Frank Eckardt im Interview – „Städte haben mich immer interessiert“

Frank Eckardt ist Stadtforscher. Seit über 20 Jahren lehrt er als solcher an der Bauhaus-Universität in Weimar. Sein Forschungsgebiet liegt direkt vor seiner Haustür, meist untersucht Eckardt Städte in Thüringen. In Düsseldorf ist er hingegen, obwohl er ursprünglich aus Gelsenkirchen stammt, eher selten unterwegs. Mitte März war er allerdings für einen Nachmittag in der Landeshauptstadt, um sich einen Eindruck von Oberbilk zu verschaffen. Wie der Stadtteil hinter dem Bahnhof auf ihn gewirkt hat, erzählt Eckardt im Interview mit theycallitkleinparis.

Herr Eckardt, wie muss eine städtische Umgebung sein, damit Sie sich wohlfühlen?
Persönlich fühle ich mich immer dort wohl, wo unterschiedliche Menschen sich aufhalten und man das Gefühl bekommt, dass es noch andere Arten gibt, sein Leben zu meistern als die eigene. Also öffentliche Räume in diversen Nachbarschaften mit einer gemischten Arbeits-, Wohn- und Versorgungsinfrastruktur – das sind für mich entscheidende Merkmale einer netten Gegend.

Sie haben nach dem Abitur zunächst zwei Ausbildungen absolviert: eine kaufmännische und eine zur Fachkraft für Psychiatrie. Im Anschluss haben Sie dann Politikwissenschaften, Geschichte und Deutsche Philologie studiert. Wie sahen Ihre beruflichen Pläne damals aus?
Pläne? Ich fürchte, ich hatte keine. Als ich mit 27 Jahren nicht mehr weiterwusste, dachte ich, dass ich es mal auf der Universität versuchen könnte. Ich komme aus einem Arbeiterhaushalt, wo man Studierten sehr kritisch gegenüberstand und ich traute mich deshalb vorher nicht, an so etwas wie einen akademischen Job zu glauben.

Wie sind sie dann zur Stadtforschung gekommen?
Mich hatten Städte immer interessiert. Ich bin in Gelsenkirchen aufgewachsen und wollte verstehen, wie es kommt, dass diese Ruhrgebietsstadt den Strukturwandel einfach nicht zu schaffen scheint. Ich war deshalb sehr froh, dass in meinem Politikstudium ein Professor sich ähnliche Fragen stellte und ich dann dort meinen Studienschwerpunkt legen konnte. Nach dem Studium wurde ich von der Fakultät Architektur an der Bauhaus-Universität Weimar angenommen, um den Architektur-Studierenden eine sozialwissenschaftliche Perspektive auf die Stadt zu vermitteln. Das passte und passt für mich bis heute sehr gut mit meinen wissenschaftlichen und biografischen Interessen zusammen.

Für die Leser:innen, die sich nichts darunter vorstellen können: Wie geht ein Stadtforscher bei seiner Arbeit konkret vor?
Die meisten Studien machen wir in konkreten Lehr-Forschungsprojekten, die wir in Zusammenarbeit mit Akteur:innen vor Ort durchführen und die immer ein konkretes Problem behandeln. Ab 2014 haben wir zum Beispiel von vielen Kommunen in Thüringen die Anfrage bekommen, wie man Geflüchtete integrieren kann. Dann gehen wir in die betreffenden Städte und erstellen zunächst eine Analyse, wie etwa Möglichkeiten und Grenzen vorhandener Wohnungsbestände oder Auffangmöglichkeiten sind, um Geflohene unterzubringen. Wir befragen aber immer auch die Betroffenen, damit deren Interessen auch Gehör finden, was ja oft nicht berücksichtigt wird. Ziel ist es immer, Vorschläge – städtebauliche, planerische, soziale, kulturelle oder politische – zu machen, die die jeweilige Stadtgesellschaft zu weiteren Diskussionen anzuregen. Die öffentliche Debatte unserer Arbeit ist für uns deshalb immer sehr wichtig, weil Lösungen weder von uns, noch einfach von oben, sondern immer in Kooperation mit den betroffenen Menschen realisiert werden können.

Sie arbeiten seit 1999 an der Bauhaus-Uni in Weimar. Seit Ihrer Habilitation 2009 sind Sie Professor für Sozialwissenschaftliche Stadtforschung. Welche Städte erforschen Sie?
Zumeist arbeiten wir vor der eigenen Haustür, also in Thüringen. Im Rahmen von Qualifikationsarbeiten beschäftige ich mich aber auch mit vielen Städten in der Welt. Ich bin angesiedelt am „Institut für Europäische Urbanistik“, weshalb vor allem Städte in Europa dabei berücksichtigt werden.

Welche Aspekte interessieren Sie dabei in erster Linie?
In erster Linie geht es um die Frage des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Wir konstatieren eine wachsende Kluft zwischen den sozialen Gruppen, insbesondere zwischen Arm und Reich. Diese soziale Spaltung der Städte drückt sich in vielen Bereichen des Lebens von Menschen aus, wobei das Wohnen von zunehmender Bedeutung ist.

