Christian Böß im Interview – „Ich bin wegen Schimmi gekommen“

Tolle Reiseziele gibt es viele. Buenos Aires. Tokio. Oder Tiflis. Trotzdem sollte man das Glück keinesfalls nur in der Ferne suchen, sondern erkennen, dass auch in einem kleineren Radius rund um den Heimatort spannende Destinationen auf einen Besuch warten. Christian Böß zum Beispiel hat vor vielen Jahren sein Herz für Duisburg entdeckt. Gekommen ist er wegen Schimmi. Immer wieder zurückgekehrt ist er wegen der Bewohner:innen und natürlich der Stadt an sich. Nach vier Jahren Pause, die Corona geschuldet waren, ist der 49-Jährige jüngst in die Stadt zurückgekehrt. Kurz vor seiner Reise hat theycallitkleinparis mit Böß gesprochen.

Christian, wir wollen ja heute übers Reisen sprechen. Welche Länder und Orte hast du zuletzt besucht – und was hat dir besonders gut gefallen?
Obwohl ich in meinem Beruf als Arbeitsgruppenleiter in der Integrationsabteilung im Amt für Zuwanderung und Integration bei der Landeshauptstadt Wiesbaden so viel mit Menschen aus anderen Ländern zu tun habe, habe ich als Reisender Europa noch nie verlassen. Und ich reise tatsächlich wenig ins europäische Ausland, dafür aber gerne mit der Bahn innerhalb von Deutschland. Meine letzten Reisen gingen jeweils für ein langes Wochenende nach Hamburg und nach Stolpen. Hamburg mag ich einfach wahnsinnig gerne: St. Pauli, das Schanzenviertel, die Nähe der Stadt zum Wasser – das finde ich immer wieder großartig. Nach Stolpen bin ich gereist, um eine Lesung zu besuchen. Ich war von der pittoresken Altstadt und der Burg Stolpen, auf die eine Mätresse von August dem Starken verbannt wurde, sehr begeistert. Ein tolles Reiseziel, um die Seele baumeln zu lassen.

Und gab es auch in der Vergangenheit mal Reiseziele, mit denen du gar nicht warm geworden bist, wo du sofort wusstest: passt nicht, muss ich nie wieder hin?
Ich finde es schwierig, diese Frage zu beantworten, weil ich die Haltung dahinter schwierig finde. M. E. leben an jedem Reiseziel ja auch Menschen, die diese Stadt oder diese Gegend als ihr Zuhause empfinden. Da finde ich persönlich Kritik einfach anmaßend. Allerdings muss ich zugeben, dass es mir Ludwigshafen aufgrund seiner Betonarchitektur der 1970er und 80er Jahre sehr schwer gemacht hat, die Stadt als schön zu empfinden. Aber vielleicht habe ich auch einfach nur, den falschen Teil davon besucht.

Du lebst in Bad Camberg, einer 14.000-Einwohner-Stadt im Hintertaunus. Was hat dich dorthin verschlagen und seit wann bist du schon da?
Ich bin in einem Dorf, das rund fünf Kilometer von Bad Camberg entfernt liegt, aufgewachsen und habe in dieser Region Kindergarten und Schule besucht, mein Abi gemacht und meinen Zivildienst absolviert. Wiesbaden, wo ich meine Ausbildung bei der Stadt gemacht habe und letztendlich noch immer arbeite, lässt sich von hier aus gut mit dem ÖPNV erreichen, meistens zumindest, und so hat sich mein Leben immer in diesem ländlichen Raum, dem so genannten Goldenen Grund, abgespielt. Meine Eltern und mein Bruder mit seiner Familie leben dort auch noch. Das ist wahrscheinlich der beste Grund, dass ich nie weiter weggezogen bin.

