Zhulien Lambrev im Interview – „Brandenburg ist ein schwieriger Ort, um Kunst zu machen“

Normalerweise werden an dieser Stelle Menschen vorgestellt, die aus Düsseldorf stammen oder in der Stadt Projekte realisieren. In diesem speziellen Fall ist es anders und das hat mit einer Reise zu tun, die ich vor Kurzem unternahm. Sie führte mich in den äußersten Osten des Landes, nach Eisenhüttenstadt. Dort traf ich Zhulien Lambrev, einen bulgarischen Künstler, der derzeit überwiegend in Brandenburg arbeitet und ausstellt. Während meines Aufenthalts in „Hütte“ sprach ich mit Zhulien darüber, was ihn in die ostdeutsche Provinz verschlagen hat, was seine Kunst ausmacht und wie die Menschen vor Ort darauf reagieren.

Zhulien, du wurdest in Bulgarien geboren, in Dimitrowgrad. Das ist witzigerweise die Partnerstadt von Eisenhüttenstadt. Wie muss man sich die Stadt vorstellen?
Es gibt einige Parallelen zwischen Dimitrowgrad und Eisenhüttenstadt. Dimitrowgrad wurde als erste sozialistische Stadt Bulgariens konzipiert und ist ähnlich jung wie Eisenhüttenstadt, zudem ebenfalls eine Industriestadt. Namensgeber von Dimitrowgrad ist der ehemalige Premierminister und Führer der Kommunistischen Partei Georgi Dimitrow. In der Stadt aufzuwachsen war ein Albtraum. Es gab Gewalt, Bigotterie, Hunger. Alles fiel auseinander. Heute ist es schön, grün und leer … ganz wie Eisenhüttenstadt.

Nach der Schule bist du nach Sofia gezogen, um an der dortigen Uni Philosophie zu studieren. Das Studium hast du dann abgebrochen, um journalistisch zu arbeiten.
Genau, ich habe für die größte bulgarische Tageszeitung als Gesellschaftsreporter gearbeitet. Das war ein toller Job, schon als Kind wollte ich Journalist werden. Ich habe David Lynch zum Interview getroffen. Und Alice Cooper. Das war cool. Dann hat ein bulgarischer Oligarch mit Kontakten zu Putin die Mediengruppe, zu der meine Zeitung gehörte, gekauft. Die neuen Chefs hätten mich gerne behalten. Aber ich wollte nicht für sie arbeiten. Sie sagten: „Dann wirst du in Bulgarien überhaupt nicht mehr als Journalist arbeiten können.“ So bin ich Künstler geworden.

Wie alt warst du, als du deine journalistische Tätigkeit aufgegeben hast?
So 25, 26.

Und wie ging es dann weiter?
Ich habe Bulgarien verlassen. In der Zeit seitdem habe ich in zahlreichen Ländern gelebt, bin viel gereist. Ich habe Kunst gemacht. Konzeptionelle Kunst. Und Poesie. Um meine Projekte zu finanzieren, habe ich unterschiedlichste Jobs gemacht. Ich habe in Dänemark in der Landwirtschaft gearbeitet. Ein anstrengender Job. Trotzdem war es mit die glücklichste Zeit meines Lebens, wir haben in einer Art Künstlerkommune gelebt. Später habe ich in Frankreich bei der Weinernte geholfen. Danach war ich eine Weile in Portugal, weil ich mich in jemanden verliebt hatte, der dort lebte, in der Nähe von Lissabon. Ich habe in London experimentelle Poesie gemacht. Auch in Tokio bin ich eine Weile gewesen und habe dort mit einem japanischen Dichter zusammengearbeitet. Wir sind bei der „Nacht der betrunkenen Poeten“ in Tokio aufgetreten. Das funktioniert so: Man betrinkt sich und liest dann betrunken seine Texte an unterschiedlichen Orten in der Stadt vor. Tokio war der perfekte Ort dafür.

Großartige Idee! Die würde ich gerne auch mal in Düsseldorf realisieren. Jetzt haben wir viel über deine Vergangenheit gesprochen. Wie genau bist du denn dann nach Deutschland gekommen?
Ich wurde von einer Theatergruppe engagiert, „Das letzte Kleinod“. Sie suchten einen Techniker, letzten Endes habe ich dann aber das Licht für sie gemacht. In meinen Kunstprojekten arbeite ich viel mit Licht, insofern hatte ich damit schon Erfahrung. Mit „Das letzte Kleinod“ habe ich mehrere Projekte realisiert, zwischen 2022 und 2024. Dann wollte ich mich aber wieder auf meine eigene künstlerische Arbeit konzentrieren.

