Marco Fuligni im Interview – „Im Mittelpunkt steht das Machen von Kunst“

Ein ehemaliges Autohaus in Lierenfeld gewährt seit rund acht Monaten Künstler:innen und Kunst Asyl. Das Projekt ES365, kurz für Erkrather Straße 365, dürfte derzeit Düsseldorfs größte Zwischennutzung sein. Initiiert hat es Marco Fuligni. theycallitkleinparis hat mit ihm gesprochen.

Marco, wie kam es zu der Interimsnutzung an der Erkrather Straße?
Vor vielen Jahren habe ich in Düsseldorf nach einem Büro für mein IT-Startup gesucht. Ich betreibe eine Art Konzeptschmiede und gestalte unter anderem virtuelle Rundgänge für Museen, Rathäuser und andere Räume. Ich empfand es als frustrierend, dass die Räume, die zur Verfügung standen, für die meisten Startups, Kreativen und Solo-Selbständigen viel zu teuer waren. Oder nur langfristig und unflexibel zu vermieten. Gleichzeitig standen riesige Flächen leer. Mein Partner und ich haben dann gesagt: Da müssen wir was gegen tun und haben im Jahr 2019 RfK gegründet. RfK steht für Raum für Kreativität. Wir haben gezielt Räume gesucht, die wir mit anderen Leuten, mit Künstlern und Kreativen, teilen können. Los ging alles mit der ehemaligen Werkstatt auf der Börnestraße, dem Vorläufer des heutigen Tanzhaus NRW. Dort gibt es seit Dezember 2018 ein Gruppenatelier und mehrere Einzelateliers, dazu einen Ausstellungsraum und eine Gemeinschaftsküche. Zeitgleich haben wir auf der Münsterstraße ein Büro für digitale Startups eröffnet, im gleichen Haus später sechs Einzelateliers geschaffen. 2019 wurde dann eine ehemalige Sparkassenfiliale im Erdgeschoss des Hauses frei. Die haben wir ebenfalls zu Gemeinschaftsateliers und Ausstellungsräumen umfunktioniert. Leider ging diese Interimsnutzung ziemlich schnell zu Ende, weil der Lieferservice Gorillas die Räume der ehemaligen Sparkasse Anfang 2021 für eine marktübliche Miete langfristig anmietete. Auf der Suche nach einer räumlichen Alternative zur Münsterstraße sind wir auf die leerstehenden Räume an der Erkrather Straße aufmerksam geworden. Der Tipp kam übrigens von der Wirtschaftsförderung der Stadt Düsseldorf.

Marco Fuligni, Foto: Markus Luigs

Du bezeichnest dich selbst scherzhaft als Chefhausmeister des ES365. Im Ernst: Wie ist dein beruflicher Hintergrund?
Ich komme ursprünglich aus Heilbronn und bin vor vielen Jahren zum Studium in die Region gekommen. Ich habe zunächst Ökonomie in Wuppertal studiert. Und später noch Zukunftsforschung in Manchester.

Und wenn ich dich heute nach deinem Beruf fragen würde? Was würdest du sagen?
Pionier. Oder, warte, noch besser: Artpreneur. Eigentlich ist es genau das, was ich mache.

Ende März seid ihr in das ehemalige Fiat Motorvillage eingezogen. Mit wie viel Vorlauf habt ihr das Projekt vorbereitet?
Ungefähr zwanzig Tage.

Wie lange standen die Räume vorher leer?
Nicht lange. Das Autohaus wurde im November 2020 geschlossen.

Und wem gehört das Gelände?
Der Besitzer möchte gerne im Hintergrund bleiben. Wir als Zwischenmieter haben auch ausschließlich mit dem Immobilienentwickler zu tun, der das Gelände in Zukunft irgendwann entwickeln wird.

Foto: Markus Luigs

Wie groß ist die Fläche, die euch zur Verfügung steht?
17.000 Quadratmeter. Vorne zur Erkrather Straße hin liegen die ehemaligen Ausstellungsflächen, dahinter Lagerräume, Werkstätten, Gebrauchtwagen-Überdachung. Im ersten Obergeschoss Kantine, Waschräume und Büros. Dazu kommen riesige Außenflächen hinter dem Gebäude. Und ein Parkhaus gibt es auch noch.

Das Gros der genutzten Flächen nehmen Künstlerateliers ein, die in einem ehemaligen Bürotrakt untergebracht sind. Die Nachfrage ist, wenig überraschend, groß. Wie viele Ateliers vermietet ihr?
Es gibt auf dem Gelände 60 bis 70 Ateliers, die an 120 Künstler vermietet sind. 90 Prozent davon sind Absolventen der Düsseldorfer Kunstakademie.

