Ritter Sport, Bayer oder die Deutsche Bank: Es gibt zahlreiche Unternehmen, die über eine eigene Kunstsammlung verfügen. Auch die Düsseldorfer Firma sipgate gehört dazu. Vor mehr als zehn Jahren begannen die sipgate-Gründer Tim Mois und Thilo Salmon damit, Kunst für ihre Firma zu erwerben. Fast genauso lange werden sie dabei von dem Düsseldorfer Künstler Cornelius Quabeck beraten. Der 48-Jährige kümmert sich um Ankäufe, aber auch darum, wie die Werke aus der Sammlung präsentiert werden. theycallitkleinparis hat mit ihm gesprochen.
Cornelius, seit wann gibt es die Kunstsammlung von sipgate?
Ganz genau kann man das nicht festlegen, weil sich die Dinge wie so oft einfach entwickelt haben. Tim Mois und Thilo Salmon hatten schon immer ein ausgeprägtes Interesse an Kunst, an Musik, an Fotografie, an Malerei. Tim und ich kennen uns schon ewig. Wir sind beide im Bergischen Land aufgewachsen, in Ennepetal, haben dort zusammen Abitur gemacht. Als ich nach dem Zivildienst an die Düsseldorfer Kunstakademie ging, hat Tim das interessiert verfolgt. Später haben wir uns in Düsseldorf wiedergetroffen, auch Thilo stieß dort dazu, im Studierendenwohnheim. Viele Jahre später, nachdem ich mein Kunststudium an der Akademie und am Chelsea College of Art and Design in London abgeschlossen hatte, fing ich an, auszustellen. Zu der Zeit haben Tim und Thilo die ersten Bilder von mir gekauft. Irgendwann habe ich gesehen, dass einige der Arbeiten nicht bei ihnen zuhause hängen, sondern in der Firma. Neben mir gab es noch andere Künstler, von denen sie Arbeiten erworben hatten – Andreas Gefeller als einer der ersten, dann Thomas Struth, David Shrigley, Markus Oehlen und Ulrich Hensel. Alle diese Arbeiten sind bis heute in der Sammlung.
Ab wann genau warst du dann für die Ankäufe zuständig?
Im Laufe der Zeit sprach es sich herum, dass sipgate dabei war, eine Sammlung aufzubauen. Die Firma hatte damals schon über 100 Mitarbeitende und entsprechend viele Menschen gingen bei ihnen ein und aus. Es kamen dann häufiger Vorschläge im Hinblick auf Ankäufe. So à la „Ich kenne auch jemanden, der malt.“ An der Stelle kann es schnell schwierig werden. Eigentlich möchte man sich ja selbst für etwas entscheiden. Man sollte auch überlegen, warum jemand bestimmte Arbeiten vorschlägt und man muss vor allem darauf achten, dass die Entscheidungen ins Gesamtbild passen. So kam ich ins Spiel. Auch um zu schauen, dass die Sammlung thematisch nicht aus dem Ruder läuft. Das war 2013. Seitdem kümmern wir uns gemeinsam um die Ankäufe.
Osram sammelt Lichtkunst, Ritter Sport kauft malerische und plastische Konzepte zum Quadrat und betreibt seit 2005 ein eigenes Museum. Gab es bei sipgate Wünsche der Firmenchefs im Hinblick auf die Ausrichtung der Sammlung?
Als ich mit meiner Arbeit begann, habe mir zunächst mal einen Überblick verschafft. Danach war klar, dass es Themenschwerpunkte geben soll. Malerei und Fotografie hatten sich bereits als Schwerpunkte herauskristallisiert, das entsprach auch den Interessen der beiden Firmengründer. Wir hatten ja auch vorher schon oft über Kunst gesprochen, letztendlich war ich als Künstler der Sammlung auch eine der frühen Stimmen mit Vorschlägen. Wir haben uns dann gemeinsam überlegt, uns bei der Auswahl künftiger Werke am Fotografieverständnis der sogenannten „Becherschule“ zu orientieren. Er ist für ein Unternehmen, das in Düsseldorf ansässig ist, natürlich ziemlich naheliegend, die Bechers lebten und lehrten ja hier. Ein Kernproblem der Sammlung war damals, dass es keine Arbeiten von Frauen gab. Das haben wir erkannt – und geändert. In der Folge wurden Arbeiten von Simone Nieweg und Sophie Reinhold gekauft. Dazu kam Lin May Saeed, eine Bildhauerin, die in Berlin lebte und kürzlich verstorben ist, und Carol Rhodes aus Schottland. Das waren allesamt Arbeiten, die ich auch gerne privat gekauft hätte. Aber ich habe halt kein Budget. Meine eigenen Arbeiten schlage ich übrigens nicht zum Ankauf vor, natürlich nicht.