Bis Anfang September lief deine Ausstellung mit dem Titel „Geisterbauten“ im Hotel Lunik in Eisenhüttenstadt. Das Lunik war einst das erste Haus am Platz. Wie kamt ihr zusammen, das Lunik und du?
Ich kannte das Hotel Lunik schon von meiner Arbeit mit „Das letzte Kleinod“, wir hatten dort eine Aufführung gemacht. Insofern gab es also bereits Kontakt zu der städtischen Gebäudewirtschaft Gewi, die das Haus im Juni 2023 gekauft hat. Die Leute bei der Gewi sind sehr offen für kreative Projekte aller Art. Als ich gefragt habe, ob ich im Lunik eine Ausstellung machen kann, haben sie sofort zugesagt.

Hotel Lunik, Eisenhüttenstadt, Foto: Alexandra Wehrmann

Ist Eisenhüttenstadt denn ein guter Ort, um Kunst zu machen und zu präsentieren?
Eisenhüttenstadt ist für Kunst und Künstler:innen ein schwieriger Ort. Auch weil man hier alles selbst in die Hand nehmen muss. Künstler:innen folgen oft den Möglichkeiten, die sich ihnen bieten. Residencys, Open Calls oder etablierten Ausstellungsräumen. All das gibt es in Eisenhüttenstadt nicht. Auch das Publikum in der Stadt ist nicht leicht zu erreichen. Viele Menschen, die hier wohnen, sind in ihrem Leben kaum mit Kunst in Berührung gekommen. Aber gerade das reizt mich. Insofern war die Ausstellung im Lunik ein Herzensprojekt.

Wie genau muss man sich deine künstlerischen Arbeiten vorstellen?
Ich arbeite mit Fundstücken, die ich vor Ort vorfinde. Davon gibt es in Brandenburg ja reichlich. Alte Sachen, denen man neues Leben einhauchen kann. Die Fundstücke kombiniere ich mit zerbrochenen Spiegeln, auf die ich Fotos projiziere, manchmal verwende ich zusätzlich auch Musik. Im Hotel Lunik habe ich zum Beispiel eine alte Art-Déco-Lampe gefunden, die ich zu einer Installation verarbeitet habe. Bei manchen Besucher:innen funktionieren die in meine Objekte integrierten Fundstücke wie Zeitmaschinen, die sie in ihre Jugend zurückbringen. Auf diese Weise, so meine Hoffnung, können sie vielleicht einen Zugang zu meiner Kunst bekommen. Ähnlich war es mit dem blauen Raum, der sich von meinen anderen Arbeiten stark unterscheidet. Den Boden des Raums habe ich mit Gin und Tonic bedeckt. Die Wände habe ich ebenfalls mit der Flüssigkeit besprüht. Insgesamt habe ich 50 Liter verwendet. Das Chinin aus dem Tonic Water reagierte mit dem Schwarzlicht, das ich in dem Raum installiert hatte. Auf diese Weise entstand blaues Licht, das aussah wie Rauch. Der blaue Raum war ein Kunstwerk ohne Botschaft. Es sollte leicht zugänglich sein, auch für Kinder. Einfach Freude machen.

Installation aus der Ausstellung „Geisterbauten“ von Zhulien Lambrev, Foto: Alexandra Wehrmann

Wie wurde die Ausstellung im Lunik angenommen?
Gut. In den acht Tagen, die sie zu sehen war, kamen ungefähr 300 Besucher:innen, die meisten natürlich zur Eröffnung. Ich habe aber auch wirklich alle eingeladen, die ich getroffen habe – egal ob in der Stadt, in Läden, im Zug oder wo auch immer.

Dein Atelier ist nicht in Eisenhüttenstadt selbst, sondern circa 20 Kilometer entfernt, in Guben.
Das Atelier ist ein kleiner Bungalow mit Garten. Ich hatte eigentlich überlegt, ihn zu kaufen. Die Stadt hat mir dann angeboten, die Räume kostenlos zum Arbeiten zu nutzen. Es ist ein toller, sehr ruhiger Ort. Es gibt keine Autos. Man hört nur die Vögel. Nachts kann man die Sterne sehen.

