Als Journalistin bin ich ja immer im Dienst, da macht der Urlaub keine Ausnahme. Neugier lässt sich schließlich nicht abschalten. Vor einigen Wochen verbrachte ich zwei Wochen in meinem Lieblingsort an der Ostsee: in Zingst. Von dort aus unternahm ich eine Radtour einmal rund um den Saaler Bodden, 84 Kilometer immerhin, aber das tut hier nichts zur Sache. Wohl aber folgendes Detail: Zwischen Ribnitz-Damgarten und Körkwitz passierte ich eine steile Kurve, die ein Gedenkstein als „Opi Wolter-Kurve“ auswies. Meine Neugier war geweckt. Wer war dieser Opi? Und was genau hatte sich in der Kurve zugetragen? Ich stellte eine Anfrage an das Amt für Bildung, Tourismus und Kultur in Ribnitz-Damgarten und schickte ihnen eine Reihe von Fragen. Viele Wochen vergingen. Ich hakte nach und wurde um Geduld gebeten, erkundigte mich abermals und bekam zur Antwort: „Bitte geben Sie uns noch etwas Zeit.“ Dann endlich erreichte mich das Ergebnis der Recherche der städtischen Mitarbeitenden und brachte zunächst eine enttäuschende Erkenntnis: Opi selbst sei leider nicht zu sprechen. Der Urheber des Gedenksteins und der hölzernen Tafel sei aber gefunden und gesprächsbereit: Hans-Heinrich Kunde.
Anruf in Ribnitz-Damgarten. Kunde ist schnell am Apparat. Zeit hat er immer, sagt er. Der pensionierte Vermessungsingenieur ist mittlerweile – er muss kurz überlegen – 79 Jahre alt. Den Großteil seiner Zeit verbringt er mit dem Sammeln von Pilzen und Heilkräutern und entsprechenden Recherchen und Beratungen. Über 14.000 Pilzberatungen habe er in seinem Leben absolviert. Ich lenke das Thema auf den eigentlichen Grund meines Anrufs. Opi Wolter, ja, das sei ein interessanter Mensch gewesen, einer, der mit sich und der Welt im Reinen war. Was er beruflich gemacht hat und wie sein kompletter Name lautete kann oder möchte Kunde nicht sagen. In Ribnitz-Damgarten sei er jedenfalls „bekannter als der Bürgermeister“ gewesen.
Opi war stets mit dem Fahrrad unterwegs. Regelmäßig unternahm er Touren, um sich gemeinsam mit seinen Freunden anschließend – und manchmal auch zwischendurch – bei einem Umtrunk für die gefahrenen Kilometer zu belohnen. Die „Birgits Gänsehütte“ in Ribnitz-Damgarten war dabei eine seiner liebsten Anlaufstationen. Dort kannte ihn und den von ihm favorisierten Drink so ziemlich jede:r. Sein Lieblingsgetränk war der giftgrüne Pfefferminzlikör Pfeffi, der die DDR mittlerweile um Jahrzehnte überlebt hat: „Opi war bekannt dafür, dass er sämtliche Pfeffi-Vorräte vernichtete“, erzählt Kunde. Auch an jenem schicksalhaften Tag, an dem der Unfall in der Kurve passierte, soll er – so jedenfalls die Legende – nicht mehr ganz nüchtern gewesen sein. Als Folge dessen bekam er die steile Kurve nicht, sondern landete samt Fahrrad im Boddenwasser. Nennenswerte Verletzungen zog er sich dabei nicht zu, lediglich seine Brille ging verlustig und versank für immer im Saaler Bodden. Was im Moment selbst noch unangenehm war, wurde später in der „Birgits Gänsehütte“ zur amüsanten Anekdote. Die kam auch Hans-Heinrich Kunde zu Ohren, der daraufhin wiederum die Idee mit dem Gedenkstein und dem Hinweisschild gebar. Gemeinsam mit Freunden finanzierte er das Ganze. Zur Einweihung von Stein und Schild kam dann ein Reporter der Ostseezeitung. Man stellte die Szene des Sturzes nach, fünf Leute „retteten“ Opi mit einem Seil. Und Herr Kunde hatte für den besonderen Anlass sogar eigens ein Gedicht geschrieben. „Epos für Opi“ nennt er sein Werk heute. Der derart Gewürdigte sei begeistert gewesen: „Das hat Opi gefallen. Wer bekommt schon ein Gedicht?“ Irgendwo müsse er die Lyrik für den besonderen Anlass auch noch haben, sagt Kunde. Nur wo? Die ganze Wohnung habe er schon auf den Kopf gestellt. Bisher ohne Erfolg.
Die ungewöhnliche Gedenkstätte hat Opi Wolter Herrn Kunde jedenfalls nicht vergessen – und sich auf die ihm eigene Art bedankt: mit Hochprozentigem. „Wenn ich irgendwo auftauchte, schob er mir immer sofort einen Pfeffi rüber“, erinnert sich Kunde. Mittlerweile liegen die Pfeffi-Zeiten schon länger zurück. Opi Wolter ist vor einigen Jahren verstorben. Alt sei er nicht geworden, so Kunde. Den Namen Opi habe er auch nicht wegen seines fortgeschrittenen Alters bekommen, sondern wegen der bedächtigen Art, sich zu bewegen. Die sterblichen Überreste von Opi Wolter liegen heute auf dem Friedhof in Freudenberg. Dort beerdigt zu werden, war sein Wunsch. Zum Grab verirren sich vermutlich nicht mehr allzu viele. Von Nachfahren oder sonstigen Verwandten ist Kunde jedenfalls nichts bekannt. Die Opi Wolter-Kurve hingegen, zwischen dem Hafen Ribnitz und Körkwitz, die passieren an einem guten Sommertag vermutlich hunderte von Radlern. Und manch einer stellt sich vielleicht die Frage, wer genau dieser Opi ist, der der steilen Kurve seinen Namen leiht. Gut, dass man das jetzt hier, auf einem Blog, das sich eigentlich mit Düsseldorf beschäftigt, nachlesen kann.
1 Kommentar
KommentierenDanke für die Auflösung warum es den Gedenkstein gibt.