Inwiefern fließen Erkenntnisse Ihrer Forschung in Stadtplanungsprozesse mit ein?
Wie gesagt, wir versuchen immer, die Ergebnisse unserer Arbeit öffentlich zu diskutieren und dabei greifen wir oftmals Themen auf, die kontrovers in der Stadt diskutiert werden. Das Problem, das viele Stadtgesellschaften haben, ist, dass ihnen ansonsten Möglichkeiten einer solchen Diskussion fehlen und von daher bin ich sehr zufrieden, wenn wir Erkenntnisse der Stadtforschung in die Öffentlichkeit einbringen können. Wir sind also in der Meinungsbildung tätig. Das macht insbesondere noch Sinn, wenn nicht schon alles entschieden und geplant ist.

Ich habe den Eindruck, dass das Interesse an Stadtforschung, auch außerhalb der Wissenschaft, in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren stark zugenommen hat. Wie erklären Sie sich das?
In der Tat verzeichne ich auch ein wachsendes Interesse an der Stadtforschung, was sich an Anfragen zu Stellungnahmen ablesen lässt. Immer wenn ein Thema von der Gesellschaft als besonders wichtig angesehen wird, kommt zwangsläufig irgendwann die Frage auf, wie man denn mit diesem Thema – Integration von Geflohenen, Klimawandel, Wohnungspolitik – auf lokaler Ebene umgeht. Leider ist es aber so, dass durch diese Konjunkturen bestimmte städtische Problemlagen wenig Beachtung finden.

Wie groß muss man sich den Bereich Stadtforschung in Deutschland vorstellen, wie viele Kolleg:innen haben Sie?
Stadtforschung ist in Deutschland kein großes Fach. Während international durchaus von einer etablierten Urban Studies mit entsprechenden Fachzeitungen, Instituten und Studiengängen geredet werden kann, wird Stadtforschung in Deutschland sehr regierungs- und politiknah oder aber im Rahmen von einzelnen Disziplinen wie Architektur oder Ingenieurwesen durchgeführt. Die unabhängige und interdisziplinäre Stadtforschung ist sehr überschaubar. An unserem Institut sind acht Professuren angesiedelt.

Sie waren vor einigen Tagen in Düsseldorf-Oberbilk zu Gast, zum ersten Mal. Wie haben Sie den Stadtteil erlebt?
Das war ein spannender Einblick in einen Stadtteil, der ganz offensichtlich an einigen Orten vor großen Veränderungen steht und an anderen lässt sich durchaus noch die industrielle Geschichte und die verschiedenen Phasen der Stadtteilentwicklung wiederfinden.

Angenommen, Sie würden sich dem Viertel als Stadtforscher widmen. Welche Aspekte würden Sie näher beleuchten wollen?
Mit Sorge betrachte ich solche Stadtteile danach, ob die ansässigen Menschen sich weiter dort das Leben einrichten können, das sie sich eigentlich wünschen. Die sichtbaren Neubauten und Renovierungen können dazu führen, dass das Leben und Wohnen gerade für ärmere Menschen nicht mehr bezahlbar ist und eine Verdrängung stattfindet. Das wäre für mich ein wichtiges Thema, das ja in Oberbilk auch schon länger diskutiert wird.

Oberbilk spielt in der Wissenschaft bisher nur eine untergeordnete Rolle. Dabei könnte der Stadtteil, in dem von 30.000 Bewohner:innen insgesamt 17.000 eine Migrationsgeschichte haben, doch prima als Labor für die zukünftige Gesamtgesellschaft dienen. Möchte man von Stadtteilen wie Oberbilk nicht lernen?
Leider spiegelt sich in der Stadtforschung wie in den Sozialwissenschaften insgesamt wider, wie die betreffenden Forscher:innen selbst leben. Und die zieht es in jene Städte und Stadtteile, die einen zumeist bessergestellten Lebensstil des akademischen Milieus ermöglichen. Dementsprechend wissen wir sehr viel über bestimmte Stadtteile in Berlin, aber kaum etwas über Stadtteile wie Oberbilk, geschweige denn über prekäre Städte wie die im nördlichen Ruhrgebiet. In der Tat wäre Oberbilk aber sehr interessant, weil hier noch Prozesse im Gange sind, auf die Menschen und Politik noch reagieren können, während in Berlin-Friedrichshain und andernorts schon die soziale Mischung der Stadtteile aufgelöst ist, die wir an unseren Städte doch eigentlich so schätzen.

Wie ist es, wenn Sie Urlaub machen: Können Sie den Blick des Stadtforschers dann auch schon mal abschalten?
Meistens machen wir im Urlaub Fahrradtouren in der Natur, aber ich freue mich immer, wenn wir es dann bis zur nächsten Stadt geschafft haben. Generell gefällt mir, dass es Menschen doch oft schaffen, in der Stadt ihr Leben friedlich miteinander zu leben. Wenn man sich der Stadt langsam nähert, dann wird man sich der Tatsache bewusst, was für eine große zivilisatorische Errungenschaft das städtische Zusammenleben darstellt.

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