Seit 1999 organisiert die Pfarrei St. Josef die Lebensmittelausgabe „Brot für den Tag“. Dort bekommen Menschen aus Oberbilk und Friedrichstadt, die von Grundsicherung leben, wöchentlich eine Ration Lebensmittel. Ausgegeben wird montags nachmittags und dienstags vormittags. Rund 800 Personen werden wöchentlich über die beiden Ausgabefenster des Pfarrzentrums mit Lebensmitteln versorgt.
„Wer kommt, bekommt Hilfe“
Barbara Schindler-Hofer organisiert die Ausgabe seit 2020. An einem Montagmittag um viertel vor eins steht sie im Foyer des Pfarrzentrums. Rotbraune Locken, freundlicher Gesichtsausdruck. An der bunt karierten Schürze prangt ihr Namensschild: „Frau Barbara“ steht darauf. Draußen wartet ein Mann mit wirrem Haar. Er steht in ein intensives Selbstgespräch vertieft vor den orangen Stapelkisten neben der Eingangstür. Schindler-Hofer nimmt sich seiner an: „Haben Sie Hunger? Möchten Sie einen Kaffee?“ Hat er. Möchte er. Die Ehrenamtlerin verschwindet im Gebäude, um kurz darauf mit Teilchen und Heißgetränk zurückzukehren. Der Mann nimmt, was ihm gereicht wird, und trollt sich. „Unter Obdachlosen hat es sich herumgesprochen, dass wir montags vormittags beliefert werden“, erklärt Schindler-Hofer. Offiziell gehören Wohnungslose nicht zu den Kund:innen der Lebensmittelausgabe. „Aber natürlich schicken wir niemanden weg. Wer kommt, bekommt Hilfe.“
Wenige Minuten später trifft vor dem Pfarrzentrum ein weißer Transporter der „Düsseldorfer Tafel“ ein. In seinem Inneren: nicht verkaufte Ware von Discountern, Großhändlern, Bäckereien und Lieferdiensten. „Haben wir heute Morgen alles abgeholt“, erklärt ein ehrenamtlicher Helfer der „Tafel“. Gemeinsam mit zwei Kollegen beginnt er mit dem Ausladen. Über ein Fenster werden die Lebensmittel ins Gebäude gereicht – und von dort gleichmäßig auf die zwei Ausgaberäume verteilt. Jede Woche bekommt „Brot für den Tag“ drei Transporter-Ladungen voller nicht verkaufter Ware. „Wir wissen allerdings vorher nie, was kommt oder wie viel kommt“, sagt Schindler-Hofer. „Das ist auch saisonal bedingt. Nach Weihnachten können es schon mal Unmengen von Süßigkeiten sein, an anderen Tagen kommen Drogerieartikel wie Shampoo und Spülung.“
„Lachs, wenn mal welcher da ist“
Am Tag unseres Besuchs ist das Gros der Lieferung – nicht mehr ganz frisches – Obst und Gemüse. Zitronen, Orangen, Chicorée, Rosenkohl, Kartoffeln, Tomaten, Paprika, Gurken, Radieschen und vieles mehr, meist in Stapelkisten verpackt. 12 ehrenamtliche Helfer:innen sind an diesem Montagmittag im Einsatz. Das Team, das hier anpackt, ist maximal international. Die helfenden Hände stammen aus Polen, Peru, Griechenland, Afghanistan, Syrien oder dem Irak. Manche sind als Kund:innen zum Projekt gestoßen und haben dann beschlossen, etwas zurückzugeben. Agata Liolios hilft seit 2021 bei der Lebensmittelausgabe. Die Polin suchte im Netz nach Möglichkeiten, sich ehrenamtlich zu engagieren, und stieß so auf „Brot für den Tag“. Drei bis fünf Stunden lädt sie jeden Montag mit aus und sortiert Lebensmittel. „Ich komme gerne hierher“, sagt Liolios. „Überwinden muss ich mich nie.“ Während sie das sagt, steckt ihr Kollege Andreas Tegeler die Nase in eine Schale Rucola und stellt fest: muss weg. Paff, landet sie in der Grünen Tonne. Dort sammeln sich auch verschimmelte Zitrusfrüchte, angefaulte Äpfel oder die ohnehin empfindlichen Himbeeren. Verpackungsmüll wird fein säuberlich getrennt. Kunststoff in der einen, Papier und Pappe in der anderen Tonne. Was noch gut ist, wird hingegen an den Wänden gestapelt. Bei all dem werden nicht viele Worte gemacht. Jeder Handgriff sitzt. Alles muss schnell gehen. In drei Stunden, um 16:30 Uhr, beginnt die Ausgabe der Ware. Jede Obst-, jede Gemüsesorte hat ihren festen, durch entsprechende Schilder markierten Platz in den beiden Ausgaberäumen.
