Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren. Herausragende Choreografen beim düsseldorf festival

Wenn man Festivalmacher:innen fragt, auf wen sie sich besonders freuen, bekommt man normalerweise eine professionelle Antwort. Man freue sich auf alle eingeladenen Künstler:innen, lautet die. Diplomatisch. Andreas Dahmen, künstlerischer Leiter des düsseldorf festivals, übt sich, mit der Frage konfrontiert, angenehmerweise mal nicht in Diplomatie. Stattdessen lässt er seiner Begeisterung freien Lauf: „Das Stück BLKDOG von Botis Seva hat mir den Atem verschlagen“, erzählt Dahmen. Und das nach über dreißig Jahren Festival-Macherei, in denen er zahllose Spielstätten in unterschiedlichsten Ländern besucht und noch zahllosere Kulturveranstaltungen jeder Sparte und Qualität erlebt haben dürfte. „Ich bin ständig auf der Suche, also schaue ich überall hin, wo es eine Chance für etwas Spannendes gibt“, sagt Dahmen. Am Anfang stehe immer eine Netzrecherche, zwischen Oktober und Mai, wenn sein eigenes Festival gerade nicht in der heißen Phase ist, schaut er sich auch viel vor Ort an. Seva sei ihm von den Kolleg:innen vom Londoner Tanzhaus Sadler’s Wells empfohlen worden. „Ich habe sein Stück dann im Grand Théâtre in Luxembourg gesehen“, so Dahmen, „die laden die meisten großartigen Tanzleute ein“. Dahmen tritt ans Fenster seines Büros und schaut auf den Wahnsinn, der draußen tobt, herunter. Vor seinem Fenster liegt die Bolker Straße. „Natürlich nervt die“, sagt er. Vor allem die schlechten Straßenmusiker seien oft nur schwer zu ertragen. Er ist halt anderes gewohnt. Seit über 30 Jahren kuratiert Dahmen gemeinsam mit Christiane Oxenfort das düsseldorf festival, das viele bis heute Altstadtherbst nennen, weil es lange so hieß wie jener Teil der Stadt, in dem alljährlich im September das weiße Theaterzelt aufgebaut wird.

Botis Seva also. Junger Choreograf aus London. Shooting Star. Er widme seine Arbeit „BLKDOG“ den Menschen ohne Stimme, hat der Künstler gesagt, „für alle, die in sich gefangen sind, selbst wenn ihr Herz ihnen sagt, dass es Liebe finden will.“ Von der Zeit des Erwachsenwerdens, von Zorn und Depression erzählt „BLKDOG“. Warum kommt Gewalt ins Leben, wenn man erwachsen wird, ist sie von klein an in uns angelegt? Können die harten jungen Männer das Kind in sich behalten, es in die raue Welt da draußen hinüberretten? Ursprünglich 2018 entstanden, entwickelt sich das Stück seitdem immer weiter. „Ich möchte nicht, dass es eine ,fertige‘ Version gibt“, sagt der Choreograf. In „BLKGOD“ stellt er existenzielle Fragen nach Verdrängung, Gewalt und früher Traumatisierung. Auf sehr persönliche Weise inszeniert er mit seiner Kompanie Far From The Norm experimentellen Hip-Hop, Stücke über Hooligans, Nomaden oder über Black Lives Matter. „Das Stück ist sehr dunkel und bedrückend, aber eben auch unheimlich beeindruckend und aufwühlend“, schwärmt Dahmen. Darüber hinaus habe ihn die „unglaublich virtuose und athletische Tanzsprache“ begeistert. Und die Lichtregie sei sehr besonders. Das Ensemble sei zur Hälfte männlich und zur Hälfte weiblich besetzt. „Man erkennt aber erst beim Schlussapplaus, wenn es heller wird, wer ein Mann und wer eine Frau ist. Allein an den Bewegungen kann man das nicht ausmachen.“ Beim Titel hat sich Seva bei Winston Churchill bedient. Der nannte seine depressiven Phasen „Black Dog“.

Inhaltlich in eine ähnliche Richtung geht eine weitere Tanzproduktion, die im Rahmen des diesjährigen düsseldorf festivals zu erleben ist: Für „Father Politics“ zeichnet Muhammed Kaltuk verantwortlich, ein Schweizer mit türkischen Wurzeln. In den vielfältigen Formen des Streetdance bringt der vielfach ausgezeichnete Choreograf die verschiedenen Realitäten der jungen Menschen und die Wut ihrer Proteste gegen die Ohnmacht der fehlenden Mitsprache auf die Bühne des Theaterzelts am Burgplatz. „Father Politics“ demaskiert die Posen der Politik und stellt polarisierende Meinungsmache an den Pranger. Zu Rap-Songs und Protestliedern entwickeln Kaltuk und seine Company MEK mitreißende Bilder, die von der Energie einer Generation zeugen, die etwas bewegen will.

Und last but not least Cie. Accrorap aus Südfrankreich. Abermals Tanz. Und wieder Hip Hop. Teil des Konzepts von Choreograf Kader Attou ist es, professionelle Hip-Hop-Tänzer:innen aus der Region einzuladen, an seinem künstlerischen Universum mitzuwirken. Nach Düsseldorf kommt die Formation mit „Prélude“, einem sogenannten „All-Terrain“-Stück, das den Hip-Hop-Tanz an alltägliche Orte bringen will, an denen man ihn eigentlich nicht erwartet. Auch die Indoor-Version von „Prélude“ ist eine eindringliche Begegnung der bohrend intensiven Musik von Romain Dubois mit der sinnlichen Körperlichkeit der Tänzer:innen.

Innerhalb von gerade mal einer Woche zeigt das düsseldorf festival drei hochkarätige internationale Tanzproduktionen. Und die sind natürlich nur ein kleiner Ausschnitt aus dem gesamten Programmspektrum, das neben Tanz auch Theater, Musik und Neuen Zirkus an den Rhein holt. Insgesamt finden zwischen dem 6. und 25. September 63 Veranstaltungen statt.

theycallitkleinparis verlost jeweils zwei Tickets für den Auftritt von Botis Seva am 12.9. und zwei für den 13.9. Bei Interesse einfach bis zum 31. Juli eine Mail mit dem Betreff „Black Dog“ an salut@theycallitkleinparis.de senden und dabei den Wunschtermin angeben. Der/die Gewinner:in wird dann benachrichtigt.

12.+13.9., 20 Uhr: Botis Seva „BLKDOG“, Theaterzelt am Burgplatz
15.+16.9., 20 Uhr: Muhammed Kaltuk „Father Politics“, Theaterzelt am Burgplatz
19.+20.9., 20 Uhr: Cie. Accrorap „Prelude“, Theaterzelt am Burgplatz

Schreibe einen Kommentar

*