Die Ausstellung im Hotel Lunik soll erst der Anfang sein. Für die nahe Zukunft sind weitere Projekte in Brandenburg geplant.
Genau, es wird weitere Ausstellungen geben, eine davon wieder im Lunik. Die andere im ehemaligen Frauengefängnis in Guben. Letztere findet im Rahmen eines Festivals für Literatur und Kunst statt. Wie schon gesagt: Brandenburg ist ein eher schwieriger Ort, um Kunst zu machen. Als ich meine Ausstellung im Lunik hatte, wurde ein Teil meiner Lampen gestohlen und eine Installation zerstört. Außerdem hat jemand eine Toilettenschüssel auf dem Vordach des Hotels platziert. Das war natürlich ein Statement, dass er oder sie meine Kunst nicht mochte. Ich fand das super! Dass sich jemand so viel Mühe gemacht hat, diese schwere Kloschüssel auf das Vordach zu bekommen, hat mich begeistert. Auch als Mensch fühle ich mich, von einigen positiven Ausnahmen mal abgesehen, nicht überall willkommen. Vielen Leuten gefällt es nicht, dass ich nicht von hier bin, dass ich nicht gut deutsch spreche, sondern meistens englisch. Es gibt durchaus viele negative Rückmeldungen. Daran bin ich als Künstler nicht gewöhnt. Anderswo finden Leute die Sachen, die ich mache, eher cool und erfreuen sich daran. In Berlin ist das zum Beispiel so. Man bleibt aber auch meist in seiner Künstler:innen-Bubble. Ich möchte versuchen, Menschen zu erreichen, die gar nicht an Kunst interessiert sind. Die sie nicht verstehen. Vielleicht auch nicht verstehen wollen. Das reizt mich. Wenn die Leute irgendeine Reaktion zeigen, egal ob sie neugierig sind, begeistert oder aggressiv, bin ich zufrieden. Hauptsache, sie zeigen überhaupt eine Reaktion. Wir fliegen nicht zum Mond, weil es einfach ist. Sondern weil es schwierig ist. So sehe ich das auch mit meiner Kunst.

Verfolgst du mit deiner künstlerischen Arbeit in Brandenburg auch ein höheres Ziel? Möchtest du das Klima verbessern, das Miteinander der Menschen?
Das würde ich schon gerne. Das Klima hier in Brandenburg empfinde ich als absolut hart. Hier zu leben fühlt sich an wie in der Antarktis zu leben.

Willst du langfristig in Brandenburg bleiben?
Ich möchte auf jeden Fall in Deutschland bleiben, vielleicht in Berlin. Ich hatte den Winter über dort ein WG-Zimmer und habe die Stadt erkundet. Ich kann mir aber auch gut vorstellen nach Leipzig zu gehen. Oder nach Düsseldorf, Hamburg, Köln oder Bremen. Mein Deutsch ist noch nicht perfekt, aber ich arbeite daran.

In deinem Leben hast du nie auf Sicherheit gesetzt. Auf einen festen Job, in dem du regelmäßig und vielleicht auch viel Geld verdienst. Stattdessen hast du das gemacht, was du wirklich tun wolltest: Kunst.
Ich finde, dass man das machen sollte, was man wirklich tun will. Wenn man eine Brücke bauen möchte, sollte man eine Brücke bauen. Wenn man als Arzt arbeiten möchte, sollte man das machen. Wenn man Gedichte schreiben möchte, sollte man Gedichte schreiben. Ich glaube, wenn das alle tun würden, wären wir viel zufriedener. Und das Zusammenleben wäre vermutlich auch entspannter.

Zhulien Lambrevs Ausstellung „Lebewesen“ ist vom 27. bis zum 29.9.2024 im Hotel Lunik, Eisenhüttenstadt zu sehen. Die Eröffnung findet am 27.9. ab 18 Uhr statt.

Die Installation im ehemaligen Frauengefängnis in Guben wird vom 25. bis zum 27.10.2024 gezeigt. Eröffnung am 25.10. ab 17 Uhr.

Schreibe einen Kommentar

*