Kunst im öffentlichen Raum ist häufig Gegenstand von Diskussionen. Weil sich an vielen Arbeiten die Geister scheiden. Auf Ulrike Möschels „Gitti Gök“ scheinen sich hingegen zahlreiche Düsseldorfer einigen zu können. Mehr noch: Die Arbeit hat Fans. 2015 ließ Möschel eine Gedichtzeile auf die Brandmauer des Hauses Ackerstraße 3 aufbringen. „Der Himmel hat seine Vögel genommen und ist gegangen“ lautet sie und stammt von dem türkischen Lyriker Ilhan Berk, übersetzt wurde sie von Achim Wagner. Seit einigen Monaten wird nun die poetische Zeile regelmäßig von großen Werbebannern überdeckt. Werbung für die Deutsche Bahn. Oder wie aktuell für Löwensenf. Wie denkt die Künstlerin darüber? theycallitkleinparis hat mit Ulrike Möschel gesprochen.
Ulrike, als vor einigen Monaten Fotos der Werbebanner, die deine Arbeit verdecken, in den Sozialen Netzwerken auftauchten, gab es viele verärgerte Kommentare. Wie hast du selbst von der neuen Nutzung der Wand erfahren?
Eine Künstler-Kollegin hat mir ein Foto von der Wand zugeschickt, auf dem das erste Werbebanner zu sehen war. Danach habe ich emotional eine Weile gebraucht, bis ich an der Ackerstraße vorbei geradelt bin, um mir das Ganze selbst anzuschauen.
Und wie war deine Gefühlslage, als du vor Ort warst?
Ich habe das eher wahrgenommen und versucht eine Haltung dazu zu finden. Um zu verdeutlichen, wie ich das meine: Als Künstlerin habe ich zum Beispiel ein anderes Verhältnis zu einer Zeichnung als zu einer Arbeit im Stadtraum. Letztere übergebe ich an einem bestimmten Punkt einer großen und mir völlig unbekannten Öffentlichkeit. Von da an wird sie von vielen gesehen. Von manchen diskutiert. Aber sie hat nichts mehr mit mir als Person zu tun. Ich muss sie loslassen, auch weil sie sich von dem Zeitpunkt der Übergabe an stark verändern kann. Sie entwickelt ihr eigenes Potenzial, entfaltet eine Eigendynamik. Ich kann nicht beeinflussen, was Wind und Wetter mit ihr machen. Ich kann nicht beeinflussen, ob die Baulücke, in der sie sich befindet, geschlossen wird. Ich kann nicht beeinflussen, ob jemand etwas an die Wand sprüht. All das kann bei einer Zeichnung nicht passieren. Das macht einen großen Unterschied. Trotzdem habe ich „Gitti Gök“, so ist der Titel der Arbeit, natürlich gemacht und sie ist Teil meines Portfolios. Es ist eine der gelungensten Arbeiten, die ich bisher realisiert habe. Sie ist wichtig für mich. Und ich bin sehr stolz auf sie.
Welche Reaktionen haben dich in der Sache erreicht?
Da gibt es eine unglaubliche Spannbreite von Reaktionen. Die hängt unter anderem davon ab, aus welchem Umfeld die Menschen kommen und welche Haltung sie zum öffentlichen Raum haben. Viele Künstlerkolleg:innen mögen meine Arbeit sehr – und bedauern dementsprechend, dass sie nicht mehr ständig zu sehen ist. Aus Künstler:innen-Kreisen habe ich eine unglaubliche Solidarität erfahren. Durch diese Rückmeldungen ist mir der Verlust erst richtig bewusst geworden. Ansonsten wissen viele Menschen natürlich gar nicht, dass die Arbeit von mir ist. Es gibt ja vor Ort keinen Hinweis auf mich als Urheberin.
Bist du eigentlich vorab darüber informiert worden, dass die Wand ab einem bestimmten Zeitpunkt für Werbung genutzt wird?
Ich kann mich vage daran erinnern, dass erwähnt wurde, der Hausbesitzer wolle die Wand in ein paar Jahren selbst nutzen. Für mich war das damals aber so weit weg und die Arbeit war und ist ja temporär gedacht. Trotzdem hätte ich es angebracht gefunden, mich vorher zu informieren. Ich habe den Besitzer des Hauses nie kennengelernt. Der Kontakt lief ausschließlich über Oliver Gather und Andrea Knobloch, die mich 2015 eingeladen haben, im Rahmen ihres Projekts „Gasthof Worringer Platz“ eine Arbeit zu realisieren. Inzwischen gibt es den „Gasthof Worringer Platz“ als selbstorganisierte Künstlerintiative von Oliver und Andrea nicht mehr. Sie haben das Glashaus an eine jüngere Generation übergeben. Der Hausbesitzer hat uns damals viel Vertrauen entgegengebracht. Oliver und Andrea hatten von ihm sogar einen Schlüssel für die Sprachschule, die im Haus Ackerstraße 3 ihre Räume hat, bekommen. Über deren Balkone sind die Seilkletterer, die die Schrift aufgebracht haben, an die Wand heran gekommen. Das war eine große Geste, die ich bis heute sehr zu schätzen weiß.