Bei der Kühlware ist es nicht anders. Aufschnitt, Bockwürste, Obstsalat, Nudelsalat, Eiersalat. Alles wird sortiert und gestapelt, sodass es im entscheidenden Moment schnell greifbar ist. Was ist besonders gefragt? „Lachs, wenn mal welcher da ist“, sagt Andreas Tegeler. „Und Frischfleisch natürlich. Aber davon bekommen wir nur sehr wenig.“ An den Türen sind die unterschiedlichen Fleischsorten trotzdem angeschlagen. Für den seltenen Fall der Fälle. Schaf. Geflügel. Schwein. Pute, beschriftet in den Sprachen Deutsch, Türkisch und Arabisch – und mit entsprechenden Bildern versehen.
„Blumen sind gut für die Seele“
Mittlerweile parkt ein zweiter Transporter vor dem Pfarrzentrum, der ausschließlich Backwaren geladen hat. Im Foyer stapeln sich in kürzester Zeit Kisten mit Brötchen, Broten, Baguettes, Kuchen und Teilchen. Es gibt aber auch Ware, die man an dieser Stelle nicht unbedingt erwartet: Schnittblumen oder Topfpflanzen zum Beispiel. Haben Menschen, die diese Art von Hilfe in Anspruch nehmen, nicht andere Probleme als die Dekoration ihrer vier Wände? Die Antwort von Barbara Schindler-Hofer überrascht: „Die Blumen werden sehr gerne genommen.“ Manche der Kund:innen hätten einen Balkon, den sie bepflanzen würden. Und: „Blumen sind ja gut für die Seele.“
Kurz nach 16 Uhr, eine halbe Stunde vor Beginn der Ausgabe. Die erste Kundin ist schon da. Eine Mutter mit einem vielleicht 2-jährigen Kind. Sie sitzt auf den Stufen des Pfarrzentrums, in einer Ecke, in die noch Sonnenlicht fällt. Das Kind schläft in gelber Hose im Kinderwagen. Die Mutter, deren dunkles Haar von einem rosa Stirnband aus dem Gesicht gehalten wird, tippt ein wenig lustlos auf ihrem Mobiltelefon herum – und wartet. Kurz darauf kommt eine zweite Frau mit Kopftuch und Mundschutz dazu. Grüßt freundlich, Kind an der Hand. Sie zieht einen Einkaufstrolley hinter sich her. Der im Volksmund gerne als „Hackenporsche“ bezeichnete Wagen ist, wie sich später herausstellen wird, das vielleicht wichtigste Utensil der Kund:innen. Viele, die sich an diesem Montag Nachmittag in die Schlange hinter der Kirche St. Josef einreihen werden, haben eine solche Karre dabei. Alternativ große, sehr stabile Plastiktüten.
„Scham spielt eine große Rolle“
Im Inneren der Kirchenräume laufen die letzten Vorbereitungen. Barbara Schindler-Hofer füllt das Bonbonglas nach, aus dem sich jedes Kind etwas mitnehmen darf – und sucht ihre Spuckwand: „Wo ist die denn bloß hingekommen?“ Erste Helfer:innen treffen ein. War man beim Ausladen und Sortieren vormittags noch zu zwölft, sind es nachmittags sechs Ehrenamtler:innen. Zwei an Fenster 1, zwei an Fenster 2 und zwei am Empfang. Draußen, vor dem Eingang, markiert blaues Absperrband den Weg zu Anmeldung und Ausgabefenster 1, das zweite liegt auf der Rückseite des Gebäudes zum etwas schmucklosen Garten hin. Jede:r Kund:in kann sich aussuchen, wo er beziehungsweise sie die Ware in Empfang nimmt. Wer nicht gesehen werden möchte, wählt die rückseitige Variante. „Scham spielt natürlich eine große Rolle“, weiß Barbara Schindler-Hofer. „Viele Menschen, die zu uns kommen, sind unsicher.“ Der Großteil der Kund:innen sei ihr natürlich vertraut, weil er schon über einen längeren Zeitraum zur Lebensmittelausgabe komme. Dennoch könne man über die Leben der Menschen oft nur Vermutungen anstellen, kenne die Biografien nicht bis ins Detail. Für längere Gespräche fehlt im Rahmen von „Brot für den Tag“ schlicht und einfach die Zeit. Es gilt in erster Linie, 120 Menschen mit Lebensmitteln zu versorgen. Wer Unterstützung bei Behördengängen oder dem Ausfüllen von Formularen benötigt, wird an die Caritas weitervermittelt.
Helles Brot, kein Käsekuchen
Um 16:30 Uhr werden die Türen zum Foyer geöffnet. Draußen hat sich zwischenzeitlich ein bunt gemischtes Grüppchen von rund 25 Menschen eingefunden. Alleinerziehende Mütter, Rentner:innen, Geflüchtete: Die Armut, sie hat an diesem Ort viele Gesichter. Es ist ziemlich still, die Menschen suchen untereinander kaum Kontakt. Man bleibt mit sich und dem eigenen Schicksal allein.