Fast parallel zu deinem Einstieg als Kurator hast du 2014 angefangen, die ersten Mitarbeiter:innen von sipgate zu zeichnen. Wie kam das?
Am Anfang ging es lediglich um vier Zeichnungen für den sipgate-Blog. Diejenigen, die gezeichnet wurden, wollten die Zeichnungen als Avatare nutzen. Mir hat das Spaß gemacht. Daraufhin habe ich Tim und Thilo vorgeschlagen, die ganze Firma zu zeichnen. Das waren damals ungefähr 120 Leute. Bei dem Zeitaufwand habe ich mich allerdings ziemlich verschätzt. Ich habe mit fünf Zeichnungen pro Tag kalkuliert. Der Zeitraum, um 120 Mitarbeiter:innen zu porträtieren, wäre also relativ überschaubar gewesen. Tatsächlich arbeite ich heute noch an dem Projekt, es läuft mittlerweile zehn Jahre. Das liegt natürlich auch an der Pause während Corona, an der Fluktuation bei sipgate und nicht zuletzt daran, dass die Firma seitdem stark gewachsen ist.
Wie viele Leute arbeiten heute bei sipgate?
300. Von denen, die aktuell da sind, habe ich vielleicht 180, 190 gezeichnet. Die ersten Zeichnungen sind sogar in Buchform erschienen. In den Firmenräumen von sipgate gibt es eine Wand, an der sämtliche Porträts der aktuellen Mitarbeiter:innen hängen. Wer die Firma verlässt, darf seine Zeichnung mitnehmen.
Wie lange brauchst du, um eine Person zu porträtieren?
Für ein Porträt brauche ich zwischen 50 Minuten und einer Stunde. Am Anfang gab es durchaus Leute, die skeptisch waren, die nicht porträtiert werden wollten. Mittlerweile ist das anders. Jetzt freuen sich alle, Teil der Wand zu werden. Beim Prozess des Zeichnens sitzen die Leute mir gegenüber. Ich fange mit den Augen und der Nase an, bitte die Person, mich anzuschauen, damit ich den Blick zeichnen kann. Unterhalten können wir uns dabei nicht, zumindest nicht, wenn ich mit der Arbeit beginne, sonst ist zu viel Mimik im Gesicht.
Lass uns noch mal auf die Kunstsammlung von sipgate zurückkommen. Wie hoch ist das Budget für den Ankauf?
Es gibt eine Summe, die pro Jahr zur Verfügung steht, die aber auch variieren kann. Lass es mich so sagen: ein mittlerer fünfstelliger Betrag.
Und wie viele Arbeiten erwerbt ihr damit?
Nicht viele. Zwei bis vier. Eine jüngere Position der Gegenwartskunst liegt in der Regel zwischen 5.000 und 18.000 Euro. Das Ankaufsbudget ist also ziemlich schnell weg. Ich neige nicht zum Spontankauf, sondern versuche, wenn ich etwas im Auge habe, mich erst mal mit dem betreffenden Künstler, der Künstlerin zu beschäftigen. Meist kenne ich sie ja nicht persönlich.
Spielt die Person denn eine Rolle?
Ja, durchaus. Wenn man weiß, wer dahinter steckt, kann man die Arbeiten ganz anders einordnen. Lin May Saeed, von der mittlerweile zehn Arbeiten in der Sammlung sind, kannte ich zum Beispiel seit 1995. Damals habe ich an der Akademie angefangen. Sie hat neben mir im Atelier gearbeitet. Ich weiß noch ziemlich genau, was sie damals gemacht hat. Viele Jahre später habe ich eine Ausstellung von ihr im Studio Voltaire in London gesehen, zwischendurch hatte ich sie seltsamerweise ein bisschen aus den Augen verloren. Bei den Arbeiten, die in London ausgestellt waren, konnte ich direkt erkennen, dass sie von Lin stammten. Sie war beeindruckend klar in dem, was sie wollte. Lins Arbeiten sind dreidimensional. Trotzdem funktionieren sie wie Gemälde, sie werden entweder an die Wand gelehnt oder gehängt.
Wird beim Kunstkauf eigentlich gehandelt?
