Vera Vorneweg im Interview – „Ich weiß, dass der Krieg ein Markt ist“

Die Wörter sind ihr ausgegangen, wegen des Kriegs in der Ukraine. Und so bedient sich die Literatin Vera Vorneweg für ihre jüngste Arbeit im öffentlichen Düsseldorfer Raum einfach bei einer Kollegin. Seit Montag bringt Vorneweg das Friedensmanifest „Die Waffen nieder!“ von Bertha von Suttner auf einen der Stadtstrand-Container am Düsseldorfer Rheinufer auf. Auslöser für ihr Tun war eine Mitteilung, die die Schriftstellerin im Pressearchiv des Rüstungskonzerns Rheinmetall gefunden hat. theycallitkleinparis hat mit Vorneweg über ihr pazifistisches Projekt gesprochen.

Vera, als wir zuletzt miteinander sprachen, hatte der Krieg in der Ukraine gerade begonnen. Wie würdest du deine derzeitige Gefühlslage beschreiben?
Ich bin sprachlos. Ich habe keine Worte für das dort Geschehende. Ein Land und seine Menschen werden vernichtet und wir können nichts tun, außer zuzusehen und Waffen zu liefern. Das ist eine Tatsache, die mich sehr lähmt. Das literarische Schreiben ist für mich derzeit unmöglich – es entwickeln sich keine poetischen Gedanken mehr. Die Welt schweigt und so schweige ich mit ihr.

Mittlerweile hat eure Familie insgesamt vier Geflüchtete aus der Ukraine, zwei Frauen und zwei Kinder, aufgenommen. Wie erlebst du die Menschen? Was wisst ihr über die Väter? Wie läuft euer Zusammenleben?
Ich bin sehr dankbar, dass wir durch die Aufnahme der zwei Frauen und der zwei Kinder die Möglichkeit haben, der Unmenschlichkeit des Krieges Menschlichkeit entgegenzusetzen. So sind wir imstande, die schreckliche Wirklichkeit ein kleines bisschen zu entschärfen. Die ukrainischen Frauen Tatjana und Lina und die Kinder sind sehr herzlich und dankbar und freuen sich, dass sie bei uns unterkommen dürfen. Dani, der Ältere, er ist 9, geht bereits in die Schule unseres jüngsten Sohnes – für die 4-jährige Arina suchen wir gerade einen Kitaplatz.
Obwohl wir keine gemeinsame Sprache haben und uns über Google-Translator und installierte Übersetzungs-Bots unterhalten, klappt das Zusammenleben gut. Es wird viel gekocht, gemeinsam gegessen, gespielt und gelacht. Das Veganer-Dasein haben wir kurzfristig aufgegeben – wir sind bemüht, alle Grenzen abzuschaffen, die wir selbst imstande sind abzuschaffen. Über die Männer der Frauen wissen wir, dass sie in unterschiedlichen Orten des Landes sind und dort derzeit Verteidigungswälle aus Sandsäcken bauen. Und dann gibt es noch den 18-jährigen Enkel von Tatjana, der nicht das Land verlassen durfte, weil er gerade volljährig geworden ist. Er sitzt mit seiner Mutter, der anderen Tochter von Tatjana, in einem Bunker in Kiew.

Darüber hinaus hast du nun beschlossen, künstlerisch aufzubegehren gegen diesen Krieg, gegen Krieg überhaupt. Du setzt aber nicht beim Aggressor an, bei Wladimir Putin, obwohl das natürlich am Naheliegendsten wäre. Wie genau ist deine Idee?
Aufgrund meiner Sprachlosigkeit bleibt mir nichts anderes übrig, als auf bereits Geschriebenes hinzuweisen. Dies tue ich mit der Komplett-Transkription des Friedensmanifestes „Die Waffen nieder!“ – ein Roman, der 1889 von der Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner verfasst wurde. Und aktueller ist denn je. Indem ich die kleinen und feinen Schriftzüge der Roman-Transkription Zeile um Zeile zu einer Massivität an Text zusammenwachsen lassen, möchte ich auf die Kraft der Wörter hinweisen. Ja, vielleicht will ich den Wörtern auch ein Denkmal setzen. Sie sind und bleiben wichtig.