Du hast es schon angedeutet: Ursprünglich hattest du damit gerechnet, dass die Schrift ziemlich schnell wieder verschwinden würde. Sie wurde ja nicht mit Farbe aufgebracht, sondern mit Pigment auf die Wand getupft. Die Flüchtigkeit war sozusagen Teil deines Konzepts.
Das stimmt, ja. Oliver Gather und Andrea Knobloch haben beim „Gasthof Worringer Platz“ ja eher mit performativen Interventionen gearbeitet. Überhaupt stehen die beiden für einen Kunst- und Kulturbegriff, der nicht die Ewigkeit einschließt. Ein Denken, das ich teile. Viele Arbeiten von mir sind flüchtig, können kaputt gehen, haben etwas Momenthaftes. Die Gedichtzeile von Ilhan Berk ist Ende Dezember 2015 aufgebracht worden. Die offizielle Eröffnung fand erst im Januar statt. Damals hatte ich Sorge, dass die Schrift bis dahin vielleicht schon verschwunden sein könnte. Eine Sorge, die sich im Nachhinein als völlig unbegründet herausgestellt hat. Ursprünglich wollte ich übrigens, wenn die Schrift durch Wind und Wetter verblasst ist, die gleiche Zeile im türkischen Original auf die Wand aufbringen lassen. Die Arbeit war also performativ gedacht. Ich konnte ja nicht ahnen, dass sich die Schrift als so hartnäckig erweist. Für mich war und ist es natürlich toll, dass meine Arbeit so lange zu sehen ist, es war aber nicht der Ursprungsgedanke.
Die Schrifttypo, die für das Gedicht verwendet wurde, hast du von einer Werbung übernommen, die direkt um die Ecke vom Worringer Platz, auf der Klosterstraße, an einer Wand zu sehen war. Sie warb für den Nutzfahrzeugverleih Katzur & Faltermaier.
An diese Schrift auf der Klosterstraße habe ich mich angelehnt. Ich habe eine Typografin hinzugezogen, Nora Bilz, die mir geholfen hat. Das Thema Vergänglichkeit findet sich auf vielen Ebenen in „Gitti Gök“ wieder. Das Haus, auf dem die Werbung für Katzur und Faltermaier war, wurde mittlerweile ja auch abgerissen. An gleicher Stelle findet sich heute ein Wohnquartier. Die „Klosterhöfe“.
In der Gegend rund um den Worringer Platz sind mittlerweile eine Reihe von Kunstwerken im öffentlichen Raum entstanden. Katharina Sieverdings Fries an dem Gebäudekomplex zwischen Worringer Platz und Central. Paloma Varga Weiszs „Beulenmann“ über dem Eingang des Hauptbahnhofs. Zuletzt wurde die Arbeit „Blickfang“ von Barbara Wille auf dem Dach des KAP1 eingeweiht. Welche Rolle spielt dein Werk in dem Reigen?
Es freut mich natürlich sehr, dass die anderen Arbeiten drumherum aufgetaucht sind. Vor allem die Arbeit auf dem KAP1, die vier goldenen Rahmen von Barbara Wille, muten an, als stünden sie in Bezug zu „Gitti Gök“. Keine Ahnung, ob das von der Künstlerin intendiert ist. „Blickfang“ wirkt ja fast wie eine leere Werbetafel, durch die man in den Himmel schaut. Und meine Arbeit hat nicht zuletzt durch die Lücke zwischen den beiden Häusern ja auch etwas mit dem Himmel zu tun.
Du empfindest den Ort also nach wie vor als geeignet für deine Arbeit?
Auf jeden Fall. Auch bevor es die eben genannten Arbeiten in der Gegend gab, war am Worringer Platz ja künstlerisch immer etwas los. Ich finde, der Platz war und ist nicht nur für meine Arbeit geeignet, sondern auch für viele andere künstlerische Interventionen, die dort stattfanden. Bei künstlerischen Äußerungen im öffentlichen Raum von monumentaler Größe – und das ist diese Wandarbeit – hat man ja schnell repräsentative Ort vor Augen, zum Beispiel einen Platz vor einem institutionellem Gebäude, einen Park oder ein Wahrzeichen einer Stadt, wie in Düsseldorf die Rheinuferpromenade. Der Worringer Platz ist geradezu das Gegenteil von all dem, aber hier finden extrem interessante künstlerische Dinge im öffentlichen Raum statt. Der Platz mit all seinen Veränderungen ist ein echter Zeitgenosse. Es gab zum Beispiel eine wunderbare Arbeit meiner Künstlerkollegen Emil Walde und Sebastian Conrad. Sie haben das Glashaus, das seit vielen Jahren auf dem Platz steht, eins zu eins nachgebaut und den Nachbau mit der Spitze nach unten auf den Giebel des ersten Glashauses gesetzt. In das obere Haus, das nach oben hin offen war, füllte er Taubenfutter. Das Futter war blau gefärbt, sodass der Kot der Tauben in der Folge ebenfalls eine blaue Färbung annahm. Der ganze Platz, sogar die Gegend drumherum, war damals voller blauer Taubenkacke. Auch für meine Arbeit hat sich der Standort als ideal erwiesen. Ich bin übrigens zwei Mal gefragt worden, ob ich die Arbeit anderswo realisieren möchte. Ich habe aber beide Male abgelehnt. Ich fand die Orte einfach nicht geeignet für diese Arbeit.
