Für den kommenden Samstag lädt das FFT zu einem Ausflug der besonderen Art: Die Exkursion „Eine Untergrundbahn auf dem flachen Land“ führt die Teilnehmenden via U79 nach Duisburg. Künstler:innen und Aktivist:innen aus beiden Städten gestalten diese außergewöhnliche Reise, die am Düsseldorfer Hauptbahnhof beginnt und in Duisburg-Hochfeld endet. theycallitkleinparis hat mit Jan Lemitz und Johanna-Yasirra Kluhs gesprochen, die den Trip im Auftrag des FFT organisiert haben.
Ihr seid Kulturschaffende, du, Johanna, bist Dramaturgin, Jan ist Fotograf und Künstler. Welche Rolle nimmt das Thema Stadt in eurer Arbeit ein?
Jan: Zunächst ist Stadt ja das eigene Lebensumfeld. Und daraus ergibt sich für uns der Wunsch, Stadt nicht nur wahrzunehmen, sondern auch in ihr zu agieren. Gestalterisch, künstlerisch, politisch; sie offen zu halten, für die, die dazukommen. Im Idealfall macht das niemand alleine, sondern gemeinsam mit anderen. Und dann ist man da ja gemeinsam einem ständigen Wandel unterworfen. Alleine in den vergangenen zwei Jahren hat sich vieles nochmal rasant verändert. Das gilt es zu verstehen, zu begreifen und darzustellen. Für die Theater- und Kulturarbeit hat das Thema Stadt auch stark an Bedeutung gewonnen. Stadt und Verstädterung sind ja eine wichtige Grundlage für viele politische und soziale Themen, die im Freien Theater bearbeitet werden. Die Stadt ist in der Regel der Ort der Präsentation und Produktion. Das war immer selbstverständlich und jetzt wird es eben thematisiert.
Wie entstand die Idee für die Exkursion „Eine Untergrundbahn auf dem flachen Land“?
Johanna: Wir hatten einfach große Lust, diesen Weg, den wir ständig zwischen Düsseldorf und Duisburg fahren, besser zu verstehen. Und wir sind an beiden Orten auch in soziale Bewegungen eingebunden und hatten den Eindruck, dass wir uns besser vernetzen müssten, weil die Politik der beiden Städte vor allem im Punkt Wohnen so stark zusammenhängt. Das Programm „Place Internationale” am FFT hatte viele Fragen aufgeworfen, die eigentlich beide Orte betreffen. Dazu wollten wir etwas machen. Aber wie? Irgendwann sagte unsere Freundin Eva Busch: „Das könnt ihr doch alles mit der Straßenbahn verbinden.“
Ihr lebt in Duisburg, seid aber viel unterwegs. Wie würdet ihr jemandem, der die Stadt nicht kennt, Duisburg beschreiben?
Jan: Eine fragmentierte Stadt, mit sehr unterschiedlichen Flächen, die in der Regel durch Infrastruktur – wie Autobahnen oder den Hafen und den Ruhrverlauf – in fast schon autarken Stadtteilen aufgeht. Die sich zum Teil selber als zentral begreifen, oder die Wahl einer Mitte offenlassen, was sich aus dem Ballungsraum Ruhrgebiet ja ohnehin leicht ergibt. Verbunden werden diese Fragmente durch die Körper, die sich durch sie bewegen – jede:r sollte mal eine Fahrradtour von einem Ende der Stadt zum anderen machen! Außerdem ist Duisburg sehr kosmopolitisch und international. Auf andere Weise, als das Städte mit mehr Corporate Charakter sein würden. Duisburg ist hype-resistent. Eine Stadt, die immer mehr wird sein können, als sie ist. In dieser Mittelmäßigkeit und Potenzialität kann dann eben eigentlich jede:r einen Platz finden. Maximal offen. Es fließen in der Drei-Strom-Stadt: Rhein, Ruhr, Kanal. Also sehr nah am Wasser gebaut, zwischen den Flüssen oder drum herum, mit recht viel globalem Geschehen, von Containern bis Stahl. Irgendwie das Backend globalisierender Aspekte.
Man kann Duisburg von Düsseldorf aus ja auf unterschiedliche Weisen erreichen. Mit dem Auto, klar. Mit dem Fahrrad, auch kein Problem. Mit dem Zug. Mit der S-Bahn. Oder eben mit der U79. Warum habt ihr euch für letztere als Transportmittel entschieden?
Johanna: Die Fahrt mit der Straßenbahn geht durch genau den Bereich, an dem die Grenzen verlaufen, oder eher verschwinden. Das tun sie bei der Fahrt mit dem eigenen Auto genauso wie mit dem Zug. Es geht aber auch um das Bild – das Bild der die Straßen und das Stadtbild verlassenden Straßenbahn, um Verlangsamung und um das Näher-Rankommen. Eben weil es so schnell gehen könnte, wachsen die Städte über ihre Ränder, stellen die Frage nach Peripherie und Zentrum auf den Kopf.
Auf eurer Reise möchtet ihr untersuchen, ob die Stadtgrenzen zwischen Düsseldorf und Duisburg überhaupt noch relevant sind. Wie geht ihr dabei konkret vor?