Die Arbeit wolltest du ursprünglich in direkter Nähe des Rheinmetall-Firmensitzes in Düsseldorf aufbringen. Warum hat das nicht geklappt?
Als die Bundesregierung das 100 Milliarden-Euro-Aufrüstungspaket beschloss, machte der Düsseldorfer Rüstungskonzern Rheinmetall gleich am Tag darauf ein passendes All-Inklusive-Panzer-Waffen-Angebot in der Höhe von 42 Milliarden Euro. Abgesehen davon, dass mich diese Aufrüstungstendenzen sehr beunruhigen, fand ich bei der Recherche im Rheinmetall-Archiv eine Pressemitteilung zu einem Großauftrag in Russland. Ich weiß, dass wir im Kapitalismus leben und dass auch der Krieg ein Markt ist. Aber mit Menschen aus der Ukraine am Tisch zu sitzen, die gerade um ihre Angehörigen bangen, die vielleicht zu diesem Zeitpunkt mit Waffen bedroht werden, die in meiner Stadt hergestellt beziehungsweise vertrieben wurden, ist für mich inakzeptabel. Sowieso ist für mich inakzeptabel, dass der Wohlstand der Stadt Düsseldorf sich unter anderem aus der exorbitanten Summe von Gewerbesteuer speist, die das milliardenschwere Unternehmen Rheinmetall alljährlich erwirtschaftet. Und dass ich als Kulturschaffende ebenfalls von diesen Geldern profitiere, ist für mich eine grauenhafte Realität, auf die ich eine künstlerische Antwort finden möchte. Deshalb war es mein ursprünglicher Plan, das Friedensmanifest „Die Waffen nieder!“ auf die Fassade der ehemaligen Waffenfabrikationshalle von Rheinmetall zu schreiben. In dieser Halle befinden sich jetzt Showrooms und sie gehört dem Investor „diedeveloper“. Doch leider lehnte das Unternehmen die Beschriftung der Außenfassade ab. Hierfür gab man allerdings keine Begründung an und ein Gespräch mit dem Projektleiter der Halle blieb mir verwehrt.

Foto: Vera Vorneweg

Nun hast du einen anderen, sehr prominenten Ort für die Arbeit gefunden: einen der Stadtstrand-Container an der Tonhalle.
Nachdem die Absage vom Investor kam, bin ich zwei Tage durch die Stadt getigert und habe Flächen gesucht. Schließlich bin ich am Rhein gelandet und so auf die Stadtstrand-Container gestoßen. Hier erwies sich die Kontaktaufnahme als niedrigschwelliger: Ich teilte mein Anliegen einer Stadtstrand-Mitarbeiterin mit und bekam eine Woche später eine Zusage. Und nicht nur das: Es werden sogar die Kosten für die nicht billigen Acrylstifte übernommen, mit denen ich den Container beschrifte und meine Beschriftungs-Aktion wird ein Teil der „Nacht der Museen“ am 11. Juni werden.

Du hast es schon erwähnt: Der Text „Die Waffen nieder!“, den du seit Montag auf den Container aufbringst, stammt von der österreichischen Autorin und Friedensaktivistin Bertha von Suttner. Warum hast du dich gerade für diesen Text entschieden?
Das war DER Text der Friedensbewegung vor 100 Jahren. Das war DAS Friedens-Manifest, bis es 1928 von Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ abgelöst wurde. Die Sprache ist zwar ein wenig altbacken und nicht mehr ganz frisch und es geht um alte Kriege, aber letztendlich sind es die gleichen Themen: Angst, Trennung, Blutvergießen, Tod. Es sind die Tagebuchaufzeichnungen einer Soldatenfrau, die sehr unter der Kriegsgewalt leidet und ihrem Schmerz Ausdruck verleihen möchte. Und apropos Frau: Die Transkription eines Romans, der von einer Schriftstellerin geschrieben wurde, erhöht die Sichtbarkeit weiblicher Welten im öffentlichen Raum. Und da haben wir ja mit Blick auf die Historie einiges nachzuholen. Außerdem war Bertha von Suttner die erste Frau, der 1905 der Friedensnobelpreis verliehen wurde.

Die im Interview erwähnte Pressemitteilung von Rheinmetall zum Thema „Rheinmetall mit Großauftrag erfolgreich in Russland“ vom 24.11.2011 findet man hier.

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liebe Vera, Sie sprechen mir aus dem Herzen, ich habe gestern erst bei „Wir Frauen“ Ihre Dankesrede gelesen. Und heute Ihr Interview. Ich werde das mit allen schreibenden Frauen, die ich kenne, teilen. danke, danke

seien wir achtsamen, empörten, mitfühlenden, überraschbaren und mitdenkenden Menschen uns unserer Selbst-bewusst

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