Am 10. Dezember startet die diesjährige Ausgabe von „Lieblingsplatte“. Im Rahmen des Festivals, das seit 2016 regelmäßig im Düsseldorfer zakk stattfindet, werden wichtige Alben deutscher Popgeschichte live auf der Bühne präsentiert. Für die 2022er Ausgabe sind Peaches, To Rococo Rot, Phillip Boa & the Voodooclub, Toni L und Östro 430 eingeladen. theycallitkleinparis hat mit dem künstlerischen Leiter des Festivals, Miguel Passarge, gesprochen.
Miguel, man hört ja seit einiger Zeit viel Alarmierendes aus der Live-Musik-Szene. Die Besucher:innen bleiben aus, Konzerte müssen abgesagt werden. Wie stellt sich die Situation im zakk dar?
Ich habe das Gefühl, dass wir relativ gut durch die aktuelle Zeit kommen, weil für viele Besucher:innen das zakk ein Zuhause ist und sie sich seit langer Zeit mit dem Ort identifizieren. Deshalb haben die Menschen, die ins zakk kommen, eine viel höhere Bindung zu unserer Location als zu einer beliebigen Veranstaltungshalle.
Am kommenden Samstag startet nun ein Festival, das für euch als Veranstaltungshaus einen besonderen Stellenwert hat: „Lieblingsplatte“. In dessen Rahmen spielen Bands und Musiker:innen seit 2016 einmal im Jahr jeweils ein wichtiges Album deutscher Popgeschichte live. Bevor wir zum künstlerischen Inhalt kommen: Wie laufen die Ticket-Verkäufe?
Auch da sind wir absolut zufrieden, wobei ein so spezielles Festival mit höheren Kosten als bei normalen Konzerten finanziell nur durch die Unterstützung des Landes NRW und Sponsoren zu stemmen ist.
Für dieses Jahr habt ihr Östro 430, To Rococo Rot, Peaches, Toni L und Phillip Boa & the Voodooclub eingeladen. Vielleicht kannst du mal anhand eines Beispiels erläutern, warum die entsprechende Platte so relevant ist?
Beispiel To Rococo Rot: In den 90er Jahren begannen sich Genres zu überschneiden und zu vermischen, im Mainstream war das ein Crossoversound zwischen Hardrock und Rap, im Underground gingen Indie-Sound und Electronica eine neue Verbindung ein. Auf einmal hörte der/die typische Indie-Hörer:in auch Electro-Klänge. Da waren To Rococo Rot und speziell ihr Album „The Amateur View“ Vorreiter und machten diesen Sound international bekannt.
Wer entscheidet, welche Platte zur Lieblingsplatte taugt? Gibt es da so etwas wie eine Jury? Und wenn ja, gehören nur zakk-Mitarbeiter:innen dazu oder auch externe Expert:innen?
Letztlich stelle ich als künstlerischer Leiter das Programm zusammen. Aber das geschieht natürlich im Dialog mit den Künstler:innen und Bands. Und ich hole mir stets Impulse von Kolleg:innen aus dem zakk und aus der Musikszene.
Eine Lieblingsplatte ist ja naturgemäß etwas sehr Individuelles. Inwiefern wird die Auswahl, die ihr getroffen habt, diskutiert, also nicht nur intern, sondern auch mit euren Besucher:innen oder mit den Künstler:innen?
Logischerweise kann ich keine Band dazu zwingen, ein Album auf die Bühne bringen, wenn sie es selbst nicht will. Es passiert des öfteren, dass sich Künstler:innen mit bestimmten Album aus ihrem Oeuvre oder ganzen Schaffensphasen nicht mehr identifizieren können. Insofern kommen verschiedene Lieblingsalben auf die Bühne, manchmal das der Band, manchmal ist es eine Lieblingsplatte des Publikums oder der Kritiker:innen, und manchmal ist es auch meine eigene Lieblingsplatte der Künstler:innen.
Und hat es mal eine Platte, die du selbst gar nicht für besonders wichtig hältst, in die Auswahl geschafft?
Nein, das war bisher nicht der Fall. Ich habe durchaus schon Vorschläge von Bands abgelehnt, wenn sie nicht ins Konzept des Festivals passen.
