mich dann doch weiterhin positiv.
Eine Straße. Die Zukunft der Innenstädte am Beispiel der Graf-Adolf-Straße, Prolog: 24.9. bis 24.10., das komplette Programm gibt es hier.