Drinnen hat Schindler-Hofer an einem Tisch hinter ihrem Spuckschutz Platz genommen – und ruft die Nummern aus, die sie in der Vorwoche ausgegeben hat. Als „Nummer eins“ tritt ein älterer Herr mit Trolley vor den improvisierten Schalter. Während Schindler-Hofer seinen Berechtigungsausweis zur Lebensmittelausgabe abstempelt und ein paar Worte mit ihm wechselt, legt er eine Hand voll Münzen auf den Tisch. „So haben die Menschen nicht den Eindruck, Almosen zu bekommen“, erklärt Schindler-Hofer die Regelung. Über den genauen Betrag entscheidet jede:r selbst. Der ältere Herr kann überwiegend kupferfarbene Münzen entbehren. Selten ist der Gesamtbetrag höher als zwei Euro. Während der ältere Herr im Hinterhof am diskreteren der beiden Fenster, seine Ware in Empfang nimmt, folgt am Schalter im Foyer Kunde auf Kundin. Die Fragen, die ihnen am Ausgabefenster gestellt werden, sind immer die gleichen: Für wie viele Personen? Helles oder dunkles Brot? Oder doch lieber Brötchen? Letztere werden von den meisten hier gerne genommen. Helles Brot ist gefragter als dunkles. Käsekuchen und Rosenkohl entpuppen sich hingegen als regelrechte Ladenhüter und werden häufig direkt vor Ort zurückgegeben. Das hat vermutlich weniger mit fehlender Dankbarkeit zu tun als mit der Tatsache, dass die entsprechenden Lebensmittel in den Herkunftsländern der Menschen unbekannt sind.
„Hunger für Zwei“
Die meisten packen das, was ihnen gereicht wird, möglichst fix in ihre Karren oder Taschen – und verabschieden sich dankend. Ab und zu wird nach Fleisch gefragt. Die Ehrenamtlerin an der Ausgabe schüttelt den Kopf: „Leider heute nicht.“ Eine Frau, die mehrere Kinder im Schlepptau hat, begehrt auf: „Zu wenig“ sagt sie, als man ihr die Kisten mit Obst, Gemüse und mehr herüberreicht. Ab und zu gebe es auch solche eher unangenehmen Reaktionen, wird Schindler-Hofer später erzählen. Sie seien aber eher die Ausnahme und vermutlich der puren Not der Menschen geschuldet.
Jörg Paczkowski profitiert an diesem Montagnachmittag vom Imageproblem des Rosenkohls. Er verstaut gleich zwei Netze mit kleinen grünen Köpfen in seinem Handkarren. „Ich versuche mal, daraus einen Auflauf zu machen“, sagt er. Etwas Hack habe er noch im Gefrierschrank. Paczkowski, 53, „gefühlt etwas älter“, ist im Gegensatz zu den meisten anderen hier kein Kunde der leisen Sorte. Der Mann mit dem Bürstenhaarschnitt, dessen schwarz-weißer Zweiteiler an eine Motorradkluft erinnert, hat immer einen lockeren Spruch auf den Lippen. Auf die Frage nach den Personen in seinem Haushalt antwortet er beispielsweise „eine, aber Hunger für zwei“. Den Gag bringt er hier vermutlich jede Woche. Paczkowski ist gelernter Schlosser. Vor seiner mittlerweile schon viele Jahre währenden Arbeitslosigkeit hat er aber auch mal für die Caritas gearbeitet, „Grünschnitt und so“. Seit 2004 macht er überwiegend Ein-Euro-Jobs. Die Lebensmittelausgabe nimmt der Oberbilker, er muss das in seinem Berechtigungsausweis nachschauen, seit 2020 in Anspruch. „Klar, ist das unangenehm, hierher zu kommen“, sagt er. Er habe allerdings keine Wahl. Seit ihm das Jobcenter das Geld gekürzt hat, bleiben ihm zum Leben monatlich gerade einmal 169 Euro. Der Regelsatz für eine Einzelperson liegt derzeit bei 449 Euro, Kindern bis fünf Jahren stehen 285 Euro zu, Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren erhalten 376 Euro (Stand: September 2022).
Das Image von der reichen Stadt Düsseldorf, in der der Champagner nie versiegen will und allerorten SUVs in den Garagen stehen: Im Schatten von St. Josef scheint es an diesem Tag Lichtjahre entfernt. Das Ausmaß der Armut hat selbst die Organisatorin von „Brot für den Tag“ überrascht: „Bevor ich bei der Lebensmittelausgabe angefangen habe, hatte ich keine Vorstellung davon, dass es so viele Menschen gibt, die mit sehr wenig Geld auskommen müssen“, gesteht Barbara Schindler-Hofer. „Das habe ich erst hier erfahren.“
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