Johanna: Unser Startpunkt am Düsseldorfer Hauptbahnhof ist tagtägliche Durchlaufstation für ein Pendler:innenaufkommen im sechsstelligen Bereich. Der Stadtraum unmittelbar um den Bahnhof herum ist größtenteils für Durchquerungen und Mobilität konzipiert, sei es mit dem Auto oder zu Fuß. Das haben vermutlich die meisten Städten gemein, dass sie nicht mehr aus sich selber heraus funktionieren, erklärbar und erzählbar sind. Wir werden außerdem einen großen Teil der Reise quasi auf der Grenze verbringen, an der Haltestelle Kesselsberg. Wenn man an der Stelle in die Geschichte zurückschaut, kann man sehen, dass da fast immer eine Grenzzone war. Wir werden in die Geschichte zurückgehen, über die Dynamiken von Peripherien nachdenken und uns künstlerisch mit dem Boden dort beschäftigen. Und uns das aktuelle Bauprojekt, das klar grenzübergreifend gedacht ist, genauer anschauen. Mal sehen, was wir danach über die Stadtgrenze denken.
Wer sind die Mitwirkenden? Welche Hintergründe haben sie?
Jan: Die Tour war ja eigentlich für Mai geplant und musste wegen Orkanwarnung verschoben werden. Ursprünglich sollte sie Teil von „Place Internationale“ sein, ein Format, das sich mit der Pariser Commune vor über 150 Jahren befasst hat. Das Thema Stadtpolitiken war ein wesentlicher Bestandteil davon. Unter anderem ist für PI eine Lesegruppe entstanden, die sich mit einem bisher noch nicht ins Deutsche übersetzten Werk von Henri Lefebvre befasst hat. Die Lesegruppe sind Moritz Hannemann, Klaus Ronneberger und Laura Strack. Ein Beitrag kommt von ihnen. Dann halten wir ja als erstes am Kesselsberg in Duisburg-Huckingen an. Vom dortigen Bürgerverein wird Dietmar Ahlemann etwas zu den landschaftlichen Gegebenheiten am Kesselsberg erzählen. Zum einen waren dort bislang Grünflächen und der renaturierte Verlauf des Alten Angerbachs. Der gesamte Duisburger Süden wird gerade überwiegend mit Einfamilienhäusern oder Doppelhäusern zugedeckt. Interessanterweise versteht sich der Bürgerverein weniger als der Geschichte zugewandt, sondern ist aus Protesten gegen eine in den 1980-er Jahren geplante Hochhaussiedlung entstanden. Das war zu Zeiten, als dem Huckinger Stahlwerk am Rhein noch eine größere Zukunft mit Wachstumsprognose diagnostiziert wurde. Seitdem existiert auch der Geisterbahnhof auf der U79 Strecke, für den nie ein Bedarf entstanden ist. Außerdem wird hier eine Performance von David Guy Kono zu sehen sein. Später treffen wir in Hochfeld die Macher:innen des Zentrum für Kultur. Dort werden dann auch Frauke Berg und Anja Lautermann aus Düsseldorf ein Konzert geben. Und DJ Monita Wagma aus Duisburg mit einem Set zum Tanzen einladen.
Welche Idee steckt hinter dem neu eröffneten Zentrum für Kultur in Hochfeld? Könnt ihr das mal beschreiben?
Jan: Das Zentrum für Kultur wird vom Verein Solidarische Gesellschaft der Vielen betrieben und ist binnen kürzester Zeit zur Anlaufstelle für Leute aus dem Stadtteil geworden. Es gibt Beratung und Unterstützung bei Amtsangelegenheiten; mittlerweile melden sich die von Räumungen Betroffenen, die mehrheitlich Rom:nja betreffen. Außerdem gibt es regelmäßige Öffnungszeiten, Konzert, Lesungen und ähnliches.
Hochfeld hatte lange den Stempel „Problem-Quartier“. Wie stark ist der Stadtteil in Veränderung?
Johanna: Hochfeld steckt voll drin in der vermeintlichen Problem-Thematik. Veränderung ist Zukunftsthema. Die Frage ist wie so oft die, ob es einen tatsächlichen Veränderungsbedarf gibt, wer den wünscht und was denn verändert werden soll, wenn es denn den Wunsch nach Veränderung gibt. Der Stadtteil ist seit jeher von Zuwanderung geprägt. Momentan sieht es so aus, als wären Teil der Einwohner:innenschaft nicht erwünscht. Räumungen sogenannter Schrottimmobilien durch die städtische Task Force stehen wöchentlich auf der Tagesordnung. Diese Politik der brachialen Mittel richtet sich in der Regel gegen Zuwander:innen aus Südosteuropa, versehen mit einer Note unverhohlenen Antiziganismus. Hochfeld war lange Zeit sich selbst überlassen, ist eher von privaten Eigentumsverhältnissen geprägt als die Stadtteile, in den Werkswohnbestand dominierte. An vielen Häusern ist seit den 1980-er Jahren nicht mehr viel gemacht worden. Jetzt rückt der Stadtteil wie auch die weiter im Süden gelegenen Teile Duisburgs ins Blickfeld des eher überteuerten Düsseldorfer Wohnungsmarktes. Neben einigen Wohnungsbauprojekten, die größtenteils in Insellage um den Stadtteil herum konzipiert werden, wird der Hochfelder Rheinpark Austragungsort der Internationalen Gartenschau 2027 sein, die dezentral in bereits bestehenden öffentlichen Grünflächen im Ruhrgebiet stattfinden wird. Der Druck nimmt also zu.
Eine Untergrundbahn auf dem flachen Land, Exkursion, 8.10., 14 Uhr, Treffpunkt vor dem KAP1, Eintritt frei, Anmeldung unter tickets@fft-duesseldorf.de, wer kein Monatsticket hat, kann kostenfrei auf einem Gruppenticket mitfahren