Wie groß sind die Ateliers?
Die Räume, die wir als Ateliers vermieten, sind unterschiedlich groß. Die kleinsten messen vielleicht 15 Quadratmeter und kosten 150 Euro pro Monat, Strom und Heizung inklusive. Plus der Zugang zu den allgemeinen Flächen, die die Mieter unserer Ateliers kostenlos für Ausstellungen und Aktionen nutzen können. Neben den kleinen Räumen gibt es auch welche mit circa 30 und mehr Quadratmetern. Die kosten 200 bis 300 Euro. Zwei Maler können sich ein solches Atelier locker teilen. Als wir Ende März an der Erkrather Straße angefangen haben, habe ich von morgens bis abends Leute durchgeführt, die Interesse an einem Raum hatten. Es musste alles ganz schnell gehen. Muss es bei Zwischennutzungen ja eigentlich immer. Innerhalb von vier Wochen war alles belegt. Momentan gibt es keinen Leerstand. Derzeit haben wir ungefähr 20 Leute auf der Warteliste für ein Atelier.

Wie ging die weitere Erschließung der Räume vonstatten?
Das lief unter dem Motto „building the bridge while walking on it“. In der ersten Phase haben wir das Gemeinschaftsatelier bezogen und die Räume vermietet, die abschließbar sind. Wie eine Werkstatt. Oder ein Büro. Währenddessen haben wir Informationen über das Gebäude gesammelt. Als wir die hatten, konnten wir auch die großen, undefinierbaren Flächen nutzen. Da arbeiten Leute einfach frei im Raum. Erst in der dritten Phase haben wir begonnen, Ausstellungen zu organisieren. Die Arbeiten, die in dem Rahmen gezeigt wurden, stammen überwiegend von Leuten, die hier Ateliers haben. Externe können die Flächen ebenfalls nutzen. Wenn sie Geld für Miete zur Verfügung haben, weil sie zum Beispiel gefördert werden, nehmen wir das natürlich gerne. Aber falls das nicht der Fall ist, geht es auch ohne. Es muss allerdings fair bleiben. Ein externer Künstler, der hier ausgestellt hat, hat uns beispielsweise nach der Raummiete gefragt. Darauf wir: „Du entscheidest selbst, was du uns geben möchtest.“ Er hat uns letztendlich das Zehnfache von dem gegeben, was wir angesetzt hätten. Das ist natürlich toll, weil wir uns dann auch mal eine Leiter kaufen können. Oder eine Musikanlage. Ökonomischen Druck für Ausstellungen gibt es hier nicht. Jeder, der Flächen gemietet hat, kann ausstellen oder Ausstellungen kuratieren. Wir müssen das halt nur terminlich koordinieren. Feiern überlassen wir der Altstadt, wir sind zum Arbeiten und für die Kunst hier.

Was hat in den vergangenen Monaten an Aktionen hier stattgefunden?
Zuletzt lief auf dem Gelände die Ausstellung „Verzahnung“ mit jeweils drei Künstler:innen aus Düsseldorf und Palermo. Parallel fand die Schau „SHAPESHIFT“ statt, in deren Rahmen 44 Künstler:innen Arbeiten zum Thema Wandel in der aktuellen Zeit und insbesondere durch Corona zeigten. Vor einigen Wochen hatten wir außerdem für ein paar Tage einen Pflanzen-Popup-Store zu Gast. Pflanzen für alle. Das ist ein Startup aus Frankreich, die seit einigen Monaten auch in Berlin sind. Und im Rahmen der diesjährigen „Kunstpunkte“ gab es eine Ausstellung mit dem Titel „ES Expo“. Dort haben alle Leute ausgestellt, die auf dem Gelände arbeiten. Es wurde nicht groß kuratiert, sondern einfach aufgehängt. Außerdem haben wir ein ganz tolles Filmfestival gegründet. Es heißt „365s“, das steht für 365 Sekunden, weil die Filme nicht länger sein dürfen als 365 Sekunden. Ein abstraktes Kurzfilm-Kunstfestival. Wir haben es mit lediglich drei Tagen Vorlauf auf die Beine gestellt. Trotzdem haben 24 Leute mitgemacht und ihre Filme gezeigt. Und 60 Zuschauer waren dabei. Das möchten wir auf jeden Fall wiederholen.