Viele der ausgewählten Platten haben schon einige Jährchen auf dem Buckel. Wenn wir das diesjährige Programm nehmen: „Durch dick und dünn“ von Östro 430 stammt aus dem Jahr 1981, Phillip Boas „Helios“ wurde 1991 veröffentlicht, To Rococo Rots „The Amateur View“ erschien 1999, „The Teaches of Peaches“ von Peaches im Jahr 2000. Selbst die jüngste Platte im Reigen, „Der Funkmaster“ von Toni L ist mittlerweile 20 Jahre alt. Wie alt muss eine Platte sein, damit man ihre Relevanz beurteilen kann? Und welche war die aktuellste Platte, die es bisher ins Programm geschafft hat?
Die aktuellste Platte war bisher „Montenegro Zero“ von Haiyti, die im Januar 2018 erschien. Obwohl das Album so jung ist, hatte es einen enormen Einfluss auf die HipHop-Szene und wurde in den Feuilletons gefeiert.
Künstler:innen haben in der Regel eher ein Interesse daran, ihre aktuellen Studiowerke zu präsentieren. Die Lieblingsplatten sind aber häufig Alben, die viele Jahre alt sind. Die müssen neu einstudiert werden und das für einen einzigen Auftritt, den bei euch im zakk. Das macht das Ganze sehr aufwendig. Wie viel Überzeugungsarbeit musst du da bei den Künstler:innen leisten?
Meistens ist relativ schnell klar, ob eine Band Lust hat, sich auf den Prozess einzulassen und den Probeaufwand zu leisten. Des öfteren proben die Bands übrigens direkt im zakk für ihren Auftritt. So reisen To Rococo Rot drei Tage vor ihrem Auftritt bei „Lieblingsplatte“ an und proben „The Amateur View“ in einem Raum, in dem sonst Tanzworkshops stattfinden.
Im Programm von „Lieblingsplatte“ findet sich traditionell viel Indie, Krautrock, Elektronik und HipHop. Wie sehr seid ihr bemüht, möglichst viele verschiedene Spielarten von Musik zu berücksichtigen und gibt es dennoch Genres, die bisher unterrepräsentiert waren?
Das stimmt, alle Genres kann ich natürlich nicht gleichberechtigt abbilden. So ist zum Beispiel Metal und Hardcore unterrepräsentiert. Aber das wird im Programm fürs kommende Jahr berücksichtigt, soviel kann ich schon verraten.
Ein Faktor, der in den vergangenen Jahren zunehmend in den Fokus geriet, war der Anteil von Musikerinnen, gerade im Line-Up von Festivals, aber sicher nicht nur dort. Die Chemnitzer Band Blond, die vor Kurzem bei euch aufgetreten ist, hat darüber sogar einen Song geschrieben. In „Männer“ heißt es: „Für so ne Pimmelparty mit bleichen Rentnern war’n wir nicht jahrelang im Proberaum“. Wie beurteilst du den Frauenanteil bei der „Lieblingsplatte“ über die Jahre?
Im diesjährigen Programm sind mit Östro 430, Peaches und dem Podiumstalk über „Female Lieblingsplatten“ die Hälfte der Abende weiblich geprägt. Das war mir wichtig und möchte ich in Zukunft auch gerne so beibehalten.
Wie wichtig sind Formate wie „Lieblingsplatte“, um das Profil eines Veranstaltungshauses zu schärfen? Das Festival habt ihr ja exklusiv, das gibt es nirgendwo sonst.
Natürlich ist es für ein großes soziokulturelles Zentrum wie zakk wichtig, eigene Formate zu entwickeln. Das tun wir in verschiedenen Bereichen, das „Edelweißpiratenfestival“ ist ein genreübergreifendes antifaschistisches Festival, ebenso wie das „Restistance-Festival“, ehemals „FCK AFD“. Mit „Lieblingsplatte“ haben wir ein Format, das deutschlandweit ausstrahlt, und durch Acts wie Peaches vielleicht bald auch international.
Wir sprachen schon darüber, wie aufwendig das Festival ist. Wäre es ohne die zusätzliche Förderung nicht realisierbar?
Genau, wir müssen den zusätzlichen Probeaufwand für die Bands natürlich honorieren. Außerdem ist uns eine Exklusivität der Performance wichtig, das heißt die Aufführung des Albums darf nicht zeitgleich woanders geschehen. Das schlägt sich natürlich in den Gagenverhandlungen und der Kalkulation des Festivals wieder.
10.12. Östro 430
12.12. To Rococo Rot
13.12. Peaches
15.12. Toni L
16.12. Female Lieblingsplatten
17.12. Phillip Boa & the Voodooclub