Lass uns noch mal zu dem Thema „Werbung im öffentlichen Raum“ kommen. Seit vielen Jahren ist, was das angeht, eine stetige Zunahme zu beobachten. Wie beurteilst du das generell?
(Überlegt lange) Werbung ist eher etwas, was mich nicht besonders reizt. Obwohl: Ein Ort wie der Times Square in New York, der ja auch komplett von Werbung dominiert ist, hat durchaus seinen Reiz. Er strahlt eine unglaubliche Urbanität aus. Auch Düsseldorf wird natürlich längst von Werbung dominiert. Meine Künstlerkollegin Susanne Ristow hat das in einem Facebook-Post mal als „Monokultur“ bezeichnet, das trifft es meines Erachtens ganz gut. Aber es gibt ja auch Künstler, die Plakatflächen nutzen oder Litfasssäulen, um ihre Kunst zu zeigen. Das ist eine künstlerische Strategie, mit der Omnipräsenz der Werbung umzugehen, sich in das Bildergewirr im öffentlichen Raum einzuklinken. Man kann es natürlich auch intellektuell ganz bewusst kritisch reflektieren. Was macht Werbung mit der Stadt? Was macht es mit meinen Sehgewohnheiten, wenn ich den Eindruck habe, dass ich mich durch einen Werbeprospekt bewege? Welche Bilder entstehen dann? Welche Werte werden einem vor Augen gehalten? Und was macht das mit uns Menschen?
Eine andere Strategie, der Dominanz der Werbung im öffentlichen Raum zu begegnen, stammt von deinem Kollegen Markus Luigs. Markus hat bei Instagram vorgeschlagen, die Gedichtzeile von Ilhan Berk auf ein Banner drucken zu lassen, Geld zu sammeln und die Fläche auf der Brandmauer selbst zu mieten. Was würdest du davon halten?
Markus Luigs und ich haben uns bis jetzt noch nicht persönlich kennengelernt. Sein Engagement für die Arbeit im Rahmen seines Fotoblogs „Düsseldorfer Perlen“ schätze ich sehr. Ich bekomme das vor allem über Instagram mit. Markus’ Vorschlag wäre eine eigene künstlerische Arbeit von ihm, die den Kunstcharakter des Ortes erhalten würde. Da stellt sich mir wirklich nochmal die Frage des Loslassens der Arbeit beziehungsweise der Autorenschaft, da plötzlich etwas ganz Anderes, Neues entsteht. Der Ursprung meiner Arbeit war ein Vergänglichkeitsgedanke. Jetzt stellt sich mir durch Markus’ Vorschlag die Frage, des Loslassens eines Vergänglichkeitsgedankens. Ganz schön kompliziert, nicht wahr?
Abschließend gefragt: Du hegst also keinen Groll?
Nein, gar nicht. Die Veränderung ist nun mal integraler Bestandteil der Idee. Im Rahmen dieser Veränderung kann ich auch die Werbebanner, die meine Arbeit überdecken, akzeptieren. Mir wird ja kein Unrecht angetan. Deshalb reagiere ich vielleicht so pragmatisch. Ich bin in erster Linie froh, dass die Arbeit so lange zu sehen war. Das ist die Haltung, die ich dazu entwickelt habe. Wenn sich andere für die Arbeit einsetzen, finde ich das trotzdem großartig. Wenn sie eine Diskussion um den öffentlichen Raum anstößt, darüber, wie man mit Kommerzialisierung umgehen kann, finde ich das auch gut und richtig. Auf diese Art wird die Arbeit ja auf eine ganz andere Ebene gehoben. Durch sie wird auf ein gesellschaftliches Problem verwiesen. Vielleicht funktioniert die Arbeit also auch, wenn die Werbebanner darüber liegen. Neulich hat jemand gesagt, die Arbeit werde dadurch interessanter, dass man nie weiß, ob sie gerade zu sehen ist oder nicht. Manchmal ist sie da. Manchmal nicht. Die Arbeit kann das aushalten. Hoffentlich.