Axel Ganz im Interview (3) – „Es ist halt alles nicht so perfekt“

Der Düsseldorfer Musiker Axel Ganz lebt seit drei Jahren in Georgien. Obwohl er die Sprache nur in Ansätzen beherrscht, ist er in der Zeit tief in das kaukasische Land eingetaucht. Im Interview mit theycallitkleinparis erzählt er über Konsonanten-Verklumpungen, die Situation von Minderheiten im Land und die lebendige Club-Szene in der Hauptstadt Tiblissi.

Ich möchte noch mal auf ein anderes Thema kommen, das du eben schon kurz angerissen hast. Die Minderheiten. Hast du den Eindruck, dass sich die Situation für sie zumindest langsam verbessert?
Nach dem Gesetzt gibt es die gleichen Rechte für Minderheiten, für religiöse, ethnische oder sexuelle, wie für die Mehrheitsgesellschaft. Aber das ist eben nur auf dem Papier der Fall. Im vergangenen Jahr war eine LGBTQ Pride in Tbilissi geplant. Da gab es schon im Vorfeld schwere Ausschreitungen und sogar einen Todesfall. Das wurde in Europa zurecht als Rückfall in die Barbarei wahrgenommen. Natürlich ist das schlimm. Und es sollte sich ändern. Aber wo kommt dieses Land her? Wenn man sich die Staaten drumherum anschaut, Aserbaidschan, Armenien, Iran, Russland. Alle Nachbarländer sind noch viel restriktiver, was Minderheiten- und Freiheitsrechte angeht. Damit verglichen ist Georgien schon weiter. Man sollte das Land dabei unterstützen, seinen Weg in die Liberalität zu gehen. Diese konservativen Kräfte werden sich auf lange Sicht nicht halten können.

Ilia-Chavchavadze-Avenue, der Boulevard schlechthin in Vake, dem teuren und hippen Viertel in Tbilissi, Foto: Axel Ganz

Du hast uns jetzt sehr viel über Georgien erzählt. Schauen wir doch mal in die andere Richtung. Wie denkt man in Georgien über Deutschland?
Deutschland wird in Georgien auf jeden Fall sehr geschätzt. Die Georgier:innen lieben Autos auf eine noch kindlichere Art als die Deutschen. Und sie lieben deutsche Autos. Irgendwann wurde mir fast zwangsläufig die Frage gestellt: „Axel, warum hast du eigentlich kein deutsches Auto?“ Wir haben uns in Georgien ein japanisches Auto gekauft. Für die Einheimischen ist es schwer zu verstehen, dass das für mich nicht wichtig ist. Von den Autos abgesehen wird Deutschland sehr geschätzt für die Wirtschaft, für den Wohlstand, für die Perfektion. Für die Konsumgüter, die man bekommt. Und für die Arbeit, die so gut bezahlt ist. Deswegen möchten viele Georgier:innen gerne in Deutschland studieren oder arbeiten. Machen ja auch viele. Die meisten gehen allerdings wieder zurück. Von der Mentalität her empfinden die Georgier:innen uns Deutsche allerdings – wie manche andere Nation auch – als etwas kaltherzig, als nicht besonders gastfreundlich und wenig aufgeschlossen.

Wie sieht es mit kulturellen Unterschieden, vielleicht sogar Missverständnissen aus?
Termine machen ist so ein Ding. Am Anfang habe ich versucht, in Georgien Termine zu machen wie ich es in Deutschland tue. Für Workshops zum Thema 3D-Design oder CAD zum Beispiel. Ich wollte Termine zwei, drei, vier Wochen im Voraus vereinbaren. Das funktioniert in Georgien nicht. Man plant dort nicht länger als zwei, drei Tage im Voraus. Außer bei größeren Firmen, die international Geschäfte machen. Georgier:innen lesen auch viel weniger E-Mails als Deutsche. Mit Älteren tritt man besser persönlich in Kontakt. Und mit Jüngeren über Social Media und Messenger-Dienste. Mit den Musikern aus Tbilissi kommuniziere ich zum Beispiel nur über den Instagram-Messenger. Weil ich weiß, die lesen keine E-Mails.