Lass uns noch mal über Raumbedarf von Externen sprechen. Können Leute, die gerne einen eurer Räume nutzen möchten, sich bei euch melden? Ist das von eurer Seite überhaupt gewünscht?
Offiziell dürfen wir hier derzeit nur Werksveranstaltungen machen. Und zu denen dürfen nicht mehr als 50 Besucher kommen. Wir wollen aber auch gar keine Riesen-Veranstaltungen machen, sondern solche, die wir überblicken können. Im Mittelpunkt steht bei uns – und das ist mir sehr, sehr wichtig – das Machen von Kunst. Nicht in erster Linie das Ausstellen. Oder der Lifestyle um die Kunst herum. Sondern das Machen.

Foto: Markus Luigs

Auch wenn das so ist: Für die Künstler ist ja, nicht zuletzt um ihre Existenz zu sichern, auch das Verkaufen wichtig. Nur vom Kunst machen kann man ja schließlich nicht leben.
Das ist richtig. Deshalb verschließen wir uns dem Verkaufen auch nicht. Sammler und Käufer kommen hier natürlich auch vorbei. Für die Künstler ist es deshalb auch wichtig, dass es eine Fläche gibt, auf der sie ihre Arbeiten präsentieren können. Es war auch schon mal jemand hier, der sich als Milliardär ausgegeben hat und gesagt hat: „Ich kauf’ das alles, den gesamten Komplex.“ Solche Sachen passieren hier ständig. Es wird also auf der emotionalen Ebene definitiv nicht langweilig.

Du hast es bereits erwähnt. Im ES365 gibt es viele Flächen, die von mehreren Leuten gemeinsam genutzt werden. Das birgt natürlich auch das Risiko, dass Arbeiten beschädigt oder gar gestohlen werden. Gab es derartige Negativ-Erfahrungen?
Eigentlich nicht. So weit ich weiß, wurde mal eine Zeichnung gestohlen. Das war aber an einem Tag der offenen Tür, als dementsprechend viele Besucher hier waren. Natürlich gibt es immer mal jemanden, der ein Bier fallen lässt. Außerdem hatten wir einen Fall von Mundraub. Da hat sich jemand in Roberts Atelier gesetzt und sämtliche Vorräte aus dem Kühlschrank verputzt. Robert hat eins unserer Ateliers gemietet. Er hat an der Folkwangschule in Essen studiert und kommt extra aus Duisburg hierher gefahren. Robert meinte, der vergangene Sommer war der beste seines Lebens. Weil er hier unter seinesgleichen arbeiten kann. Weil er hier seine Freiheit findet.

Scheint so, als würde hier vieles sehr spontan entstehen, quasi von einem Tag auf den anderen. Trotzdem hegt ihr ja bestimmt auch langfristigere Zukunftspläne, oder?
Wir planen derzeit unter anderem „Art + Tech“, eine Art Convent, der weit über die Kunst hinaus geht. In dem Rahmen soll es um Zukunftsfragen gehen, um virtuelle Realität, Augmented Reality – und dabei insbesondere um digitale Rechte. Das ist ein großes, strategisches Thema. Wir möchten das Motto „Kunst, Science und Innovation“ hier auf dem Gelände leben. Grundsätzlich ist es unser Plan, im ES365 Piloten zu fahren, mit denen wir an anderer Stelle weitermachen können. Wenn hier mal Schluss ist.

Schluss ist ein gutes Stichwort. Wie lange könnt ihr denn voraussichtlich auf dem Gelände bleiben?
Bis Ende 2022. So jedenfalls der Stand jetzt. Wenn es hart auf hart kommt, könnte es allerdings auch sein, dass wir sehr kurzfristig raus müssen. Innerhalb von vier Wochen.

Und was wird mit dem Areal nach dem Ende der Zwischennutzung passieren?
Der Komplex wird abgerissen. Was stattdessen hier entstehen wird, weiß ich gar nicht genau.

Bis Ende 2022 sind es noch zwölf Monate. Bist du gedanklich jetzt schon damit beschäftigt, wie es danach weitergehen könnte?
Ich hoffe natürlich, dass wir länger bleiben können, das ist ja, wenn man an Zwischennutzungen wie das PostPOST oder das Boui Boui Bilk denkt, auch nicht ungewöhnlich. Wir legen es aber nicht drauf an. Ich halte natürlich die Augen auf und schaue nach Alternativ-Möglichkeiten. Aber ich glaube, so eine Situation wie hier, mit der Offenheit und Zugänglichkeit, wird schwer zu finden sein.

An der Kruppstraße in Oberbilk steht derzeit auch ein ehemaliges Autohaus leer. Könnte das eine Ausweichmöglichkeit sein?
Ja, das wurde auch schon an mich herangetragen. Mit dem Zusatz: „Du bist doch der Autohaus-Marco.“ Aber ein zweites Autohaus muss ich mir, glaube ich, nicht antun.

ES365, Erkrather Straße 365, Düsseldorf

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