Wie würdest du das Leben im Kneipp-Heilbad Bad Camberg beschreiben?
Sehr, sehr beschaulich. Ich weiß noch, wie ich als Schüler in den Ferien meine Mutter nach Bad Camberg begleitet habe, als sie dort noch gearbeitet hat. Damals konnte ich mir noch locker den Vormittag in der Fußgängerzone des Städtchens mit einem Besuch der Buchhandlung, des Zeitschriftenladens, der Spielwarenhandlung und dem Plattenladen vertreiben. Das wäre heute erheblich schwieriger, weil viele inhaber:innengeführte Fachgeschäfte im Laufe der Jahre geschlossen haben. Toll sind die vielen verschiedenen Feste, die es hier über das Jahr verteilt gibt. Einmal im Monat gibt es im lokalen Kurhaus ein mobiles Kinoangebot, das aktuelle Filmhits oder Arthouse-Kino zeigt. Außerdem bin ich von meiner Wohnung zu Fuß in fünf Minuten in der Natur, das liebe ich. Andererseits war die Stadt insbesondere während des ersten Lockdowns tot. Ich musste damals sehr an den Song „Living In A Ghost Town“ der Rolling Stones denken. Ich persönlich mag aber diesen Wechsel aus verschlafen und aufgewacht in unserem Städtchen sehr gerne. Das hat für mich so einen ganz eigenen runter gerockten Charme und Rhythmus.

Ich kenne Bad Camberg noch nicht – muss aber mal hin, ich LIEBE Kneippen -, aber Duisburg scheint mir der größtmögliche Kontrast zu Bad Camberg zu sein. Wann warst du das erste Mal in Duisburg – und war es Liebe auf den ersten Blick beziehungsweise Besuch?
Ich bin im April 2013 mit meiner damaligen Freundin das erste Mal nach Duisburg gereist, um dort an einer der „Schimanski-Touren“ in Duisburg-Ruhrort teilzunehmen. Wir haben in den vier Tagen, die wir damals in der Stadt verbracht haben, schon eine ganze Menge mitgenommen: Das Museum Küppersmühle, eine Stadtteilführung durch Duisburg-Marxloh, die besagte „Schimmi-Tour“ und ein Besuch des Landschaftsparks Nord standen auf unserem Programm. Da ich ein großer Fan der alten „Tatort“-Folgen mit Götz George und Eberhard Feik bin, waren die unterschiedlichen Touren zu Fuß, per Fahrrad und per Boot zu den damaligen Drehorten mein Hauptantrieb, Duisburg regelmäßig zu besuchen. Aber irgendwann kamen dann auch Besuche des Ruhrorter Hafenfestes oder eine Besichtigung bei Thyssen-Krupp hinzu. Und ich habe die Einwohner:innen aufgrund ihrer direkten und herzlichen Art ins Herz geschlossen. Ich bin sozusagen wegen Schimmi gekommen, aber wegen der Menschen immer wieder zurückgekehrt. Bei mir war es tatsächlich Liebe auf den ersten Blick, weil mich die Weitläufigkeit der Stadt und ihre Nähe zum Wasser, ähnlich wie in Hamburg, sofort fasziniert und begeistert haben.

Wie häufig warst du mittlerweile schon in der Ruhrgebietsstadt?
Von 2013 bis 2019 jährlich beziehungsweise mehrmals pro Jahr. Wenn ich mich nicht verzählt habe, fahre ich Ende Oktober zum zehnten Mal nach Duisburg.