Das kommt vor. Wenn jemand mir den Preis für ein Werk nennt, würde ich zum Beispiel fragen, was kostet es denn, wenn wir zwei Arbeiten kaufen. Das Vorgehen basiert auf meiner eigenen Erfahrung auf der anderen Seite. Ich bin ja auch weiterhin als Maler aktiv, habe Galerien, die mich vertreten, und mache regelmäßig Ausstellungen. Im vergangenen Jahr habe ich unter dem Titel „Katzen würden Kitarren kaufen“ bei JUBG in Köln ausgestellt, 2023 war meine Einzelausstellung „Lavender Falls“ in der Kölner Galerie Norbert Arns zu sehen. Um auf den Ausgangspunkt deiner Frage zurückzukommen: Als Maler passiert es mir öfter, dass jemand sich für eine Arbeit von mir interessiert, aber nicht den Preis bezahlen möchte, der aufgerufen wird, sondern fragt, ob es auch für weniger zu haben ist. Normalerweise ist der maximale Rabatt, den eine Galerie gewährt, zehn Prozent.
Wie sind die Ankaufsbudgets bei Bayer oder der Deutschen Bank?
Ich habe überhaupt keine Ahnung, könnte mir aber vorstellen, dass die Summen von Jahr zu Jahr variieren. Je nachdem, wie gut das Geschäft gerade läuft. Bei Museen sind es hingegen in der Regel feste Summen. Die Kunstsammlung NRW hat zum Beispiel ein Ankaufsbudget von 2 Millionen Euro pro Jahr. Man kann wohl auch davon ausgehen, dass Museen zu anderen Konditionen kaufen als eine Firma wie sipgate.
Welche Rolle spielt das Thema Wertentwicklung bei euren Ankäufen?
Das steht bei uns überhaupt nicht im Vordergrund. Wäre auch für die inhaltliche Entwicklung der Sammlung nicht gut, weil du dann bei Kraut und Rüben rauskommst. Eine Arbeit nur zu kaufen, weil sie im Wert steigt, ist kein Konzept. Wenn du spekulativ Kunst erwerben willst, musst du aber auch mehr Geld ausgeben, als wir das tun, weil du dann in einen Bereich kommst, wo die Chance, dass die Kohle weg ist, niedriger ist. Beispiel: Wenn ich jetzt bei der Gagosian Gallery einen Baselitz kaufe, für eine halbe Million Dollar, kann ich den in fünf Jahren höchstwahrscheinlich zum gleichen Preis wieder verkaufen, wenn es gut läuft, auch für mehr. Wenn ich mit einer halben Million Dollar zum Akademie-Rundgang gehe und den ganzen Laden leer kaufe und fünf Jahre später versuche, die Sachen bei einer Auktion wieder zu verkaufen, funktioniert das nicht. Dann sind 495.000 Dollar weg.
Wie viele Arbeiten umfasst die Sammlung sipgate mittlerweile?
Ungefähr 130 Arbeiten.
Wie werden die Werke in den Firmenräumen präsentiert?
Die aktuellen Firmenräume sind ziemlich groß, über 3.000 Quadratmeter. Mittlerweile gibt es im Rahmen der Gebäudearchitektur Felder, die eigens für die Kunst vorgesehen sind. Die Kunst wird auf farbigen Wänden präsentiert, die zweimal im Jahr in einer neuen Farbe gestrichen werden, aktuell ist die untere Etage in erikaviolett gestrichen, die obere in pastelltürkis. Mit den neuen Farben wechselt auch die Präsentation. So bleibt das Ganze lebendig. Die Sachen auszusuchen und miteinander zu kombinieren, ist mein Job. Ich treffe mich aber regelmäßig mit Tim und spreche mit ihm darüber. Und er hat dann auch eine Meinung dazu. Thilo ist da weniger involviert.
Haben Mitarbeitende auch die Möglichkeit, ein bestimmtes Werk direkt in ihrer Umgebung zu haben?
Dafür gibt es die „IN-N-Out Kunst“, unsere Artothek, die funktioniert wie eine Leihbibliothek. Dort kann man sich Werke für jeweils ein Jahr ausleihen, allerdings für Zuhause, nicht für den Arbeitsplatz. Das heißt, die Mitarbeitenden kümmern sich auch selbst um den Transport und ums Anbringen. Die entsprechenden Arbeiten werden extra für den Zweck gesammelt. Sie sind günstiger als die Werke, die zur eigentlichen Sammlung gehören. Und sie sind alle gerahmt. Deshalb können sie auch mal eine Zeit lang in der Küche aufgehängt werden.
Wie groß ist überhaupt das Interesse der sipgate-Mitarbeitenden an der hauseigenen Kunstsammlung respektive den Ausstellungen?