Wie häufig kommst du nach Deutschland?
Im Sommer sind wir meistens sechs bis acht Wochen in Deutschland, so wie zuletzt im Juli und August. Davon abgesehen komme ich aber auch immer mal wieder für Jobs hierher. Aufs Jahr gerechnet war ich vielleicht so drei Monate im Jahr hier. Wir haben unsere Wohnung in Eller nie aufgegeben. Wir kommen natürlich zum einen, um die Familie zu besuchen. Aber es gibt auch immer mal wieder was zu erledigen, Finanzamt und so.

Wie lange wollt ihr noch in Telavi bleiben?
Wir sagen jedes Jahr, das nächste Jahr ist das letzte Jahr. Mal gucken.

Blick vom Abano-Pass (2862 m) nach Tuschetien, Foto: Axel Ganz

Was vermisst du, wenn du in Deutschland bist, an Georgien am meisten?
Die wunderbare Landschaft, die unheimlich vielfältig und abwechslungsreich ist. Den faszinierenden Blick auf die Berge, das ist ein riesiges Natur-Theater, das wir direkt vor der Haustür haben. Die Dreitausender sind von Telavi weniger als 20 Kilometer entfernt und sehen jeden Tag anders aus. Das begeistert mich nach drei Jahren im Land immer noch. Ich vermisse aber auch die Lebensart. Sie erinnert mich an meine Kindheit. Ich bin ja in den sechziger Jahren geboren – und habe immer den Eindruck, nach Hause zu kommen, wenn ich nach Georgien komme. In Georgien gibt es auf dem Land Lebensweisen, die es bei uns schon sehr lange nicht mehr gibt. Landwirtschaft zur Selbstversorgung zu betreiben, ist zum Beispiel völlig selbstverständlich. Oder Hühner zu halten. Gemüse einzumachen. Am Straßenrand sitzen ältere Damen und verkaufen das, was sie gerade eingemacht haben. Ohne das jetzt romantisieren zu wollen: Ich finde es total schön, dass es diese Traditionen in Georgien noch gibt. Ich fühle mich in dem Land sehr wohl. Jeder kann dort machen, was er will. Es gibt einfach mehr Freiräume. In Deutschland kommt immer sofort die Bauaufsicht. Du kannst nicht so viel selber machen. In Georgien dengelt und bastelt jeder an seiner Immobilie, seinem Auto, seinem Garten herum, wie er lustig ist. Es gibt einen Grundton für eine entspannte Lebensart. Es ist halt alles nicht so perfekt. Man bekommt im Baumarkt nicht den super Parkettboden. Aber braucht man den wirklich? Oder kann man auch ohne ihn glücklich werden?


Axels Empfehlungen für eine Georgien-Reise:
Felsenstadt Vardzia
Region Ratscha
Fahrt auf der Bahnstrecke Bordschomi-Bakuriani
Region Tuschetien
Kloster Iqalto
Wanderung im Lagodechi-Nationalpark

Axels Lieblingsgericht aus der georgischen Küche:
Ransili
Ransili ist eine georgische Spezialität, die aus Kakhetien kommt. Es handelt sich um wilden Mini-Lauch aus den Gombori-Bergen. Den gibt es dort nur im Frühjahr. Ein Kilo Ransili putzen und ca. 10 Minuten kochen. Nach dem Abgießen mit Essig und unraffiniertem Sonnenblumenöl, Salz, einer Knoblauchzehe und etwas frischem Koriander als Salat anmachen. Dazu frisches georgisches Schoti-Brot servieren, fertig!

Eine georgische Künstlerin, die Axel empfiehlt:
Tamuna Chabashvili
https://www.instagram.com/tamunachabashvili/?hl=de
http://galleryartbeat.com/en/artist/4/tamuna-chabashvili

Ein musikalischer Tipp:
Generali Minerali
https://soundcloud.com/generali_minerali
https://www.instagram.com/generali_minerali/

Teil 1 des Interviews gibt es hier.

Teil 2 des Interviews gibt es hier.

Schreibe einen Kommentar

*