Was genau macht die Faszination der Stadt aus? Was magst du an Duisburg?
Als ich 2002 begonnen habe, in der Integrationsabteilung im Wiesbadener Amt für Zuwanderung und Integration zu arbeiten, wurden in allen Fachpublikationen drei deutsche Stadtteile genannt, in denen die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund gescheitert sei: Kreuzberg und Neukölln in Berlin sowie Marxloh in Duisburg. Deshalb habe ich zum Beispiel 2013 direkt eine geführte Tour durch diesen Stadtteil unternommen, um festzustellen, dass ich ähnliche Viertel auch bereits in Wiesbaden oder Frankfurt gesehen habe. Ich habe es nicht so empfunden, als sei Integration hier gescheitert, natürlich kann sich das in den vergangenen zehn Jahren schon wieder verändert haben. Grundsätzlich halte ich das Ruhrgebiet als Reiseziel für maßlos unterschätzt. Wer sich mit der (Migrations)Geschichte in der BRD auseinandersetzt oder sich dafür interessiert, kommt meines Erachtens nicht daran vorbei, diese Region zu besuchen. Duisburg im Speziellen ist für mich insbesondere aufgrund seines Hafens und der (Industrie)Kultur jedes Mal wieder einen Besuch wert. Außerdem gibt es in den Seitenstraßen der Fußgängerzone tolle (Second-Hand-)Plattenläden, die ich bei jeder Reise aufsuche.

Wo steigst du in Duisburg ab?
Die beiden Nächte werde ich im Hotel „Zum Löwen“ verbringen, das ich noch nicht kenne. Mein Stamm-Hotel ist eigentlich das „Hotel am Freihafen“ in Duisburg-Ruhrort. Da ich Freitagabend allerdings ein Konzert in der Duisburger Innenstadt besuchen werde, habe ich mich für eine Übernachtungsmöglichkeit in zentraler Lage entschieden.

Gibt es Orte, die du jedes Mal besuchst, wenn du in Duisburg bist?
Ich bin regelmäßig in Duisburg-Ruhrort, weil ich diesen Stadtteil an der Mündung der Ruhr in den Rhein einfach unheimlich malerisch finde. Aber auch den Laden „Onkel Stereo“ in der Wallstraße mag ich sehr gerne, weil es hier unwahrscheinlich originelle und skurrile Mitbringsel gibt. Je nach Ausstellung ist auch das Museum Küppersmühle im Innenhafen immer einen Besuch wert.

Wie sind deine Pläne? Was wirst du dir in Duisburg diesmal anschauen?
Freitagabend werde ich mir Tom Liwa & die Leuchtturmband im „Bora“ live ansehen, auf das Konzert freue ich mich schon sehr; nicht zuletzt weil Tom zusammen mit den Flowerpornoes – nicht nur Duisburger – Musikgeschichte geschrieben hat. Samstag nehme ich dann an der obligatorischen „Schimmi-Tour“ mit Currywurst – beziehungsweise in meinem Fall mit Fritten, da ich kein Fleisch esse – in Duisburg-Ruhrort teil. Hier freue ich mich insbesondere darauf, die unter Fans kontrovers diskutierte Horst-Schimanski-Büste in der Horst-Schimanski-Gasse endlich mal in Augenschein nehmen zu können. Wenn ich es zeitlich schaffe und das Wetter passt, würde ich gerne mal die Sechsseenplatte besuchen. Die kenne ich nämlich noch gar nicht.

Welche drei Adjektive beschreiben Duisburg am besten?
Unverstellt, geradeaus und unterschätzt.

Angenommen, du bekämst einen gut dotierten Job in Duisburg angeboten. Könntest du dir vorstellen, umzuziehen?
Absolut! Ich fühle mich in der Stadt pudelwohl und wäre mit dem ICE innerhalb von zwei Stunden bei meiner Familie. Das wäre perfekt!

Christians Top 5 der Duisburg-Sehenswürdigkeiten
Duisburg-Ruhrort
Landschaftspark Nord
Museum Küppersmühle
Rundfahrt durch den Duisburger Hafen
Onkel Stereo, Wallstraße 6

1 Kommentar

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Toller Bericht

spontan würde ich als Sehenswert noch den Kaiserberg, das Uni Gelände und Neudorf, sowie Rheinhausen hinzufügen.
Eventuell noch Wedau rund um das Stadion mit den Sportstätten

Duisburg ist halt wie die anderen Städte im Pott ( Mülheim, Essen, Bochum, Dortmund, Hattingen ), viele tolle Menschen und unerwartete Ecken.

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