Ich mache unter den Mitarbeiter:innen natürlich Werbung für die Ausstellungen. Zum Beispiel beim sogenannten „Open Friday“. Der findet an jedem zweiten Freitag im Monat statt. In seinem Rahmen können Mitarbeiter:innen zu einem Thema ihrer Wahl sprechen. Das kann Gärtnern sein, Bierbrauen oder Brot backen. Aber auch etwas aus dem sipgate-eigenen Arbeitsumfeld. Das Format nutze ich regelmäßig, zum Beispiel, um neuen Mitarbeiter:innen die Sammlung zu zeigen. Oder eine Aktion vorzustellen, die wir für die „Nacht der Museen“ planen. Ich versuche dabei, meine eigene Begeisterung ein Stück weit auf die Zuhörenden zu übertragen. Es gab zum Beispiel eine „Nacht der Museen“, bei der sipgate-Mitarbeitende über Werke aus der Sammlung gesprochen haben. Dass sich dafür Leute gefunden haben, hat mich sehr gefreut. Es geht mir immer auf den Keks, wenn Leute sagen: „Ich kann nicht sagen, was gute Kunst ist. Ich kann nur sagen, was mir gefällt.“ Das stimmt ja nie. Man muss sich nur ein bisschen drauf einlassen, dann weiß man auch, wieso man etwas gut findet. Natürlich kann man versuchen, sich das Werk als solches zu erschließen. Es kann aber eine grandiose Abkürzung sein, mit der Person zu sprechen, die die Arbeit gemacht hat. Und das ist bei unseren Eröffnungen ziemlich häufig möglich.
Die Werke aus der Sammlung werden auch an Museen verliehen. In welchen Häusern waren sie bereits zu sehen?
Zuletzt haben wir dem NRW-Forum Arbeiten von Andreas Gefeller zur Verfügung gestellt. David Shrigley war ans Dortmunder U ausgeliehen, für eine Tier-Ausstellung. Acht Arbeiten von Wolfgang Tillmanns wurden im Rahmen einer reisenden Ausstellung gezeigt, die unter anderem im NRW-Forum gastierte. 2022 hat das MMK in Frankfurt drei Zeichnungen von Derrick Alexis Coard ausgeliehen. Die wollten sie im Anschluss sogar kaufen. Das haben wir aber nicht gemacht. Generell verkaufen wir Stücke aus der Sammlung nur aus konzeptuellen Gründen. Zum Beispiel weil eine Arbeit nicht mehr in die Sammlung passt. Oder eine Position so teuer wird, dass du nicht dazu sammeln kannst. Einen solchen Solitär zu behalten, macht wenig Sinn. Deshalb verkaufen wir ihn dann lieber und erwerben mit dem Erlös neue Arbeiten.
Zahlen die Museen eigentlich Leihgebühren?
Nein, zahlen sie nicht. Aber die meisten Sammler freuen sich natürlich, wenn Arbeiten, die ihnen gehören, in einem renommierten Haus gezeigt werden.
Seit 2018 gibt es außerhalb der Firmenräume eine weitere Räumlichkeit, in der die Kunst aus der Sammlung gezeigt wird: den Ausstellungsraum sipgate shows. Das ist eine ehemalige Kosmetikschule, circa 80 Quadratmeter Fläche, verteilt auf drei hintereinander liegende Räume. Wie viele Ausstellungen waren dort seitdem zu sehen?
Wir haben dort bisher zwölf Ausstellungen gemacht. David Shrigley, den wir zuletzt gezeigt haben, war mit Abstand am besten besucht, da waren über 350 Besucher:innen. Im vergangenen Jahr haben wir eine norwegische Malerin gezeigt, Lillian Vaule. 2021 haben wir die schon mehrfach erwähnte Lin May Saeed ausgestellt. Das konnten wir nur machen, weil Corona war und ihr deshalb viele andere Sachen geplatzt waren. Die Ausstellungen laufen in der Regel zwei bis drei Monate. Zum Start gibt es eine Vernissage, manchmal zusätzlich eine Finissage. Geöffnet ist der Raum einmal in der Woche, immer donnerstags, von 16 bis 19 Uhr. Die nächste Ausstellung startet übrigens in Kürze. Dann zeigen wir zwei fotografische Positionen aus der Sammlung: Laurenz Berges, der gerade eine große Einzelausstellung in Siegen hatte zu seiner Arbeit über das Becherhaus in Mudersbach, und Andreas Gefeller, der unlängst in einer Einzelausstellung im NRW-Forum zu sehen war. Beide Künstler sind Düsseldorfer.
Laurenz Berges & Andreas Gefeller – zwei Positionen aus der sipgate Sammlung: 12.9. bis 2.11., sipgate shows, Gladbacher Str. 46, Düsseldorf, geöffnet jeden Donnerstag, 16 bis 19 Uhr
1 Kommentar
KommentierenIch hatte auch schon das Vergnügen bei Sipgate in Düsseldorf zu sein. Definitiv keine Firma wie jede andere, ein sehr schöner Ort. Wer die Möglichkeit hat mal dort zu sein, sollte das nicht verpassen.